Erst Bruch des Kirchenasyls, jetzt droht die Abschiebung: Ehepaar darf nicht nach Polen abgeschoben werden!
Erst wurden sie gewaltsam aus dem Kirchenasyl geschleppt und in Abschiebehaft gesteckt, nun sollen sie morgen (Dienstag 25. Juli) abgeschoben werden: PRO ASYL, das Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW und die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche protestieren gegen die geplante Abschiebung eines schwer traumatisierten Ehepaars nach Polen, kritisieren diesen seit Jahren einzigartigen, brutalen Bruch des Kirchenasyls und fordern die Behörden auf, das Ehepaar nicht abzuschieben und stattdessen den Fall erneut zu prüfen. Kirchenasyle müssen auch künftig geschützte Räume bleiben, die für die Behörden tabu sind, so dass sich Schutzbedürftige in kirchlichen Räumen sicher fühlen und darauf vertrauen können, dass ihre Fälle gewissenhaft geprüft werden.
„Der Bruch des Kirchenasyls in Nettetal betrifft uns als bundesweite Kirchenasyl-Bewegung mit. Ein gewaltsames Eindringen in einen kirchlichen Schutzraum und Gewalt gegen die dort Schutz suchenden Menschen widerspricht eklatant dem, auf was Kirchen und Staat sich bei allen inhaltlichen Differenzen zum Thema Kirchenasyl geeinigt hatten: Transparenz und das Suchen nach humanitären Lösungen. Wir fordern die umgehende Entlassung der Eheleute H. aus der Abschiebehaft und eine gründliche Aufarbeitung dieses behördlichen Vorgehens“, sagt Dietlind Jochims, Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche.
Das kurdische Ehepaar, das 2021 aus dem Irak geflohen war, lebte seit Mai 2023 aus humanitären Gründen im Kirchenasyl in Räumen der Evangelischen Kirchengemeinde Lobberich/Hinsbeck (Nordrhein-Westfalen), um die drohende Dublin-Überstellung nach Polen zu verhindern. In Polen waren die beiden bereits auf ihrer Flucht über Belarus in einem geschlossenen Lager festgehalten und unmenschlich behandelt worden. Der Abschiebungsversuch mit Hausdurchsuchungsbeschluss durch die Ausländerbehörde Viersen am 10. Juli 2023 war unangekündigt und schwer traumatisierend für das kurdische Ehepaar. Nachdem die Frau noch in den Räumen der Kirchengemeinde und mehrere weitere Male auf dem Weg zum Flughafen kollabiert war, wurde die Abschiebung zwar aus medizinischen Gründen abgebrochen, soll aber nun am Dienstag auf dem Landweg vollendet werden. Derzeit ist das Ehepaar in Abschiebehaft in Darmstadt.
Doch in Polen drohen dem Ehepaar nicht nur Haftlager mit vergitterten Fenstern und Stacheldrahtzäunen, sondern auch die Verweigerung von rechtlicher und medizinischer Hilfe und damit menschenrechtswidrige Zustände. „Polen hat ein massives Rechtsstaatsproblem, das sich gerade auch an der menschenrechtswidrigen Behandlung von fliehenden Menschen zeigt. Schutzsuchende werden systematisch in Lager gesperrt, die schlimmer sind als Gefängnisse – nur weil sie einen Asylantrag gestellt haben. Dabei geht es nicht um einzelne Versäumnisse oder ein Fehlverhalten von einzelnen Verantwortlichen, sondern um systematische Verstöße gegen das Europa- und Völkerrecht“, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin der Menschenrechtsorganisation PRO ASYL.
Auch das Ehepaar hat Gewalt von polnischen Sicherheitskräften an der polnisch-belarussischen Grenze erlebt und lebt nun in großer Angst vor der Abschiebung nach Polen im Abschiebegefängnis. „Die Eheleute sind schwer traumatisiert und vor allem Nahida geht es sehr schlecht. Sie ist durch das schockierende Vorgehen der Ausländerbehörde so verängstigt, dass sie nur durch die Einnahme von Medikamenten überhaupt schlafen kann. Dass das Kirchenasyl ohne jegliche Vorwarnung und mit unverhältnismäßiger Härte geräumt wurde, ist nicht hinnehmbar. Es wurde offensichtlich völlig außer Acht gelassen, dass das Paar bereits schwer traumatisiert ist und Nahida wegen ihres schlechten psychischen Zustandes ohnehin schon in längerer psychiatrischer Behandlung war. Was ist wohl das wirkliche Motiv, weshalb hier so eilig und rücksichtslos vorgegangen wurde?“, fragt Pfarrerin Elke Langer, deren Gemeinde das Kirchenasyl gewährte.
Vor diesem Hintergrund betont Tom Brandt vom Ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche NRW, das das Kirchenasyl in enger Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde Lobberich/Hinsbeck begleitet hat: „Wir sind fassungslos, dass die Überstellung von Dilshad und Nahida nach Polen nach wie vor betrieben wird. Bereits die Härte und Respektlosigkeit, mit der das Kirchenasyl geräumt und die beiden behandelt wurden, ist nicht zu rechtfertigen – die Ausländerbehörde muss jetzt zurück hinter die rote Linie des Kirchenasyls und die Überstellung der beiden sofort stoppen. In den letzten Tagen wurden wir an unserer Mahnwache wiederholt auf die Ausländerbehörde Viersen angesprochen, die für ihr rücksichtsloses Verhalten im Ort offenbar bereits hinlänglich bekannt ist. Letztlich stellt sich auch die Frage, welches Zeichen hier für die Asylpolitik in Deutschland und Europa gesetzt werden sollte. Gerade in Zeiten zunehmender asylpolitischer Verschärfungen sind gegenüber solchen Grenzüberschreitungen wie hier in Viersen breiter Protest notwendig!“
Am Freitag, den 21.07., haben sich 150 Menschen in einer Solidaritätsbekundung des Ökumenischen Netzwerks Asyl in der Kirche in NRW vor der Ausländerbehörde Viersen gegen die Überstellung des Ehepaars nach Polen und für den Schutz der Praxis des Kirchenasyls ausgesproche. Gewaltsame Räumungen von Kirchenasylen sind äußerst ungewöhnlich, da die Behörden diesen Schutzraum für Geflüchtete in Kirchengemeinden in der Regel respektieren. Bundesweit gibt es derzeit rund 425, in NRW gibt es ca. 140 laufende Kirchenasyle. Im vergangenen Jahr konnten davon in NRW rund 98% mit einer Bleibeperspektive für die Betroffenen beendet werden.
Mehr zur Situation in Polen und der Forderung, die Dublin-Abschiebungen nach Polen einzustellen, erfahren Sie in diesem Text.
Quelle: Pro Asyl