23. Dezember 2024

Eskalation in Richtung Atom-Krieg in Europa

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag haben ukrainische Drohnen die Radarstation Armawir in der südwestlichen russischen Region Krasnodar angegriffen. Armawir (in der englischsprachigen Umschrift Armavir) ist nicht irgendein Radarsystem, sondern ein wichtiger Teil des russischen Frühwarnsystems zur Erkennung von Angriffen mit Interkontinentalen Ballistischen Raketen (ICBM). Damit ist dieses Radar zusammen mit anderen derartigen Einrichtungen eine Säule, auf der die strategische Sicherheit der Russischen Föderation ruht.

Dieser Angriff hat alle bisherigen Eskalationen des Krieges in der Ukraine in den Schatten gestellt und vor allem ganz Europa einen Schritt näher an den Rand eines mit Atomwaffen geführten Krieges gebracht. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß ein derartiger Angriff nicht ohne Rückendeckung von Kommandostellen der USA und der NATO erfolgen konnte.

Der russische Senator und ehemalige Chef von Roskosmos, Dmitri Rogosin, reagierte auf diese Entwicklung mit der Feststellung: »Wir nähern uns nicht nur dem Abgrund, sondern stehen bereits direkt an der Kante, jenseits der, wenn der Feind bei solchen Aktionen nicht gestoppt wird, ein unumkehrbarer Zusammenbruch der strategischen Sicherheit der Atommächte beginnen wird«.

Der Angriff auf Armawir erfolgte nur wenige Tage nach Beginn taktischer Übungen der Nuklearstreitkräfte Rußlands. Das muß also als Provokation seitens der Nato verstanden werden, nachdem Präsident Putin mehrmals betont hatte, daß Rußlands Nuklearstrategie darauf beruhe, nicht als erstes Land Atomwaffen einzusetzen.

»Das russische satellitengestützte Frühwarnsystem ist sehr begrenzt und kann die blinden Flecken, die durch die Beschädigung des Radars entstanden sind, nicht ausgleichen«, erklärte dazu Dr. Theodore Postol, emeritierter Professor für Wissenschaft, Technologie und nationale Sicherheit am Massachusetts Institute of Technology und Atomwaffenexperte. »Die atlantischen, pazifischen und nördlichen Radarwarnkorridore sind wichtiger, und die Russen haben auch Radare in Moskau. Die Moskauer Radare sehen die Bedrohungen jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt, was zu noch kürzeren Warn- und Entscheidungszeiten führt und damit die Wahrscheinlichkeit eines katastrophalen Unfalls erhöht.«

Die Konsequenz daraus sei, schreibt Dr. Postol, daß die Kommandeure der strategischen Raketentruppen sehr besorgt sein werden »und keine andere Wahl haben, als diese Situation als sehr ernst zu betrachten. Sie werden sich mit ziemlicher Sicherheit dafür entscheiden, ihre Nuklearstreitkräfte auf einer höheren Alarmstufe zu betreiben, was die Wahrscheinlichkeit von Unfällen, die zu einem ungewollten globalen Atomkrieg führen könnten, weiter erhöhen wird.«

Prof. Dr. Wilfried Schreiber, Oberst a.D. Senior Research Fellow am WeltTrends-Institut für Internationale Politik in Potsdam kommentierte den Angriff: »Es gibt offensichtlich Kräfte in der Ukraine und auch in der NATO, die bereit sind, das Risiko einer direkten militärischen Konfrontation zwischen der NATO und Rußland einzugehen. Die deutsche Politik ist gut beraten, die russischen Warnungen vor einem neuen Weltkrieg ernst zu nehmen und dafür zu sorgen, daß die letzten roten Linien nicht überschritten werden. Als moderner Industriestaat im Herzen Europas ist Deutschland in einem europäischen Großkonflikt nicht kriegsfähig – selbst wenn keine Atomwaffen eingesetzt werden. Die deutsche Politik muß alles tun, um die zunehmende militärische Konfrontation zu deeskalieren und sich für eine diplomatische Lösung des Konflikts einzusetzen.“

Nach Auffassung von Oberst a.D. Richard Black, ehemaliger Senator aus Virginia, ist dieser Angriff »eine Fortsetzung des Musters, wobei die NATO-Streitkräfte erkennen, daß sie den Krieg in der Ukraine verlieren und die schwachen Verteidigungslinien brechen, doch die Antwort der NATO ist Eskalation. Dies geschieht nicht zufällig, sondern bewußt.«

Prof. Richard Sakwa, emeritierter Professor für russische und europäische Politik an der Universität Kent (Britannien) stellt fest: »Die Tretmühle dreht sich immer schneller, vor allem nach dem, was Blinken der Ukraine sagte: Ihr könnt ‚mit unseren Raketen machen, was ihr wollt‘. Das zeigt, wie unverantwortlich die Führung der USA ist. Wir sind auf dem Weg zur nuklearen Eskalation. Der Westen steht vor einer Niederlage in der Ukraine und deshalb wird weiter eskaliert, um eine Niederlage abzuwenden.«

Ukrainische Medien zeigen auch Bilder, die zwei beschädigte Strukturen auf dem Gelände von Armawir zeigen. Die Begrenztheit der Schäden läßt darauf schließen, daß die Strukturen, in denen die Radarantennen untergebracht sind, tatsächlich von Drohnen getroffen wurden. Die Entfernung der Station von der ukrainischen Grenze beträgt mehr als 450 Kilometer, was auf eine beträchtliche Reichweite der von ukrainischem Territorium abgeschossenen Drohnen hindeutet. Am selben Tag fand auch ein ukrainischer Angriff auf eine Ölraffinerie im noch weiter entfernten Tatarstan statt.

Zur gleichen Zeit entbrannte in einigen westlichen Hauptstädten eine neue Debatte darüber, daß die Regierungen der Staaten, die entsprechende Waffensysteme an die Ukraine liefern, auch offiziell gestatten sollten, diese Waffen auf Ziele auf und über dem Territorium der Russischen Föderation einzusetzen. Und der ukrainische Präsident forderte in einer auf Englisch gehaltenen Ansprache inmitten einer Ruine in der Stadt Charkow, daß die Präsidenten der USA und Chinas an der von ihm initiierten »Friedenskonferenz« in der Schweiz teilnehmen sollen, wo seinem Wunsch gemäß über eine bedingungslose Kapitulation Rußlands »verhandelt« werden soll.

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek

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