Kein bißchen Frieden
Umringt von Raketenstellungen und unter dem Dach von Kampfflugzeugen der deutschen Bundeswehr beginnt heute in der litauischen Hauptstadt Vilnius ein zweitägiges Treffen der Staatenlenker der NATO-Mitgliedsländer. Das zur Schau gestellte Waffenarsenal, das »dem Schutz des Gipfeltreffen« dienen soll, steht gewissermaßen symbolisch für die ganze Veranstaltung.
Niemand glaubt ernsthaft, daß Rußland einen massiven Angriff auf die Versammlung führen werde. Beim Besuch des USA-Präsidenten in Kiew genügte eine kurze Verständigung über das, was vom im Kalten Krieg eingerichteten »Roten Telefon« übrig ist, um Moskau zu avisieren, daß es da einen Staatsbesuch geben werde. Ohnehin haben die russischen Truppen, die laut NATO-Sprech angeblich »die gesamte Ukraine vernichten« wollen, bisher in der ukrainischen Hauptstadt kein einziges Regierungsgebäude angegriffen, und die ungezählten Staatsbesuche aus aller Welt in Kiew verliefen sämtlichst ohne ernsthafte militärische Störungen.
Wenn also rund um Vilnius zusätzliche Raketen aufgestellt werden und Kampfjets über die Stadt donnern, dann ist das eher als eine »Demonstration der Stärke« gedacht. Gleichzeitig ist es eine Art »Pfeifen im Wald«, denn ebenso wie über dem jüngsten EU-Gipfel schwebt auch über dem NATO-Spitzentreffen das Gespenst der Uneinigkeit.
Die Probleme sind nicht nur zahlreich, sondern auch tiefgreifend. Das betrifft nicht nur die Themen auf der Tagesordnung, sondern auch eine Menge Details, die in Hinterzimmern diskutiert werden. Durch den Raum wabert vor allem die völlige Konzeptlosigkeit zum weiteren Verlauf des Krieges in der Ukraine. Der USA-Präsident redete am Montag in London von einer »Zeit nach dem Krieg«. Wie aber dieses »nach dem Krieg« erreicht werden soll, also wie dieser Krieg enden könnte, steht nach wie vor völlig in den Sternen. Es ist kaum anzunehmen, daß Premierminister Bettel es wagen wird, seine Aussage vom 27. Juni zu wiederholen, laut der »ein Waffenstillstand das Wichtigste« sei – zumal seine Begleiter in Vilnius, Außenminister Asselborn und Kriegsminister Bausch, sich bisher vor allem als Anhänger des Krieges hervorgetan haben.
Auch die Frage einer Mitgliedschaft der Ukraine im Kriegsbündnis ist umstritten. Präsident Selenski hat sogar einen Erpressungsversuch gestartet, indem er erklären ließ, er werde nur an dem Treffen teilnehmen, wenn er von der NATO eine Beitrittsgarantie erhält. Ob es bei der Zusage weiterer Waffenlieferungen über verbale Versprechungen hinausgeht, ist ebenfalls ungewiß, angesichts der Tatsache, daß die Waffendepots der NATO weitgehend leergefegt sind, und fast alle Staaten, die außerhalb der NATO Waffen und Munition produzieren, nicht einmal gegen viel Geld bereit sind, mit derartigen Lieferungen den Krieg weiter anzuheizen.
Bleibt zumindest ein Punkt, in dem man schon vor Tagungsbeginn eine Einigung erzielte. Das Vorhaben, zwei Prozent des Bruttinlandsprodukts für Rüstung und Krieg auszugeben, soll durch die NATO-Staaten nicht nur »angestrebt«, sondern zum verbindlichen Ziel erklärt werden.
Wenn also noch mehr Geld für Waffen bereitgestellt werden soll, dann ist zumindest auch klar, daß Lohnabhängige, Rentner, Arbeitslose und vor allem Jugendliche in Luxemburg und den anderen Mitgliedstaaten den Gürtel noch ein Stück enger schließen müssen. Aus Sicht der NATO soll es dabei bleiben, daß Rüstung und Krieg Vorrang haben vor dem Bedürfnis der Menschen nach Brot, Heizung und Wohnung.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek