PRO ASYL zur Krisenverordnung: Abkehr der Bundesregierung vom Koalitionsvertrag und Menschenrechten
Beim Treffen der EU-Innenminister*innen im Rat der EU am 28. September 2023 wurde die lange umstrittene Krisenverordnung trotz massiven zivilgesellschaftlichen Protests zwischen den Mitgliedstaaten vereinbart. In Zeiten von Krise, „höherer Gewalt“ oder „Instrumentalisierung“ sollen Ausnahmeregeln gelten, die das Recht auf Asyl weitgehend aushebeln. Auch die Bundesregierung stimmt den Verschärfungen der GEAS-Reform zu und verabschiedet sich damit vollständig vom Koalitionsvertrag im Bereich der EU-Flüchtlingspolitik – hierfür kann sie noch nicht einmal einen Verhandlungserfolg in Brüssel vorweisen.
„Die Zustimmung der Bundesregierung zur Krisenverordnung ist ein dramatisches Signal, dass Menschenrechte keine Rolle mehr spielen. Während die Ampel-Regierung sich im Koalitionsvertrag noch vorgenommen hatte, rechtswidrige Pushbacks und das Leid an den Außengrenzen zu beenden, stimmt sie nun einer Verordnung zu, die genau dies massiv verschärfen würde. Damit knickt sie auch vor den rechten Hardlinern in der EU ein, die erneut erfolgreich ihre Agenda durchgesetzt haben. Das macht uns weniger als ein Jahr vor der Europawahl wirklich Angst“, kommentiert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.
Die Bundesregierung und die EU dürfen sich nicht weiter von rechten Kräften treiben lassen, die fluchtpolitische Themen für ihre (Wahlkampf-)Zwecke instrumentalisieren. Wer Forderungen von Rechtspopulist*innen übernimmt, trägt zur gesellschaftlichen Normalisierung rechter und rechtsextremer Positionen bei. Hierzu gehört insbesondere die Infragestellung grundlegender Menschenrechte wie dem Recht auf Asyl. Es ist eine Fehlannahme, dass man rechten Parteien durch eine noch restriktivere Flucht- und Migrationspolitik das Wasser abgraben könnte – das Gegenteil ist der Fall.
„Wenn aktuell tagtäglich mit menschenrechtswidrigen Vorschlägen die Grenzen des Denkbaren, Sagbaren und Machbaren verschoben werden, wird das Wertefundament der EU ausgehöhlt. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich“, warnt Wiebke Judith zur aufgeheizten öffentlichen Debatte. Auf Worte folgen Taten – die Zahl der Angriffe auf Geflüchtete ist in Deutschland und der EU beängstigend.
Das sieht die Krisenverordnung konkret vor
Im Falle einer (drohenden) „Krise“ sowie bei einer behaupteten „Instrumentalisierung“ durch staatliche oder nichtstaatliche Akteur*innen können Asylregistrierungen drei bzw. vier Wochen ausgesetzt werden. In Verbindung mit den bereits im Schengener Grenzkodex im Rat geeinten Verschärfungen im Fall einer „Instrumentalisierung“ (Schließung von Grenzübergängen und verstärkter Grenzüberwachung zur Verhinderung von „illegalen Einreisen“) ist dies ein Rezept für massive Pushbacks. Eine neue Verschärfung ist bei der Definition einer Instrumentalisierung wohl auch zuletzt reingekommen: Wenn humanitäre Aktionen wie Seenotrettungsmaßnahmen nicht nach „europäischen Standards“ verlaufen, können auch sie als solche Instrumentalisierung eingestuft werden, womit die ganzen Einschränkungen für die geretteten Schutzsuchenden auch anwendbar wären. Dies könnte zukünftig von rechten Regierungen wie in Italien gezielt genutzt werden.
Wer es trotz Grenzgewalt und Pushbacks überhaupt schafft während einer solchen „Krise“ oder „Instrumentalisierung“, einen Asylantrag zu stellen, wird anschließend an den Grenzen inhaftiert. Im Falle einer Krise kann dies alle Schutzsuchenden aus Herkunftsstaaten mit einer Schutzquote von bis zu 75 Prozent treffen, im Falle einer „Instrumentalisierung“ ausnahmslos alle asylsuchenden Kinder, Frauen und Männer. Insgesamt könnten schutzsuchende Menschen auf diese Weise bis zu zehn Monate an den Außengrenzen inhaftiert werden. Eine Änderung in letzter Minute in den Vorschlägen ist, dass nun nicht mehr abgesenkte Unterbringungsstandards in dieser Zeit gelten sollen. Allerdings hat die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt, dass bei monatelanger Haft oder Unterbringung an den Außengrenzen regelmäßig gegen solche Standards verstoßen wird und die EU nichts dagegen unternimmt.
Auf Basis der heute vereinbarten Position im Rat der EU werden nun die Verhandlungen mit dem Europaparlament beginnen (sogenannter Trilog). Das Europaparlament hatte im April 2023 jedoch eine deutliche andere Position zur Krisenverordnung beschlossen, die unter anderem einen neuen sofortigen Schutz asylsuchender Menschen vorsah sowie eine verbindliche Verteilung von Schutzsuchenden und keine Ausnahmen im Fall von „höherer Gewalt“ und auch keine Verschärfungen im Fall einer „Instrumentalisierung“. Die Verhandlungen dürften somit schwierig werden.
Mehr Informationen zur Krisen- und Instrumentalisierungsverordnung finden Sie hier.
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Quelle: Pro Asyl