23. November 2024

Lidl unterbindet gewerkschaftliche Betätigung

Übernommen von Yeni Hayat – Neues Leben:

Oktay Demirel

Die Betriebsrats- und gewerkschaftsfeindliche Haltung des Lidl-Konzerns ist altbekannt. Der Konzern betreibt seine Niederlassungen weitgehend ohne Betriebsräte. 39 Lager oder Verteilzentren sorgen bundesweit für die Belieferung der mehr als 3000 Filialen. Nur in 4 dieser Verteilzentren existiert ein Betriebsrat. Und in den über 3000 Filialen: Nirgends ein Betriebsrat. Das bedeutet, dass die Löhne bei Lidl meist niedriger, die Arbeitsbedingungen schlechter und das Betriebsklima unangenehmer ist, als in Betrieben mit Betriebsrat.

Wenn man sich fragt, wie Reichtum angehäuft wird, sieht man bei Lidl ein Paradebeispiel. Der Eigentümer des Konzern, Dieter Schwarz, ist mit 40 Milliarden Euro Vermögen der reichste Mensch Deutschlands. Lidl ist mit fast 12.000 Filialen in 30 Ländern und einem Umsatz von rund 115 Milliarden Euro weltweit der größte Discounter-Konzern. Und die Gewerkschaftsfeindlichkeit scheint weltweit Programm zu sein. Nicht nur, dass aktuell im Verteilzentrum in Herne Gewerkschaftsfeindlichkeit und Union-Busting praktiziert wird, Lidl wendet diese Art von Arbeiterfeindlichkeit anscheinend systematisch an, sogar auch in anderen Ländern und bei Lieferanten.

Agrobay: Tomatenlieferant aus der Türkei im Arbeitskampf

Seit über 6 Monaten demonstrieren in einem kleinen Ortsteil von Izmir die Beschäftigten des türkischen Lidl-Lieferanten Agrobay gegen miserable Arbeitsbedingungen. Sie fordern vom deutschen Discounter, das Lieferkettengesetz umzusetzen. Unter anderem gibt es seit mehreren Jahren verspätete Lohnzahlungen, unbezahlte Überstunden, unmenschliche Arbeitsbedingungen“ und Kündigungen. Nicht gemeldete Arbeitsunfälle und Sicherheitsmängel gehören zur Tagesordnung, wie auch unzureichende Sicherheitsvorkehrungen für Beschäftigte, die in großen Höhen arbeiten, das Fehlen einer grundlegenden Schutzausrüstung oder der sorglose Einsatz von Pestiziden. Ende August hat Agrobay 39 von ihnen – meist Frauen – entlassen, weil sie sich gewerkschaftlich bei der Landarbeitergewerkschaft Tarım-Sen organisiert haben.

Als diese unter anderem vor der deutschen Botschaft in Izmir demonstrieren, bekommen sie zusätzlich eine Klage von Agrobay auf den Hals. Grund: Sie hätten „die Handelsbeziehungen mit Deutschland beschädigt“. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Türkei und das wichtigste Zielland für türkische Exporte. Dabei besitzt Agrobay das Zertifikat von Eurepgap, ein weltweit anerkanntes Qualitätssicherungs- und Zertifizierungssystem für die Landwirtschaft. Die Firma sieht sich seit einigen Monaten in den türkischen Medien mit den Vorwürfen ehemaliger Mitarbeiter konfrontiert, ist aber stark verbandelt mit der AKP und dem Präsidenten Erdoǧan. Deswegen signalisiert es keinerlei Bewegung. Agrobay gehört dem Bayburt Konzern und ihrem Chef, Abdulrahman Şentürk, wurde 2015 ein Preis höchstpersönlich vom Präsidenten Erdoǧan übergeben. Übrigens wurde Şentürk Ende Februar zu 6 Jahren Gefängnisstrafe wegen Urkundenfälschung und Betruges verurteilt, das würde hier aber den Rahmen sprengen.

„Lidl ist mitverantwortlich“

Das Lieferkettengesetz, das seit Januar 2023 in Kraft ist, schreibt deutschen Unternehmen vor, in ihren Lieferketten sowohl im In- als auch im Ausland Menschenrechte und Umweltvorschriften zu berücksichtigen. Agrobay fällt eindeutig unter dieses Gesetz. Und was sagt Lidl: Auf eine Anfrage der Deutschen Welle antwortete Lidl, dass man „jegliche Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen sehr ernst“ nehme und momentan intern ermittle. „Wir bitten um Verständnis, dass wir aufgrund der laufenden Untersuchung keine weiteren Details nennen können.“ Man arbeite intensiv daran, die negativen Auswirkungen in den Lieferketten zu minimieren, bei Rechtsverletzungen effektiv abzuhelfen und unseren Einfluss für positive Veränderung zu nutzen.“

Aber kehren wir an den Anfang des Artikels zurück: 3000 Filialen, 39 Lager und nur 4 Betriebsräte, die man auch noch regelmäßig vor Gericht zerrt: Wie glaubwürdig kann Lidl dann bei den Lieferanten ermitteln?

Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben

Wirtschaft & Gewerkschaft