18. November 2024

Mauern, Inhaftierung, Entrechtung: Die Flüchtlingspolitik der „europäischen Wertegemeinschaft“

Übernommen von DKP Bayern:

Ende 2021 haben SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag versprochen: „Wir wollen die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen beenden. […] Der Asylantrag von Menschen, die in der EU ankommen oder bereits hier sind, muss inhaltlich geprüft werden“. Viele, die auf den Straßen gegen die hetzerischen Forderungen eines Herrn Seehofer von der CSU nach Mauern rund um Europa demonstrierten, hatten sich erhofft, das werde nun besser mit der neuen Regierung. Doch nun wird seit Wochen in allen öffentlichen Kanälen wieder von einer „Flüchtlingskrise“ gesprochen. Gemeint sind nicht die Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine hierher geflüchtet sind, sondern all diejenigen, die aus Ländern wie Syrien, Afghanistan oder aus afrikanischen Staaten vor Krieg und Verfolgung, Hunger und Elend flüchten. In vielen dieser Länder verschärfen sich die Krisen, auch weil aufgrund der Sanktionen gegen Russland Düngemittel fehlen, Brot und Gas weniger und teurer geworden sind. Es kommen wieder mehr Flüchtende hierher. Und jetzt heißt es von Seiten der Ampelkoalition: „Die verlässliche Kontrolle der EU-Außengrenzen ist entscheidend, damit wir im Inneren ein Europa der offenen Grenzen bleiben können – und so eine der ganz zentralen Errungenschaften der EU erhalten können.“ (Innenministerin Faeser lt. Süddeutsche Zeitung vom 5. Juni 2023) Und weiter warnt sie: „Der Schengen-Raum ist sonst in ernsthafter Gefahr“. Schengen-Raum aber bedeutet: freier Verkehr von Waren, Personen und Dienstleistungen ohne Kontrolle an den Grenzen innerhalb der gesamten EU. Dies ist tatsächlich ein zentrales Anliegen der deutschen Wirtschaft, die mit permanenten Exportüberschüssen hauptsächlich vom europäischen Binnenmarkt profitiert.

Barbarische Zustände

Der Hintergrund ist, dass sich die 27 EU-Staaten seit Jahren auf keine neuen Asylregeln einigen können. So gilt das alte, längst gescheiterte Dublin-System, wonach jeder Flüchtling in dem Land Asyl beantragen muss, in dem er Boden der EU betritt. D.h. so gut wie nie in Deutschland, das Umgeben von anderen EU-Staaten ist, sondern eben in Italien, Griechenland, Polen usw. Diese Staaten reagieren einerseits damit, dass sie ankommende Flüchtende nicht registrieren und diese dann hier den Antrag auf Asyl stellen können. Bayern führt deshalb seit Jahren wieder Grenzkontrollen durch, die im Schengen-Raum doch nicht vorgesehen sind. Auf der anderen Seite versuchen Staaten an den Außengrenzen der EU mit allen Mitteln, geflüchtete Menschen daran zu hindern, ihr Land zu betreten. Kilometer lange, scharf bewachte Grenzzäune, Lager mit unerträglichen Zuständen, Seenotrettungsschiffe, die nicht anlanden dürfen, tausendfacher Tod durch Ertrinken, Zurückjagen oder -schlagen über die Grenze: das ist Alltag an den Grenzen der „Wertegemeinschaft“ EU. Barbarische Zustände, gegen die die aktuelle Regierung doch versprochen hat, vorzugehen.

Doch das Gegenteil passiert: statt das Dublin-System abzuschaffen und die geflüchteten Menschen in dem Land aufzunehmen, wo sie wollen, wurde nun auf EU-Ebene beschlossen, was die CSU schon seit Jahren fordert.

De-facto-Abschaffung des Rechts auf Asyl

Die EU-Staaten werden weiterhin verpflichtet, keine Asylsuchenden weiterziehen zu lassen. Dafür soll ein sog. „Solidaritätsmechanismus“ in Kraft treten, der eine Verteilung der Geflüchteten auf die EU-Staaten vorsieht, wenn ihnen ein Recht auf Asyl zugesprochen worden ist. Wie dieser Solidaritätsmechanismus genau ausschauen soll, ist aber noch umstritten.

Der Prüfung des Asylantrags wird eine Prüfung vorausgehen, ob die Geflüchteten überhaupt das Recht haben, einen Asylantrag zu stellen. Denn kommen sie etwa aus einem „sicheren Drittland“, auch wenn sie nur durchgefahren sind, sollen sie gleich wieder dorthin abgeschoben werden können. Die Liste der sicheren Drittstaaten soll gleichzeitig erweitert werden. Das Ganze soll verpflichtend in Aufnahmelagern an den Grenzen stattfinden, die einfach als extraterritoriales Gebiet definiert werden, also nicht als Gebiet eines EU-Staates, obwohl sie sich natürlich auf dem Gebiet eines EU-Staates befinden. Denn noch gelten EU-weit rechtliche Regelungen, die vorschreiben, dass jeder Asylantrag inhaltlich geprüft werden muss, der auf dem Boden eines EU-Staates gestellt wird. Genau das wird aber in Zukunft umgangen. In diesen Aufnahmelagern werden die Menschen interniert, bis das ganze Verfahren abgeschlossen ist. Flüchtlingsorganisationen haben kaum Zugang, die Geflüchteten kaum Möglichkeiten, Rechtsmittel einzulegen. Nicht die barbarischen Zustände an den Außengrenzen der EU werden abgeschafft, sondern de facto das Recht auf Asyl.

Auf heftigen Protest von Flüchtlingsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden, Rechtsanwälten hin, sah sich die Bundesregierung gezwungen, sich zumindest dafür einzusetzen, dass Familien und unbegleitete Kinder und Jugendliche nicht in diese Haftanstalten eingesperrt werden. Das gilt nun nur für letztere. Die Bundesregierung hat ihre Bedenken zu Protokoll gegeben – und zugestimmt. Wie gesagt, der Schengen-Raum könnte ja in Gefahr geraten.

Was zählt dagegen das Recht auf Schutz und Asyl von Menschen?

Was möglich wäre

Der Umgang mit den aus der Ukraine Geflüchteten zeigt, dass es möglich ist, viele hunderttausend Flüchtlinge ohne großes Geschrei aufzunehmen. Das komplizierte Asylverfahren entfällt, den Menschen wird die Freizügigkeit nicht genommen, viele kommen bei Verwandten oder Bekannten unter. Sie können einen Job suchen und wenn sie keinen finden, Unterstützung beantragen. Es geht also ohne die gesamte, rassistische Entrechtung von geflüchteten Menschen, wie sie hierzulande normalerweise erfolgt, wenn es politisch gewollt ist.
Doch es ist eben nicht gewollt. Auch bei Geflüchteten aus der Ukraine wird unterschieden: Nichtweiße Bürger afrikanischer Staaten, die in der Ukraine studiert haben und ebenfalls vor den Kriegsfolgen geflüchtet sind, genießen hier keinen Schutz und sind von Abschiebung bedroht.

gr | Artikel aus AufDraht Juni 2023

Quelle: DKP Bayern

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