Bildung als Privileg
Die konservative griechische Regierung will mit einer für das Jahr 2025 anvisierten Verfassungsänderung das Hochschulsystem dem »freien Markt« überlassen. Schon jetzt sollen private Universitäten – vor allem aus den USA importierte Einrichtungen – als »zwischenstaatliche« Institutionen in die staatliche Bildung integriert werden. Regierungschef Kyriakos Mitsotakis, selbst ein Bildungs- und Sozialprodukt der US-amerikanischen Eliteuniversität Harvard, will offenbar nordamerikanische Verhältnisse auf sein Land übertragen.
Griechenland ist ein fruchtbarer Boden für Privatisierung: Das staatliche Bildungssystem leidet permanent unter Lehrer- und Professorenmangel, die Lehrkräfte werden mit lächerlichen Gehältern kurzgehalten und müssen nachmittags oder abends und vor allem auch in den Ferien oft an privaten Nachhilfeschulen Geld dazuverdienen, um ihre Familien über die Runden zu bringen.
Aus dieser Situation hat sich seit der Nachkriegszeit eine regelrechte »Bildungsindustrie« entwickelt – inzwischen eine Macht im Land, die politisch auch von der Orthodoxen Kirche unterstützt wird. Vor genau einem Jahr veröffentlichte das Staatliche Statistische Amt Griechenlands (Elstat) erstaunliche Zahlen: Landauf, landab kümmern sich inzwischen rund 5.000 private »Frontistiria« um jenen Teil der Ausbildung der Kinder und Jugendlichen, der eigentlich originäre Aufgabe staatlicher Schulen wäre.
Gelehrt werden abends, im Sommer oft bis Mitternacht, fremde Sprachen – im wesentlichen Englisch, Französisch, Deutsch und Russisch – sowie die Geheimnisse der Mathematik, was später nützlich sein kann, wenn am Tresen oder in der Hotelbranche Geld gezählt werden muß. Zweiter Schwerpunkt der sich am schmalen Einkommen der Eltern bereichernden Privaten ist die Vorbereitung auf die Universität. Darauf angesprochene Eltern und Schüler versichern, daß sie ohne Nachhilfe keine Aufnahmeprüfung an einer der Hochschulen in Patras, Thessaloniki, Heraklion oder Athen überstehen würden.
Die griechischen Regierungen der vergangenen Jahre – ganz gleich, ob von der konservativen Nea Dimokratia, der sozialdemokratischen PASOK oder »linken« sozialdemokratischen SYRIZA geführt – zogen bis heute als Schlußfolgerung aus der fatalen Situation nicht etwa den Versuch, das staatliche System deutlich zu verbessern und seine Lehrkräfte endlich anständig zu bezahlen, sondern die »Erkenntnis«, daß es ja billiger ist, die Kinder zu den Privaten zu schicken und die Eltern bezahlen zu lassen.
Im Jahr 2020 »erwirtschaftete« diese die Kinder als leichte Beute begreifende Branche laut Elstat 3,182 Milliarden Euro. 680,9 Millionen Euro zahlten Eltern für den Erwerb von Fremdsprachen – ein Muß in einem Land, das hauptsächlich vom Tourismus lebt – und 620,7 Millionen für Univorbereitung, Mathematik und andere Sektoren. Alles in allem 1,3016 Milliarden Euro für die Nachhilfeschulen, der Rest entfiel auf die horrenden Gebühren für politisch ungemein erfolgreiche US-amerikanische oder europäische Bildungsimporte.
Nun, da Premier Mitsotakis nach seiner im zweiten Anlauf geglückten Wiederwahl – übrigens wie sein »bester Freund« Emmanuel Macron in Frankreich – die Privatisierung des Hochschulbetriebs ins Auge faßt, steht eine dringend gewollte Verfassungsänderung ins Haus. Genutzt werden soll offenbar eine vor allem semantische Unzulänglichkeit im »Syntagma«, der Verfassung: der Artikel 24 soll gegen den Artikel 16 ausgespielt werden können, heißt es in Regierungskreisen. Letzterer schützt bisher die »staatliche Schulpflicht und den staatlichen Bildungsauftrag« vor den gierigen Händen privater oder halbstaatlicher Einrichtungen, Kirchenstiftungen etwa oder sogenannte Foundations, griechisch Idrimata, wie die des Reeder-Milliardärs Stavros Niarchos. Leute also, die nie Steuern bezahlten und sich am Ende ihres Lebens als soziale Wohltäter ins Himmelreich oder wenigstens in die Geschichtsbücher transferieren wollen.
Mitsotakis werde die universitäre Ausbildung ins Maul des Marktes werfen, kritisierte die Tageszeitung »Efimerida ton Syntakton« ahnungsvoll schon im November 2018, als die da noch regierende »linke« SYRIZA sich auf ihre baldige Ablösung vorbereitete. Inzwischen ist Mitsotakis zum zweiten Mal nach 2019 gewählt und hat – zwecks Verfassungsänderung – nicht nur seine eigene absolute Parlamentsmehrheit hinter sich, sondern wohl auch die Stimmen der faschistischen Rechten.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek