23. November 2024

Der Fall Aiwanger: Ein negativer Höhepunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte?

Übernommen von DKP Bayern:

Vermutlich hätten die Vorwürfe um Aiwangers Nazi-Flugblatt vor über 35 Jahren, von dem er möglicherweise der Urheber ist, oder auch nicht, kaum Aufsehen erregt, wenn nicht in Bayern Landtagswahlen gewesen wären.

So nannte der Spitzenkandidat der bayerischen SPD, Florian von Brunn, den Fall Aiwanger einen „negativen Höhepunkt“ in der deutschen Nachkriegsgeschichte und erklärte auf seiner Homepage, im Zuge der Enthüllungen der Süddeutschen Zeitung: „Es ist unvorstellbar, dass ein Verfasser derartiger Zeilen im Bayerischen Landtag sitzt oder auch nur einen Tag länger ein öffentliches Amt in unserem Land bekleidet.“ Angesichts dessen lohntes sich schon einmal den Blick zurückzurichten und sich wieder bewusst zu werden, wie es sich mit Nazis in öffentlichen Ämtern der Bundesrepublik verhielt.

Das von den Alliierten beschlossene Potsdamer Abkommen sah die Entnazifizierung aller Besatzungszonen, die Entfernung von Naziverbrechern aus allen öffentlichen Positionen in ganz Deutschland und den Aufbau einer friedlichen, demokratischen Republik vor. Doch stattdessen fanden sich im Staats- und Verwaltungsdienst der jungen Bundesrepublik viele Persönlichkeiten wieder, die eine zutiefst braune Vergangenheit hatten und nicht nur faschistische Hetze in Flugblättern verbreiteten, sondern die an den ungeheureren Menschheitsverbrechen des NS-Regimes mitschuldig waren. 15 Minister und Staatssekretäre, 100 hohe Offiziere, 828 hohe Justizbeamte, Staatsanwälte und Richter, 245 leitende Beamte des Auswärtigen Amtes, der Bonner Botschaften und Konsulate, sowie 297 hohe Beamte der Polizei und des Verfassungsschutzes, waren bereits in den 1950er und bis Mitte der 1960er Jahre bekannt. Und von vielen anderen wusste man damals noch gar nichts. (Quelle: ,,Braunbuch Kriegs- und
Naziverbrecher in der Bundesrepublik“, 1965)

Wenn Herr von Brunn richtig schlussfolgert, dass das möglicherweise von Herrn Aiwanger verfasste Flugblatt „die Millionen Opfer des Holocausts und der Nazi-Diktatur auf das Übelste verunglimpft ( … )“,
so können wir feststellen, dass es wohl die größte Verhöhnung der Opfer des NS-Regimes war und ist, dass in der Bundesrepublik der Auftrag des Potsdamer Abkommens, die konsequente Entnazifizierung, nie wirklich ernsthaft umgesetzt wurde. Während die Opfer des NS-Regimes teilweise erneut in die Gefängnisse der Bundesrepublik wanderten, im Zuge der Kommunistenverfolgung in den 1950er und 1960er Jahren, machten tausende NS-Verbrecher Karriere in der Bundesrepublik. Und das auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens! Zu viele von ihnen wurden nie bestraft für ihre Mitverantwortung an den Verbrechen des Nazi-Regimes.


Exemplarisch möchten wir hier nur mal einige der Persönlichkeiten vorstellen, die ihre NS-Vergangenheit
nicht daran hinderte in der Bundesrepublik politische Karriere zu machen.

Carl Carstens, ehemals Präsident des Deutschen Bundestages und Bundespräsident, ab 1933 SA- und ab 1940 NSDAP-Mitglied

Kurt Georg Kiesinger, ehemals Bundeskanzler und ab 1933 NSDAP-Mitglied

Alfons Goppel, bayerischer Innenminister und Ministerpräsident, ab 1933 SA-, und ab 1937 NSDAP Mitglied

Werner von Bargen, ab 1933 NSDAP-Mitglied. Später Botschafter der Bundesrepublik Deutschland

Walter Becher, NSDAP-Mitglied ab 1931. Nach 1945 Vorsitzender des faschistischen „Witikobundes“. Landtagsabgeordneter in Bayern für die faschistischen Parteien „Deutsche Gemeinschaft“ (DG) und „Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (GB/BHE). Sprecher der neonazistischen und revanchistischen „Sudetendeutschen Landsmannschaft“ und von 1965-1980 Mitglied des Deutschen Bundestages für die CSU.

Hans Maria Globke, deutscher Verwaltungsjurist. Während des Faschismus im preußischen und im Reichsinnenministerium als hoher Beamter tätig. Globke beteiligte sich maßgeblich an der Gleichschaltung Preußens mit dem NS-Regime und war Mitverfasser der „Nürnberger Rassegesetze“ und weitererzahlreicherantisemitischer „Blutschutzgesetze“, die die jüdische Bevölkerung in Vorbereitung auf die Ermordung in den Konzentrations- und Vernichtungslagern entrechteten. Von 1953 bis 1963 war er Chef des Bundeskanzleramtes unter Konrad Adenauer. Er galt als „graue Eminenz“ der Regierung Adenauer und war als persönlicher Vertrauter des Bundeskanzlers für Personalpolitik, Kabinettsarbeit, die Einrichtung und Kontrolle von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz sowie für Fragen der CDU-Parteiführung zuständig. Obwohl schon zu dieser Zeit seine Verstrickungen in die Verbrechen des NS-Regimes aus dem Ausland immer wieder heftig kritisiert wurden, hielten die Bundesregierung und die von ihm geschaffenen Geheimdienste , aber auch die CIA, stets ihre schützende Hand über ihn.

(Quelle: Wikipedia, „Liste ehemaliger NSDAP-Mitglieder, die nach Mai 1945 politisch tätig waren„)

Ma | Artikel aus AufDraht Oktober 2023

Quelle: DKP Bayern

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