27. Dezember 2024

„Der Himmel ist blau. Kann sein“

Übernommen von Zeitung der Arbeit:

Anmerkungen zu einem neu aufgelegten Buch über antifaschistischen Frauenwiderstand von unserem Gastautor Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i. R. für Geschichte an der Universität Innsbruck.

Das Vorher des Frauenwiderstands

Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei hat es als Parteiorganisation des deutschen Faschismus gut verstanden, Frauen für ihre mörderische Agenda zu gewinnen. Adolf Hitler hat 1936 (26. Jänner) in einem Interview mit einer französischen Journalistin behauptet, in einem nationalsozialistischen Staat werden die Frauen „das gleiche Recht“ wie die Männer haben, auch wenn er nicht glaube, „dass sie ihnen ähnlich sind“. Am ersten Reichsjugendtag der NSDAP in Potsdam (1./2. Oktober 1932) marschierten „Hitler-Jungen und Hitler-Mädel“ gemeinsam auf. „Die Arbeit ehrt die Frau wie den Mann. Das Kind aber adelt die Mutter“ waren einnehmende Worte des aus Österreich stammenden, als Messias verehrten Führers (31. Juli 1932), zumal die antisemitische und rassistische Komponente beiseitegelassen und bewusst oder unbewusst an religiöse Wurzeln dieses Frauenbildes („Muttertag“) angeknüpft wird. Der Kontext des nationalsozialistischen Planes, den Osten mit den Kindern der „reinrassigen“ deutschen Frauen zu germanisieren, war zu dieser Zeit nicht erkennbar. Die deutschen Frauen wurden wie die deutschen Männer vom Faschismus jedenfalls mit Illusionen als Täterinnen und Opfer zugleich eingebunden. Fundament der deutschen Leitkultur war die vom Industriekapital, insbesondere von der Rüstungsindustrie betriebene Einbindung der Frauen für Aufrüstung und Krieg. Das Signal des vom Deutschen Reich ausgehenden 2. Weltkrieges (1. September 1941) war das Bombardement deutscher Bomber auf die Zivilbevölkerung von Guernica (26. April 1937).

Frauen ergreifen 1984/1985 die Initiative für ein authentisches Buch über den Frauenwiderstand

In Österreich wurde nach der Niederlage des deutschen Faschismus die Losung verbreitet, es werde aus der zerstörten Heimat ein neues Österreich mit neuen Menschen aufgebaut werden. Der Wille des österreichischen Volkes war, ein unabhängiges und demokratisches Land aufzubauen. In der Regierungserklärung vom 21. Dezember 1945 heißt es: „Das Österreich von morgen wird ein neues, ein revolutionäres Österreich sein. Es wird von Grund auf umgestaltet und weder eine Wiederholung von 1918 noch von 1933 noch eine von 1938 werden“. Und die Frauen? Nach dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (1811) gab es in diesem neuen Österreich im Gegensatz z. B. zur Deutschen Demokratischen Republik keine Gleichberechtigung von Frau und Mann. Die Ehefrau blieb ihrem Ehemann weiterhin Gehorsams pflichtig und durfte ohne dessen Erlaubnis keine Arbeit außerhalb des Haushalts annehmen (bis 1975!). Öffentlich und privat wurde das überkommene, nicht nur vom Nationalsozialismus geprägte Bild der Männlichkeit weiter produziert. Nach der Erstveröffentlichung dieses Buches resümiert Elisabeth Holzinger in der „Stimme der Frau“ (5/85): „Wir haben unterschiedliche Motive der Frauen, am Widerstandskampf teilzunehmen, festgestellt. Die politische Überzeugung oder humanitäre Gründe, einfach der Wunsch, ein Mensch zu bleiben. Aber ein wichtiges Ergebnis unserer Arbeit ist auch, dass die überwiegende Mehrheit der Widerstandskämpferinnen nicht ertragen wollte, dass Österreich einfach ausgelöscht wird. Das heißt, dass die patriotische Gesinnung der Frauen besonders ausgeprägt war, und dass sie durch ihre Arbeit im Widerstand für ein demokratisches Österreich gekämpft haben“.

