Erst Draufhauen, dann »Aufbauen«
Salbungsvolle Worte von Bundeskanzler Olaf Scholz im Sommerinterview der ARD am 2. Juli: »Das Menschliche funktioniert«, gefolgt von der verheißungsvollen Ankündigung: »Die Kindergrundsicherung kommt.« Tags drauf ist »das wichtigste sozialpolitische Vorhaben der Ampel-Regierung und das Herzensprojekt der Grünen« (Wortlaut in der »Tagesschau« der ARD) an die Wand gefahren. Finanzminister Christian Lindner muß sparen. Statt geplanter 12 Milliarden Euro für das »ehrgeizige Sozialprojekt« nur 2 Milliarden – und selbst die sind für Lindner nur ein »Merkposten«.
Während in Deutschland jedes fünfte Kind an oder unterhalb der Armutsgrenze lebt, dürfen sich Bundeswehr und Rüstungsindustrie freuen: Der Etat für Kriegsminister Boris Pistorius steigt auf bisher nie dagewesene 51,8 Milliarden Euro (nicht eingerechnet die 100 Milliarden aus der letztjährigen »Zeitenwende«). Zusätzlich hatte sich der Haushaltsausschuß schon am 29. März auf 12 Milliarden Euro Waffenhilfe für die Ukraine geeinigt, ein Drittel davon fließt der Bundeswehr zu, um die »Wiederbeschaffung«, sprich, den Ersatz von in der Ukraine zerstörtem deutschem Kriegsmaterial sicherzustellen.
Das wirkliche »Herzensprojekt« der NATO-Grünen brachte die »Koordinatorin für Internationales und Menschenrechte«, Agnieszka Brugger, zum Amtsantritt von Pistorius im Januar auf den Punkt: »Es gibt keine überzeugenden Gründe, die Leopard-Panzer im europäischen Verbund nicht zu liefern. Die Bundesregierung hat bei weiteren Beiträgen unsere vollste Unterstützung.«
Am 24. Februar dieses Jahres legte das Statistische Bundesamt Zahlen vor, die belegen, was ein Jahr Krieg die bundesdeutschen Steuerzahler gekostet hat: 4,24 Milliarden für Waffenlieferungen sowie etwa 3 Milliarden Euro an weiterer »finanzieller Unterstützung«, um den ukrainischen Staatshaushalt vor dem Bankrott zu bewahren. Noch lange nicht alles: Die Europäische Union gewährte der Ukraine insgesamt Finanzspritzen von 28,32 Milliarden Euro, wovon Deutschland ein Drittel an die EU überwiesen hat.
Im Juni beschloß die EU auf der »Ukraine Recovery Conference« in London weitere 50 Milliarden Euro als »finanzielle Reserve« für die nächsten vier Jahre. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellt dafür der deutschen Bundesregierung eine Rechnung über rund 16 Milliarden Euro. Eingekleidet in den beschönigenden Begriff der »Wiederaufbauhilfe« sorgt die EU nur zum geringsten Teil für die Instandsetzung ziviler Infrastruktur, sondern trägt Sorge für die »Risikominimierung« gegenüber »internationalen Finanzinstituten«, kümmert sich um die »Gewinnung neuer Investoren«, die Stabilität der Rentenzahlungen in der Ukraine und die »Unterstützung des ukrainischen Privatsektors«.
Zur Verbesserung des »Investitionsklimas« gewährt die EU Investitionsgarantien, das heißt, die großen Finanzinstitute und privaten Geldgeber aus aller Welt bekommen ihr Geld zurück, wenn ein Projekt nicht so läuft wie erhofft. Die deutsche Wirtschaftsplattform »Rödl & Partner« verweist am 16. Juni auf die Vorarbeiten der deutschen Bundesregierung: »Nach Angaben des deutschen Wirtschaftsministeriums sind zurzeit elf Projekte mit 21 Investitionsgarantien mit einer Kapitaldeckung von insgesamt 221 Millionen Euro durch die Bundesregierung abgesichert.«
Vor Verlusten braucht kein deutscher Kapitalist Angst zu haben. Die Bundesregierung hat im April ein umfassendes Kreditierungsprogramm für all jene auf den Weg gebracht, die in ihren Geschäftsbüchern Verluste im Ukraine-Geschäft verzeichnen. Das »Maßnahmenpaket der Bundesregierung für vom Krieg betroffene Unternehmen« wirbt mit der »Haftungsfreistellung für die Hausbanken«, niedrigen Zinssätzen und Zahlungsfreistellung für zwei Jahre.
Indes, der Hype um den aus Milliarden Steuermitteln geplanten Investitionsboom kann leicht in sich zusammenfallen. Schon vor dem Krieg galt die Ukraine als »Armenhaus Europas« mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) so groß wie das Berlins, mit einer Wirtschaftskraft, die 2020 so hoch lag wie schon 2008, mit einem signifikanten Korruptionsindex (Platz 122 von 180 Ländern) und einem Militärhaushalt im Jahre 2020 von circa 9 Prozent des BIP. Von den Milliarden, die das internationale Finanzkapital, Rüstungsgiganten und ukrainische Kriegsgewinnler in Zukunft scheffeln wollen, bleibt mit Sicherheit nichts in der Ukraine.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek