18. November 2024

Heiß und heißer

Selbstverständlich sind im Kapitalismus nicht alle Menschen gleich. Es gibt soziale Unterschiede und schreiende Ungerechtigkeit. Aber gilt das auch fürs Wetter? Aktuell richtet sich der Blick in die von Hitze geplagten Regionen der Welt, brennende Wälder und flüchtende Urlauber in Südeuropa. Aber trifft das Wetter nicht alle gleich, unter der Hitze leidet Arm wie Reich? Natürlich nicht.

Wie in anderen Lebensbereichen schafft es das kapitalistische System auch im Umgang mit Hitzewellen und Extremwettern nicht, für den Schutz der Menschen zu sorgen. Das trifft insbesondere Hilfsbedürftige. Das kapitalistische System trägt mit seiner Verschwendung, Planlosigkeit, Profitmaximierungslogik und Ausbeutung von Mensch und Natur erheblich zu Umweltzerstörung und Klimaveränderungen bei. Und auch bei der Bekämpfung der Folgen sind wir mit seinem Versagen konfrontiert.

Der Hitzerekord in Deutschland aus dem Jahr 2019 liegt bei 41,3 Grad. Anhaltende Temperaturen zwischen 35 und 40 Grad sind etwas, womit Menschen nicht ohne Weiteres klar kommen. Ihre körperliche und geistige Gesundheit wird gefährdet. Vor allem vulnerable Bevölkerungsgruppen wie Kleinkinder und ältere Menschen haben mit der Gefahr von Dehydratation, Herz- und Kreislaufproblemen und erhöhtem Sturzrisiko zu kämpfen.

Es liegt auf der Hand, dass Menschen mit knappen finanziellen Möglichkeiten, beengten Wohnverhältnissen und ohnehin eingeschränkter Mobilität besonders belastet sind. Die vergleichsweise günstige kleine Dachgeschosswohnung im Altbau wird zur Hitzefalle, in den Straßenschluchten zwischen Hochhäusern staut sich die Temperatur auf über 40 Grad und ohnehin vernachlässigte Stadtteile können von Grünflächen und Wasserinseln nur träumen. Nicht zu reden von den Containerlagern, in denen Flüchtlinge eingepfercht sind. Wenn es heiß ist, ist es für alle heiß. Aber Hitze fühlt sich im klimatisierten Bürokomplex nun mal anders an als auf der Baustelle unter freiem Himmel oder auf der Krankenhausstation im Dauerstress.

Nötig wären konkrete Schritte, um gefährdete Menschen in Hitzeperioden zu informieren und zu unterstützen, zum Beispiel durch ein kostenfreies Getränkeangebot und eine engere soziale Betreuung. Doch das passiert nicht. Vor allem nicht im vom Personalmangel geplagten Gesundheitswesen.

Sowohl die baurechtlichen Vorschriften für Krankenhäuser und Pflegeheime als auch Regelungen zur Unterstützung und zum Schutz des Personals bei Temperaturen von über 35 Grad sind ungenügend. Eine Pflicht zur Installation von Kühlsystemen und Klimaanlagen in Pflegeheimen gibt es nicht. Die Systeme müssten höheren Anforderungen als beispielsweise in Büros oder Einkaufszentren genügen. Zum Beispiel müssten sie konsequent und regelmäßig auch unter hygienischen Aspekten gewartet werden. Das ist teuer. Kosten, vor denen Heimbetreiber zurückschrecken.

Anstatt Hitzeschutz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen, bleibt der Umgang mit Extremwettern eine individuelle Angelegenheit und damit eine Frage persönlicher Möglichkeiten. Ob Zeit und Geld vorhanden sind, um die Seniorenwohnung mit einem Ventilator auszustatten, bleibt der Familie überlassen, die flächendeckende Ausstattung von Krankenhäusern und Pflegeheimen mit Klimasystemen wird unter Finanzierungsvorbehalt gestellt.

Strukturelle Probleme wie Personalmangel im Gesundheits- und Sozialwesen werden existenziell, wenn es darum geht, ob Menschen gerade in Hitzezeiten ausreichend zu trinken bekommen. Das Personal hat oft keine Zeit, Patienten oder ältere Menschen im Heim regelmäßig mit Flüssigkeit zu versorgen. Die Annahme, Menschen kämen unabhängig von ihrem materiellen Status gleich gut beziehungsweise gleich schlecht mit Hitzewellen zurecht, ist schlicht falsch. Der Staat tut wenig bis nichts, um Betroffene konkret zu unterstützen. Wenn schon alles andere in diesem System eine Klassenfrage ist, wieso sollte ausgerechnet der Umgang mit Hitze keine sein?

Quelle: Unsere Zeit

UmweltUZ - Unsere Zeit