Zum österreichischen Gedenktag an die Opfer des NS-Faschismus
Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA), zum österreichischen Gedenktag an die Opfer des NS-Faschismus am 5. Mai
Der 5. Mai ist seit 1998 offizieller staatlicher „Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus“ in Österreich. Die Datumswahl bezieht sich auf den 5. Mai 1945: An diesem Tag wurde das Konzentrationslager Mauthausen in Oberösterreich befreit.
Das KZ Mauthausen war die größte und bedeutendste Einrichtung des deutsch-faschistischen Massenmordes auf dem Gebiet des annektierten Österreich. Die Verbringung von annähernd 200.000 Menschen aus über 30 Nationen in dieses KZ und seine unmittelbaren Nebenlager ist dokumentiert. Mehr als die Hälfte davon überlebte dies in den Jahren 1938 bis 1945 nicht. Für das Prinzip der „Vernichtung durch Arbeit“ stehen die „Todesstiege“ sowie die Abbruchwand des Steinbruchs. Ab Herbst 1941 war am Lagergelände eine Gaskammer in Betrieb.
Der 5. Mai erinnert uns an die getöteten Opfer der deutsch-faschistischen Verbrechen: 65.000 österreichische Juden und Jüdinnen, 8.000 österreichische Roma, 2.700 hingerichtete Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer, 10.000 aus politischen, ideologischen oder rassistischen Gründen Ermordete im Gewahrsam der Gestapo oder in Gefängnissen, 35.000 Zivilistinnen und Zivilisten, die im Zuge von Kampfhandlungen zu Tode kamen. Man muss auch nicht vergessen, dass etwa 250.000 Österreicher als wehrpflichtige Soldaten in den Reihen der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges gefallen sind: Sie waren zwar am Vernichtungskrieg sowie einige an Kriegsverbrechen beteiligt, doch handelte es sich keineswegs durchgängig um Unterstützer und Befürworter des Faschismus, seiner militärischen Aggressionen und verbrecherischen Aktionen. Umso mehr ist es in diesem Kontext aber auch notwendig, den Mut der Deserteure und Überläufer zu westalliierten Truppen bzw. zur Roten Armee der UdSSR hervorzuheben.
Die österreichische Opferbilanz erinnert uns jedoch an eine weitere Tatsache: Eine große Zahl an Österreichern und Österreicherinnen waren auch Täter. Dies betrifft nicht nur das Heer der Kollaborateure, Kriegsgewinnler, Denunzianten und „Mitläufer“, sondern v.a. jene Masse an Österreichern, die innerhalb der NSDAP, der SS, der Wehrmacht und staatlicher Institutionen des Deutschen Reiches auf aktive Weise eine große Mitschuld auf sich geladen haben. Es ist bemerkenswert, dass der österreichische Anteil in vielen Bereichen sogar überproportional war: Obwohl sie nur acht Prozent der Reichsbevölkerung ausmachten, waren fast elf Prozent der KZ-Kommandanten Österreicher, mindestens 20 Prozent des KZ-Personals, 14 Prozent der SS-Mitglieder. Etwa 700.000 Österreicherinnen und Österreicher waren Mitglieder der NSDAP – dies entspricht nicht nur einem Zehn-Prozent-Anteil in der österreichischen Bevölkerung, sondern auch einem Zehn-Prozent-Anteil an allen NSDAP-Mitgliedern im Deutschen Reich. Auch diese Fakten sollen nicht vergessen werden.
Der viel diskutierte österreichische „Opfermythos“, der die österreichische Mittäterschaft ausblendet, kam nach 1945 den pro-kapitalistischen Kräften, d.h. der SPÖ, der selbst mit einer faschistischen Vergangenheit behafteten ÖVP sowie der deutschnationalen FPÖ, die sich bewusst an ehemalige NSDAP-Mitglieder wandte, zupass. Ihnen waren bald der Antikommunismus und der Anschluss an den antisowjetischen Westblock wichtiger als bedingungsloser Antifaschismus und die Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Gerade die Sozialdemokratie spielte hierbei über Jahrzehnte eine unrühmliche Rolle, inklusive des in ihr hoch verehrten langjährigen Bundeskanzlers Bruno Kreisky. Man bediente sich hierbei einer selektiven Rezeption der „Moskauer Deklaration“ der Anti-Hitler-Koalition von 1943: In dieser wird Österreich als das erste Land bezeichnet, das „der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer“, fiel. Dies ist natürlich insofern richtig, als es sich im März 1938 um eine militärische Okkupation durch die deutsche Wehrmacht sowie im Anschluss um eine Annexion und eine deutsche Fremdherrschaft in Österreich handelte. In der Erklärung steht jedoch ebenso: „Österreich wird aber auch daran erinnert, dass es für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und dass anlässlich der endgültigen Abrechnung Bedachtnahme darauf, wieviel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird, unvermeidlich sein wird.“ Dieser Teil wurde und wird gerne vergessen oder „übersehen“ – nicht nur aus purem Opportunismus, sondern auch, weil der „eigene Beitrag“ nun mal zum überwältigenden Großteil vom kommunistischen Widerstand beigebracht wurde. Wenn wir am 5. Mai der Opfer des NS-Faschismus gedenken, dann muss auch an den erheblichen Blutzoll der österreichischen Kommunistinnen und Kommunisten im Kampf für die Befreiung Österreichs erinnert werden. Dem bürgerlichen Staat und seinen etablierten Parteien ist dies natürlich unangenehm, weswegen sie den bürgerlich-christlichen Widerstand zumeist überbewerten und auf die kommunistische Hauptlast nicht weiter eingehen oder diese gar zu leugnen versuchen.
In letzter Zeit verstärkt sich sogar wieder eine noch gröbere Geschichtsverzerrung, die in Österreich und der EU fröhliche Urstände feiert. Ausgehend von der gänzlich unwissenschaftlichen Totalitarismusdoktrin bemühen sich die herrschende Politik und viele Systemmedien vermehrt um eine Gleichsetzung von Faschismus und Sozialismus. Bei manchen naiven Geistern, die die sozialistische UdSSR und die kapitalistische Russische Föderation nicht voneinander unterscheiden können, mag ein aktueller „antirussischer Reflex“ im Gefolge des Ukrainekrieges mitspielen, in Wirklichkeit geht es jedoch um den Antikommunismus als Wesensgrundlage bürgerlich-kapitalistischer Herrschaft – in zweierlei Hinsicht: Mit der Gleichsetzung wird der Faschismus verharmlost, v.a. will man verschleiern, dass er ein direktes Ergebnis des Kapitalismus und Imperialismus war und bleibt, während man die kommunistische Bewegung wiederum zum Hauptfeind erklärt. Man will ungern eingestehen: Nur die Überwindung des Kapitalismus garantiert die nachhaltige Ausrottung des Faschismus.
Nun gut, solcherart Diffamierungen und Geschichtslügen sind eben antikommunistischer Klassenkampf von oben. Doch gleichzeitig bedeutet dies eine Gleichsetzung von Opfern und Tätern des Faschismus, von Befreiern und Verbrechern, von antifaschistischen Widerstandskämpfern und Nazi-Terroristen. Oder, um es ganz prägnant auf den Punkt zu bringen: Von jenen, die den Holocaust ins Werk gesetzt haben, und jenen, die ihn beendeten. Und das ist eine Schande, ein Schlag ins Gesicht der Opfer und Widerstandskämpfer.
Am österreichischen Gedenktag am 5. Mai geht es darum, der Opfer der Nazi-Barbarei zu gedenken. Es ist nicht angebracht, diese Barbarei zu relativieren – und es ist auch nicht angebracht, die UdSSR, ihre Rote Armee und ihre Völker, die die Hauptlast bei der Niederringung des deutschen Faschismus und bei der Befreiung Österreichs und Europas getragen haben, zu verunglimpfen.
Quelle: Zeitung der Arbeit