„Es geht um den Marxismus als Methode“
Am 13. Januar ist es wieder soweit. In Berlin beginnt das Luxemburg-Liebknecht-Wochenende mit der Rosa-Luxemburg-Konferenz der Tageszeitung „junge Welt“. Die Konferenz, unterstützt von 30 Organisationen, darunter DKP und SDAJ, erwartet einen Besucherrekord mit bis zu 4.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. UZ sprach mit Stefan Huth, Chefredakteur der „jungen Welt“, über die Konferenz und die Klage des Verlag 8. Mai gegen die Bundesrepublik Deutschland.
UZ: Eine Druckerei hat der DKP zuletzt den Druck von Bechern mit dem Porträt von Rosa Luxemburg verweigert. Die DKP sei „verfassungsrechtlich bedenklich“. Die Tageszeitung „junge Welt“ (jW) kennt diese Art der Ausgrenzung. Ihre Verbreitung wird zum Teil behindert. Was sind jüngste Beispiele?
Stefan Huth: „junge Welt“ gilt dem Inlandsgeheimdienst als „gesichert linksextremistisch“ und wird, mit diesem Label versehen, alljährlich im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz genannt. Aber nicht nur die Zeitung selbst, auch die jW-Genossenschaft und der Verlag 8. Mai, in dem die Zeitung erscheint, werden dort gelistet.
Das dient natürlich vor allem der Brandmarkung und bleibt nicht ohne entsprechende Konsequenzen. Zuletzt hat uns die Stadt Hamburg Werbung im öffentlichen Raum untersagt, konkret ging es um Plakatierungen. Die Uni Hamburg hat im April 2023 der Veranstaltung „Wir wollen unsere Welt zurück“ die Räume entzogen, unter anderem mit der Begründung, die „verfassungsfeindliche“ jW sei Medienpartnerin. Aktuell befinden wir uns in einem Rechtsstreit mit dem Sender RBB. Der hatte im Frühjahr 2022 unter Berufung auf den Verfassungsschutz und unsere Klage gegen das Amt vertraglich vereinbarte Radiowerbespots abgesetzt und dadurch einer crossmedial angelegten Abo-Kampagne einigen Schaden zugefügt. Immer wieder hören wir auch von Bibliotheken, die auf öffentlich zugänglichen Rechnern die jW-Website sperren. Das sind nur einige Beispiele, die Liste ließe sich deutlich verlängern.
Die ökonomischen Folgen solcher Maßnahmen sind laut Auskunft der Bundesregierung durchaus erwünscht: Erklärtermaßen soll uns als „bedeutendstem und auflagenstärkstem Medium im Linksextremismus“ der „Nährboden“ entzogen werden. Aber nicht jeder Schaden ist messbar, zum Beispiel die Zahl an Abonnements, die von interessierten Leserinnen und Lesern aus Furcht vor möglichen Konsequenzen nicht abgeschlossen werden.
UZ: Der Verlag 8. Mai hat ein Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Nennung in den jährlichen Verfassungsschutzberichten angestrengt. Wie begründet ihr die Klage?
Stefan Huth: Der Geheimdienst bestreitet, dass „junge Welt“ eine Zeitung, ein journalistisches Produkt, ist und behauptet, es handle sich um eine „Struktur“, einen „Personenzusammenschluss“, der die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ bekämpfe und aktiv das Ziel verfolge, die gesellschaftlichen Verhältnisse umzustürzen. Wir widersprechen dem unter Berufung auf die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Presse und wehren uns mit guten Argumenten gegen die staatlichen Kriminalisierungsversuche.
Weder in den VS-Berichten noch in den bisher eingereichten anwaltlichen Schriftsätzen tauchen handfeste Belege für die Vorhaltungen auf, es gibt nur Geraune, Mutmaßungen und mitunter groteske Vorhaltungen. So wird angeführt, dass wir Juan Guaidó nicht als rechtmäßigen Präsidenten Venezuelas anerkennen, dass in der jW vom „DDR-Anschluss“ und von der Überwindung des Kapitalismus die Rede ist. Letztlich geht es aber um den Marxismus als Methode der Welterkenntnis und -veränderung, an dem wir uns in unserer journalistischen Arbeit orientieren. Dieser wissenschaftliche Ansatz soll mit Argumenten aus den 1950er Jahren bekämpft werden, die schon damals untauglich waren. So heißt es etwa, die Rede von „Klassen“ verstoße gegen die Menschenwürde. Vollkommen absurd. Das kann natürlich generell gegen kritische Wissenschaft angewandt werden – und wird von deren Vertretern auch so verstanden: Der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hat eine sehr deutliche Stellungnahme zu unserem „Fall“ verfasst.
Das Vorgehen des Inlandsgeheimdienstes ist simpel und durchsichtig: Er rechnet alle in der „jungen Welt“ veröffentlichten, vermeintlich „verfassungsfeindlichen“ Positionen Dritter umstandslos inhaltlich der Redaktion zu, erkennt aber nicht an, dass wir durchaus eine Vielfalt politischer Perspektiven abbilden, regelmäßig etwa auch kritische Vertreter des Bürgertums, Gewerkschafter oder Christen zu Wort kommen lassen. Zum Glück mehren sich inzwischen auch bürgerliche Stimmen, die feststellen, dass der Verfassungsschutz selbst verfassungsfeindlich ist. Spätestens die NSU-Morde und die ungeklärte Rolle des Inlandsgeheimdienstes dabei haben offenbar viele nachdenklich gemacht.