Der Einsatz jener Männer und Frauen, die für die Befreiung Österreichs einen substanziellen Beitrag geleistet haben, wurde in die Vergessenheit gedrängt, manchmal sogar verleumdet, wie der österreichische Schriftsteller Friedrich Heer noch 1964 bitter beklagt hat. Das gilt in erster Linie für jene Frauen, welche die vorgezeichnete Rolle der Frau in der herrschenden Leitkultur in Frage gestellt und bewusst Widerstand geleistet haben. Aber wie und wo sollten sich diese Frauen denn zu Wort melden und von ihren Erfahrungen berichten?

Inspiriert von der erwachenden Frauenbewegung trafen sich 1984 die vier Wienerinnen Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik und Lisbeth N. Trallori, um über ein gemeinsames feministisches Projekt zu diskutieren. Ihre Idee war es, den Spuren von widerständigen Frauen mit Befragungen nachzugehen. Dieser Plan wurde nach einem Probeinterview mit der damals 82jährigen Wiener Kommunistin Anni Haider, die als Mitglied einer kommunistischen Widerstandsgruppe verhaftet, gefoltert und zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, in die Tat umgesetzt. Anni Haider hatte im Inquisitenspital im Wiener Landesgericht gemeinsam mit der am 30. März 1943 geköpften katholischen Ordensschwester Restituta (Maria Restituta Kafka), für die Alfred Hrdlicka in der abseits vom Touristenstrom in der Barbarakapelle des Wiener Stephansdoms eine zum Innehalten auffordernde Skulptur geschaffen hat, den politischen Gefangenen Zuspruch und Verpflegung gegeben. In ihrer in der „Stimme der Frau“ (17. August 1946) veröffentlichten Rundfunkrede erzählte Anni Haider über ihre Begegnung mit Schwester Restituta: „Einmal war es, dass Restituta zu mir sagte: ‚Aber Haider, ich glaube, du bist doch vielleicht anders, als andere Kommunisten!‘ ‚Warum?‘ ‚Weil du mir doch nie etwas sagst, wenn ich bete. Wenn ich mit meinem Herrgott spreche‘. ‚Liebe Restituta‘, erwiderte ich, ‚hast du jemals ein ungerechtes Wort zu mir, der Kommunistin, gesprochen? – Nein! Siehst du in mir nicht immer nur den Menschen, nicht die oder jene Parteiangehörige, die Parteiinteressen vertritt? Achtest du in mir nicht vor allem nur den Menschen, der gleich dir das große Menschenleid lindern helfen möchte und für die Menschheit das beste will. Und wenn du diesen Menschen gefunden hast, dann darum, weil ich und auch meine Partei Religion als etwas ansehen, was nur den gläubigen Menschen etwas angeht, seine persönliche Angelegenheit ist. Gemeinsames Leid hat mich und dich, Restituta, zusammengeführt. Eine Freundschaft ist entstanden, weil wir beide Österreicherinnen waren‘.“

1985 wurde dieses innovative Wiener Frauenprojekt als Buch mit Zeugnissen von 100 Frauen, von Arbeiterinnen, Bäuerinnen, Lehrmädchen und Studentinnen, die sich mit unterschiedlicher Herkunft und Motivation mutig und konkret für Menschlichkeit eingesetzt haben, veröffentlicht. Frauen erzählen über die Beschaffung von Lebensmitteln, über Nachrichtenübermittlungen an PartisanInnen oder über die Sammlung von Geldmitteln für die Rote Hilfe oder über Fluchthilfe von Inhaftierten.

Allen Frauen war das große Risiko, das sie eingegangen sind, bewusst. Hinrichtungen von WiderstandskämpferInnen aufgrund der Urteile des Volksgerichtshofes wurden mit Wandpapieren öffentlich gemacht, z. B. jene der 32jährigen Hedwig Urach, des 28jährigen Wladimir Zoul und des 31jährigen Franz Tesarik, die als Mitglieder des kommunistischen Widerstands am 17. Mai 1943 geköpft wurden. >Mich könnt ihr löschen, aber nicht das Feuer<, ist die von Willi Weinert erarbeitete Sammlung von Biografien der im Wiener Landesgericht hingerichteten WiderstandskämpferInnen (4. A. 2017). Dort finden sich Angaben auch über das kurze Leben jener Kriegsgegner aus der österreichischen „Gruppe Soldatenrat“ Ernestine Diwisch (* 1921), Fritz Muzyka (* 1921), Alfred Rabofsky (* 1919) und Anna Wala (* 1891), die nach einem halben Tag Verhandlung vor achtzig Jahren zum Tode verurteilt und am 8. Februar 1944 hingerichtet worden sind. Das von der „Gruppe Soldatenrat“ im Oktober 1941 verbreitete Flugblatt „Hitler hat den Krieg schon verloren“ hat den besonderen Zorn der deutschen Faschisten geweckt. Der die anwesenden Mütter niederbrüllende Ankläger war der Vertreter des Oberreichsanwalts Gerd Lenhardt, der nach 1945 in der Bonner Republik wegen dieser und anderen Justizverbrechen nicht zur Verantwortung gezogen wurde und im Justizdienst verbleiben konnte.

Manche Frauen hatten ein Gespräch, das nach längerem Kennenlernen etwa drei bis vier Stunden dauerte, abgelehnt, weil sie mit ihrem traumatischen Erleben nicht noch einmal konfrontiert werden wollten. Eine Auswahl musste getroffen werden. Etwa die Hälfte der Frauen, deren Interviews veröffentlicht wurden, war zur Zeit der Okkupation Österreichs durch die deutsche Wehrmacht jünger als 20 Jahre alt, zur Zeit der Befragung waren sie zwischen 60 und 80 Jahren alt. Gerade weil diese Gespräche nicht professionell sozialwissenschaftlich glossiert sind, tut sich einem Alt- Historiker ein faszinierender Einblick in die Welt des weiblichen Widerstandes auf, in dessen Zentrum die beispielgebende Solidarität von Frauen mit den Opfern des faschistischen Systems und deren Mut steht.

So erfährt man im Buch über die Rückkehr der aufgrund ihrer Tätigkeit in der illegalen KPÖ in Wien organisierte und 1939 verhafteten Hilfsarbeiterin Maria Bures (* 1902) aus dem KZ Ravensbrück. Von ihrer illegalen Tätigkeit hat ihr Ehemann nichts gewusst, aus konspirativen Gründen, aber auch weil er es abgelehnt hätte: „Wie ich dann 45 von Ravensbrück heimkommen bin, hat mein Mann nichts mit mir geredet. Ich war enttäuscht von ihm. Bei seiner Mutter hab ich auf ihn gewartet. Na, und dann kommt er wirklich. Er kommt rein, ich hab so eine Freud gehabt, weil er ein schöne Bua war, net, ich hab ihn aus Liebe geheiratet. Er geht ins Zimmer, ich geh nach, er gibt mir keinen Kuß, sagt nur, hast dich gebessert? Das kann net wahr sein, das hat gar nicht wahr sein können. Aber es war wirklich wahr, es war aus, die Freud war aus“ (S. 87).

Die aus einer Wiener Arbeiterfamilie stammende Grete Mikosch (* 1916), deren Bruder Johann Nirschi (* 1912) 1944 wegen „Wehrkraftzersetzung“ hingerichtet wurde, absentierte sich von Dienstverpflichtungen mit erfinderischen Krankmeldungen und betreute einen von ihren Verwandten und Genossen versteckten „jüdischen Freund“. Ihr heute in Kuba lebende Sohn Hans Mikosch (*1948) erinnert sich an seine Mutter und schreibt von dort dem Autor: „Sie alle hatten Glück und vor allem viel Mut! Einmal bei einem Fliegeralarm, es galt schon Ausgangssperre, war sie mit ihm zu sich nach Hause unterwegs – im Luftschutzkeller des Gemeindebaus war er auch den Nachbarn als ‚ein Freund meiner Mutter‘ bekannt und toleriert – und eine Motorradstreife kam vorbei. Sie mimten ein intensives Liebespaar und entkamen der Kontrolle. Diese wäre für alle Beteiligten tödlich gewesen – damals war ihr Bruder nach einem Hochverratsprozess schon hingerichtet, also was hätte sie und auch ihre Mutter da noch zu erhoffen?“

Die dem Buch seinen Titel gebende, in Frankreich als Mitorganisatorin einer Widerstandsgruppe verhaftete, im Elend von Wien aufgewachsene Studentin und Gelegenheitsarbeiterin Mali Fritz (*1912) sagte dem vernehmenden Gestapo-Referenten nichts: „Wenn er mir gesagt hätte, der Himmel ist blau, hätt ich gesagt: Kann sein. Unter keinen Umständen hätt ich der Gestapo was zugegeben“ (S. 248). Es bleibt den LeserInnen unbenommen, bei einer solchen Erzählung Leid und Angst mitzudenken. Ihre Haltung im Gefängnis: „Bist kein Einzel‑, kein Sonderfall. Überall in all diesen Ländern muß es so viele Menschen geben, die Widerstand leisten, du bist zwar im Gefängnis, aber mit ihnen. Das alles gibt eine gewaltige Front sich gegenseitig stützender Antifaschisten“ (S. 253).

Mögliche Schlussfolgerungen

Das Buch „Der Himmel ist blau. Kann sein“ wurde in Österreich Inspiration und Vorbild für viele Frauen. So veröffentlichte die Schriftstellerin Marie-Thérèse Kerschbaumer ein Buch „Der weibliche Name des Widerstands“ (1987). Auf die Frage, woran sie sich aufrichte, antwortete sie: „An den österreichischen Widerstandskämpferinnen“ („Stimme der Frau“, 2/87). Berger, Holzinger, Podgornik und Trallori arbeiteten weiter und gaben Texte von überlebenden Frauen des Widerstands heraus („Ich geb Dir einen Mantel, daß Du ihn noch in Freiheit tragen kannst“ promedia Verlag 1987).

Das alles ist aufrüttelnd und vor allem einmahnend, auch in der Gegenwart mit den kleinsten Mitteln, die möglich sind, tätig zu werden – für eine im und für den Frieden lebende freie demokratische Gemeinschaft von Männern und Frauen. Frau sein allein genügt nicht. Die deutsche Ursula von der Leyen ist als EU-Rüstungs- und Kriegstreiberin gegen die „Russen“ Täterin, die deutsche Annalena Baerbock unterstützt den gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßenden Vernichtungskrieg gegen das palästinensische Volk ebenso wie die österreichische Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, unterstützt von einer Klubobfrau Sigi Maurer oder einer Grazer KPOe Bürgermeisterin Elke Kahr. Begleitet werden diese Täterinnen von Frauen in führenden Positionen in Massenmedien.

Was ist aus dem Gesetzentwurf zum Schutz des Friedens geworden, den der Bund demokratischer Frauen 1950 ausgearbeitet hat? Die aus dem Exil nach Wien zurückgekehrte österreichische jüdische Kommunistin Anna Strömer-Hornik (1891–1966), die sich zum Internationalen Frauentag in Wien am 26. März 1950 für den Frieden einsetzte, meinte aus Anlass des Völkerkongresses in Wien (12. – 20. Dezember 1952), dass die Frauen „die eifrigsten Vorkämpferinnen für den Frieden“ sind: „Zu sehr mit dem Leben verbunden, wollen sie nicht, dass es sinnlos in einem unnützen Krieg hingeopfert wird“. L’Osservatore Romano verbreitet die Auffassung von Papst Franziskus (* 1936), „die Welt muss auf die Frauen und Mütter schauen, um Frieden zu finden“ (5. Januar 2024). Von der Frau soll vor allem Leben weitergegeben werden, von ihr soll Widerstand gegen Hass und Gewalt ausgehen. Clara Zetkin (1857–1933) hat inmitten des ersten Weltkrieges 1915 die Frauen aufgerufen, Widerstand gegen den Krieg zu leisten. Wenn wir davon ausgehen, dass wir in einem Dritten Weltkrieg leben – und es ist davon auszugehen –, dann ist Widerstand gegen Rüstung und Krieg und deren Folgen im Interesse der ganzen Menschheit notwendig. Die Erfahrungen der Vergangenheit könnten, wenn denn auf sie zurückgegriffen wird, nützlich sein.

Karin Berger / Elisabeth Holzinger / Lotte Podgornik / Lisbeth N. Trallori (Hg.): Der Himmel ist blau. Kann sein. Frauen im Widerstand. Österreich 1938–1945. Promedia 2023, gebunden, bebildert, 304 Seiten. EUR 27,00. ISBN: 978–3‑85371–515‑3

 

Quelle: Zeitung der Arbeit

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