21. November 2024

„Wir müssen an der Welt festhalten, die wir haben wollen“

Übernommen von Yeni Hayat – Neues Leben:

Rund um den 8. März haben wir eine Online-Veranstaltungsreihe unter dem Titel „#8M24 – Frauen, Frieden, Solidarität“ durchgeführt. Dabei haben wir mit Betina Aumair, Erwachsenenbildnerin und Mit-Autorin des Buchs „Klassenreise“ über die Diskriminierung aufgrund der Klassenzugehörigkeit gesprochen.

Zeynem Arslan

Du hast ein Buch über Klassismus geschrieben, aber was bedeutet das eigentlich?

Der Begriff „Klassismus“ bedeutet Diskriminierung aufgrund der Klassenherkunft, z.B. wo jemand geboren wurde, wie jemand aufgewachsen ist oder aber was die gegenwärtige Klassenposition ist. Die ökonomische Klassenposition geht oft Hand in Hand mit einer kulturellen und sozialen Klassenpositionierung. Wenn wir also von Klassismus sprechen, dann müssen wir auch intersektional denken; also die Verwobenheit der Klassenperspektive mit anderen Kategorien der Ungleichheit, wie Sexismus und Rassismus. Oder auch Behinderung. Die Diskriminierung aufgrund der Klassenherkunft oder der gegenwärtigen Klassenpositionierung hat eine ganz andere Bedeutung, wenn z.B. die Kategorie „Behinderung(en)“ hinzukommt. Klassistische Mechanismen richten sich in erster Linie gegen Menschen aus der Arbeiter*innen- und armutsbetroffenen Klasse sowie gegen obdach- oder wohnungslose Menschen bzw. einkommensarme sowie erwerbslose Menschen. Fragen von Rassismus und Sexismus verstärken klassistische Ausgrenzungs- und Diskriminierungsverhältnisse. Mit klassismuskritischen Perspektiven können gesellschaftliche Verhältnisse in Bezug auf Klassenzugehörigkeiten und die damit verbundenen Ein- und Ausschlusspraxen vertieft analysiert werden. In der Auseinandersetzung mit Klassismus ist es wichtig zu verstehen, dass es keine gesellschaftliche oder soziale Verortung außerhalb von Klassenstrukturen gibt. Eine kritische Perspektive aus dieser Erkenntnis heraus ermöglicht eine herrschafts- und machtkritische Analyse gesellschaftspolitischer Zustände in den Bereichen Arbeit, Bildung, Gesundheit, aber auch zum Beispiel in Beziehungspraxen. Es braucht also den umfassenderen Blick, in dem die miteinander verwobenen Ungleichheitskategorien gemeinsam betrachtet werden, da sich mit jeder intersektionalen Verschränkung ganz andere Aspekte herausarbeiten und ableiten lassen.

Wir sehen oft, wie Frauen, die eventuell nicht den gleichen Zugang zu Sprache haben, in frauenpolitischen Debatten zu kurz kommen oder sich nicht in Frauengruppen wiederfinden. Wie siehst du das?

In der Diskussion und Auseinandersetzung sowohl mit Klassismus als auch dem Feminismus nehme ich wahr, dass eine Akademisierung in der Sprache Ausschlusspraxen erzeugen. Dabei ist gerade der Klassismus eine Bewegung, die sich aus der Betroffenheitsperspektive heraus entwickelt hat. Es geht also um die Erfahrungen von Menschen, die von sozioökonomischen Ungleichheiten betroffen sind. Wenn wir von Sprachbarrieren sprechen, meinen wir meistens Barrieren aufgrund der verschiedenen Nationalsprachen, die wir sprechen. Das kann auch hier der Fall sein. Meiner Meinung steht das aber gar nicht so im Vordergrund. Die Sprachbarriere, die ich am vor allem wahrnehme, ist die zwischen akademischer und nicht-akademischer Sprache. Die Möglichkeit im theoretischen Feld der Politik sprechen zu können, Einlass zu bekommen in den Diskurs, ist selbst ein Politikum. Ein gemeinsames Sprechen über politische Verhältnisse über Sprach- und Klassengrenzen hinaus, ist meiner Meinung nach, zentrale Aufgabe eines jeden von uns.

Was möchtest du noch mitgeben?

Ich möchte gerne mitgeben, worüber ich immer froh bin, wenn mich jemand daran erinnert, dass wir uns von rechtspopulistischen, rassistischen, klassistischen und frauenfeindlichen Strömungen und Rückschlägen nicht entmutigen, verdummen und verblenden lassen dürfen. Wir müssen so weit wie möglich an der Welt festhalten, die wir haben wollen und diese Welt erschaffen wir nur durch gemeinsame Arbeit und über alle Grenzen hinweg.


Betina Aumair und ihre Co-Autorin Brigitte Theißl begleiten in ihrem Buch „Klassenreise“ dreizehn Personen, deren Geschichte mit dem Mythos „Aufstieg durch Leistung“ brechen. Es geht darum, wie sehr uns soziale Herkunft, Geschlecht und Migrationshintergrund prägen und nach wie vor unsere Gesellschaft strukturieren.

Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben

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