Auf Zeit spielen
Verhandlungen in Doha und Kairo über einen Waffenstillstand in Gaza und einen israelisch-palästinensischen Gefangenenaustausch haben in der vergangenen Woche Hoffnungen auf einen Durchbruch geschürt. Ende der Woche reisten israelische und US-amerikanische Teilnehmer wieder ab, ohne daß ein Ergebnis erreicht worden war. Ein Sprecher des Islamischen Jihad erklärte, Netanjahu wolle offenbar keine Einigung und ignoriere auch Forderungen aus dem Weißen Haus. Die Schwäche der Leute um Präsident Joe Biden verlängere den Krieg.
Die palästinensische Seite hatte laut bisher nicht bestätigten Berichten zuvor ein Einlenken signalisiert, wie das Internetportal »Al Monitor« am 5. Juli berichtete. Die jüngste Antwort der Hamas sei »die beste, die es bisher gegeben hat« zitierte »Al Monitor« einen namentlich nicht genannten israelischen Sicherheitsbeamten. Demnach soll die Hamas nicht mehr darauf bestehen, daß Israel nach der ersten von drei Phasen eines Abkommens für Waffenstillstand und Gefangenenaustausch, sich schriftlich und mit internationaler Garantie dazu verpflichtet, seine Waffen niederzulegen.
Allerdings sei unklar, wie sehr Netanjahu versuchen werde, ein Abkommen zu verhindern. Der israelische Ministerpräsident »braucht Zeit und er spielt auf Zeit«, so ein wiederum anonym sprechender israelischer Analyst gegenüber »Al Monitor«. Unklar sei auch, ob die israelische Öffentlichkeit und die Biden-Administration Netanjahu beeinflussen könnten.
Der israelische Ministerpräsident steht unter dem Druck seiner rechtsextremen Koalitionspartner in der Regierung, die den Gazastreifen dem Erdboden gleichmachen und überlebende Palästinenser in die Wüste Sinai nach Ägypten vertreiben wollen. Sollte Netanjahu einem Waffenstillstand und Gefangenenaustausch zustimmen, drohen sie, die Regierung zu verlassen.
Nach Ansicht israelischer Beobachter setzt Netanjahu offenbar auf einen zukünftigen USA-Präsidenten Donald Trump, der Israel ohne Wenn und Aber unterstützt. Zudem hofft er bei einer Rede vor dem USA-Kongreß, die für den 24. Juli geplant ist, die Öffentlichkeit in den USA und in Israel auf seine Seite zu ziehen.
Geheimdienste im Gespräch
Entsprechend belastet hatten am vergangenen Montag die Verhandlungen begonnen. Die Chefs des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar, und des Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, flogen zwischen Tel Aviv, Kairo und Doha hin und her und hatten Order, über die Entwicklungen der Gespräche jeweils Netanjahu zu berichten. Dieser hatte gleich zu Anfang fünf – öffentlich nicht bekannte – Forderungen gestellt, die die Hamas erfüllen müsse, bevor er, Netanjahu, einer Vereinbarung zustimmen werde.
Parallel reisten CIA-Chef William Burns und der Berater für den Mittleren Osten im Weißen Haus, Brett McGurk, zwischen Kairo, Tel Aviv und Doha hin und her. Für Katar nahm Ministerpräsident Mohammed Al Thani an den Gesprächen teil, für Ägypten Geheimdienstchef Abbas Kamel.
Die konkreten Gespräche in Doha hatten am vergangenen Mittwoch begonnen. Laut bisher unbestätigten Berichten habe es zu einigen Punkten Annäherungen gegeben. Das israelische Internetportal Walla berichtete unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten hochrangigen israelischen Beamten, man habe Themen benannt, bei denen es Übereinstimmung gebe und wo nicht.
Ein wichtiger Punkt bliebe demnach die palästinensische Forderung, daß die Bevölkerung in den Norden von Gaza zurückkehren kann. Für alle, die dort wohnten, müsse es freien Zugang in den Norden geben. Israel verweigert das mit der Begründung, daß man nicht zulassen werde, daß Hamas-Kämpfer sich frei bewegen könnten. Der Nationale Sicherheitsberater des USA-Präsidenten, Jake Sullivan, erklärte, »die Zeichen seien positiver als vorher«, allerdings lägen noch »Meilen vor uns, bevor wir das abschließen können. Wenn wir es abschließen können.«
Am Donnerstag reiste die israelische Delegation aus Doha in Richtung Kairo ab, ohne daß eine Einigung erzielt worden war. In Kairo geht es Berichten zufolge darum, wie die südliche Grenze des Gazastreifens im israelischen Sinne »gesichert« werden könne. Die Rede ist von einer unterirdischen Sicherheitsbarriere, angeblich um »Waffenschmuggel nach Gaza« zu stoppen. Ebenso unbestätigt ist eine Meldung, daß Ägypten bereits zugestimmt haben soll, Israel den Zugang zu einem Überwachungssystem auf ägyptischer Seite zu genehmigen.
Netanjahu will den Krieg fortsetzen
Der stellvertretende Vorsitzende des palästinensischen Islamischen Jihad, Mohammad al-Hindi, erklärte gegenüber dem libanesischen Nachrichtensender »Al Mayadeen«, die Gespräche in Doha hätten kein Ergebnis gebracht. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und dessen Regierung seien nicht an der Freilassung der israelischen Gefangenen aus dem Gazastreifen interessiert, sondern daran, den Krieg gegen Gaza fortzusetzen.
Anstatt mit Vorschlägen, die bei den Gesprächen in Doha vorgelegt worden seien, positiv umzugehen und diese zu beantworten, sei das israelische Verhandlungsteam nach Tel Aviv zurückgekehrt, so Al Hindi. Israel habe die Lage zudem gefährlich eskaliert, weil es von allen Bewohnern in Gaza-Stadt gefordert habe, ihre Behausungen Richtung Süden zu verlassen.
Die Menschen aus Gaza-Stadt zu vertreiben signalisiere nicht, daß »die Besatzung eine Vereinbarung erreichen will«, so der Vize-Chef des Islamischen Jihad. Netanjahu nutze die chaotische Lage in den USA aus. Je näher dort die Präsidentschaftswahlen rückten, desto weniger Druck könne auf Netanjahu ausgeübt werden, um ein Abkommen zu erreichen.
Parallel zu den Gesprächen der vergangenen Woche verschärfte die israelische Armee ihre Angriffe auf die Zivilbevölkerung in nahezu allen Teilen des palästinensischen Küstenstreifens. Besonders betroffen war Gaza-Stadt, wo rund 300.000 Bewohner versuchten, sich vor den massiven Angriffen in Sicherheit zu bringen.
Am Freitag berichteten arabische Medien sowie die Nachrichtenagenturen Reuters und AP von massiven Zerstörungen im Zentrum der Stadt, im Stadtteil Shuraya und im Industrieviertel. Immer mehr Häuser und Wohnungen seien unbewohnbar, die Straßen seien mit Trümmern und Leichen übersät. Augenzeugen berichteten von israelischen Scharfschützen, die – offennbar wahllos – Personen gezielt töteten.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek