Journalist und Medienwissenschaftler Ignacio Ramonet über kognitive Kriegführung
„Beim Krieg in der Ukraine haben sich die Massenmedien erneut freiwillig als Kombattanten und zusätzliche Kämpfer in die Schlacht begeben“, stellt der renommierte spanisch-französische Journalist und Medienwissenschaftler Ignacio Ramonet in einem ausführlichen Interview mit der in Berlin erscheinenden Tageszeitung junge Welt (Wochenendausgabe 2./3.9. 2023) fest. „Zum ersten Mal in der Geschichte der Kriegsberichterstattung treten an der Medienfront die sozialen Netzwerke in Erscheinung“, weist Ramonet dabei auf ein neues Phänomen hin. „Mit dem Krieg in der Ukraine werden die Bürger nicht nur mit der üblichen kollektiven und permanenten Kriegshysterie der traditionellen Mainstreammedien – mit ihren einheitlichen Botschaften und gleichlautenden Beiträgen – konfrontiert, sondern all das kommt zum ersten Mal durch ihre Handys, Tablets und Laptops zu ihnen. Und es sind nicht mehr nur Journalisten, sondern auch Bekannte, Verwandte und beste Freunde, die durch ihre Nachrichten in den Netzen dazu beitragen, die unaufhörliche kollektive Erzählung eines einzigen Diskurses zu verstärke.“
Der Medienwissenschaftler, der auch Ehrenpräsident des von ihm initiierten globalisierungskritischen Netzwerkes ATTAC ist, sieht diese Entwicklung vor dem Hintergrund von strategischen Überlegungen westlicher Militärthinktanks zur kognitiven Kriegführung. „Der Mensch selbst ist nun der umkämpfte Bereich. Ziel ist es, uns zu infiltrieren, indem Schwachstellen des menschlichen Gehirns ausgenutzt werden, wobei die ausgefeiltesten Mittel des Social Engineering in einer Mischung aus psychologischer Kriegführung und Informationskrieg ausgesetzt werden.“
Waren die sozialen Netzwerke zunächst Ausdruck einer Demokratisierung der Kommunikation, so sieht Ramonet in der damit verbundenen tiefgreifenden Veränderung der Art und Weise des Kommunizierens und Informationen Konsumierens inzwischen eine Gefahr für die Demokratie. „Desinformation und Manipulation drohen mehr denn je“, zeigt sich der Journalist überzeugt.
„Das neue Informationssystem beflügelt einige der schlimmsten Instinkte der Menschen. Wir verlieren die Fähigkeit, zwischen Fakten, Meinungen und reiner Fiktion zu unterscheiden“, so Ramonet, der diesbezüglich pessimistisch nach vorn blickt. „In Zukunft wird derjenige, der die Künstliche Intelligenz kontrolliert, auch die Wahrheit kontrollieren.“
Quelle: junge Welt via Presseportal