UZ: Mit einer erstinstanzlichen Entscheidung ist im ersten Quartal 2024 zu rechnen. Was sind eure Erwartungen?
Stefan Huth: Der Rechtsruck in diesem Land hat auch die juristischen Apparate erfasst, insofern gehen wir davon aus, dass unsere Klage vom Verwaltungsgericht Berlin abgewiesen wird. Eine von uns geforderte einstweilige Anordnung gegen die weitere Nennung in den VS-Berichten wurde mit haarsträubenden Begründungen abgeschmettert, so dass wir von dieser Instanz wohl keine Entscheidung in unserem Sinne zu erwarten haben. Aber wir drängen auf ein rasches Urteil, denn das Verfahren zieht sich schon seit September 2020 hin, unterdessen legt der VS immer neue Berichte vor, auf die wir, aber auch die Gegenseite inhaltlich reagieren müssen. Das könnte so noch ewig dauern. Wir wollen Klarheit und sind entschlossen, durch alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht zu gehen, im Zweifelsfall auch bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg.
UZ: Politisch geht es darum, sich den öffentlichen Raum nicht nehmen zu lassen. Die Bedeutung der Rosa-Luxemburg-Konferenz (RLK) als Treffpunkt der außerparlamentarischen Linken ist auch deshalb in diesen Zeiten sehr wichtig. Was macht den Erfolg der Konferenz aus?
Stefan Huth: Die Linke hierzulande hat ja zur Zeit nur wenig Rückenwind, insofern sehen viele Leute in dieser Konferenz einen Ort, um in Kontakt zu kommen, politische Anregungen zu empfangen, auch sich zu vergewissern, dass man in der gegenwärtigen Misere nicht allein ist, das spendet Mut und Kraft. Die Masse an Besuchern, die jedes Jahr wächst, ist wirklich beeindruckend, und es ist ja keine reine jW-Konferenz, auch wenn wir Veranstalter sind. Mehr als 30 linke Organisationen tragen durch vielfältigste Unterstützung zum Gelingen bei. Mit dem Tempodrom hoffen wir am 13. Januar den bisherigen Rekord zu brechen – der Saal fasst rund 4.000 Leute, das ist schon ein Zeichen, auch über Deutschlands Grenzen hinaus.
Die RLK hat sich als Neujahrsempfang der deutschsprachigen Linken etabliert, aber sie ist eine internationale Konferenz, die mit interessanten Referentinnen und Referenten aus verschiedenen Kontinenten andere Perspektiven und Sichtweisen bietet, sich gegen Sozialraub, Faschismus und imperialistische Kriege wendet.
UZ: Was sind für dich in diesem Jahr besonders wichtige Programmpunkte?
Stefan Huth: Die Konferenz hat viele Highlights zu bieten, politisch wie kulturell. Persönlich bin ich sehr gespannt auf den Vortrag von Ignacio Ramonet, dem wir einen wichtigen Interviewband mit Fidel Castro verdanken und der auf der Konferenz über Machtergreifungsstrategien reaktionärer Kräfte in den USA und in anderen Ländern sprechen wird. Heruntergebrochen auf deutsche Verhältnisse wird das auch Thema der Podiumsdiskussion unter dem Motto „Wer stoppt die Rechten?“ sein, von der ich mir gute Analysen und klare Statements erhoffe. Ein kultureller Höhepunkt wird zweifellos der Auftritt des Songpoeten Wenzel, ein großer Künstler, der in der Friedensfrage immer klaren Kurs gehalten hat.
UZ: Im Rahmen der Konferenz gibt es eine Manifestation für einen gerechten Frieden in Nahost mit Jeremy Corbyn und dem Liedermacher Calum Baird. Was ist geplant?
Stefan Huth: Die RLK reagiert immer auch auf aktuelle politische Lagen, insofern war sofort klar, dass die entsetzlichen Kriegsverbrechen, die die israelische Armee gerade in Gaza verübt, im Januar zentrales Thema sein müssen. Wir laden alle Besucherinnen und Besucher der Konferenz ein, dort gemeinsam mit Jeremy und Calum, der deutsch-palästinensischen Künstlerin und Autorin Faten El-Dabbas und Wieland Hoban, dem Vorsitzenden der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“, Position zu beziehen und ein starkes Signal für den Frieden auszusenden. Es sollen antimilitaristische Transparente, Spruchbänder und Plakate mitgebracht werden, die bei der Manifestation die Breite und Vielfalt der Friedensbewegung zeigen – und vor allem, dass Gegenwehr möglich ist.
Weitere Informationen zur Klage des Verlag 8. Mai gegen die BRD unter: www.jungewelt.de/keinmarxistillegal
Quelle: Unsere Zeit