22. Dezember 2024

Gibt es Spuren der Ureinwohner in der DNA der Kubaner?

Übernommen von Zeitung der Arbeit:

Die präkolumbianischen, indigenen Völker Kubas – Taíno, Siboney und Guanahatabey – galten als im Zuge des spanischen Kolonialismus lange ausgestorben. Jüngere wissenschaftliche Untersuchungen kommen zu einem differenzierteren Ergebnis, wie die Zeitung “Granma” berichtet.

Havanna. Die Ergebnisse des Projekts Cuba Indígena (“Das indigene Kuba”) stellen einen Meilenstein in der wissenschaftlichen und kulturellen Entwicklung des Landes dar und liefern eine fundierte Interpretation der nationalen Geschichte

Das Buch “Cuba indígena hoy. Sus rostros y ADN” (“Das indigene Kuba heute. Seine Gesichter und seine DNA”) wurde kürzlich mit dem Nationalen Preis der Kubanischen Akademie der Wissenschaften 2023 in der Kategorie Sozial- und Geisteswissenschaften ausgezeichnet.

Das Werk wertet die Ergebnisse eines 2018 initiierten Forschungsprojekts aus, das das Vorhandensein von durchschnittlich 20,2 Prozent indianischer Gene in der DNA von 27 Familien bestätigt, die in verschiedenen Gemeinden von neun Bezirken in den Provinzen Holguín, Granma, Santiago de Cuba und Guantánamo ansässig sind und deren Mitglieder phänotypische Merkmale aufweisen, die denen der kubanischen Ureinwohner bemerkenswert ähnlich sind.

Die “Granma” erkundigte sich bei Dr. Beatriz Marcheco Teruel, Direktorin des Nationalen Zentrums für medizinische Genetik und Mitglied des multidisziplinären Expertenteams, das das Projekt zusammen mit Professor Alejandro Hartmann Matos, Direktor des Kuratoriums von Baracoa, Dr. Enrique Gómez Cabezas vom Zentrum für psychologische und soziologische Forschung (CIPS) und den bekannten Fotografen Julio Larramendi Joa und Héctor Garrido durchführte, nach Einzelheiten zu diesem wichtigen Ergebnis.

Frage: Stellt das Vorhandensein von 20,2 Prozent amero-indianischer Gene in den genetischen Informationen der untersuchten Personen das bisher akzeptierte Kriterium des vollständigen Aussterbens unserer Ureinwohner in Frage?

Antwort Dr. Marcheco: Das absolute Aussterben der kubanischen Ureinwohner ist eine allgemein angenommene Tatsache. Viele Menschen sind von den Ergebnissen dieser genetischen Studien überrascht, die eine indianische Prägung in der DNA der heutigen kubanischen Bevölkerung zeigen. Diese Präsenz ist in den Regionen und Familien, die in die Studie einbezogen wurden, besonders ausgeprägt.

Andere Forschungen, die dem Projekt vorausgingen, berichteten von der Existenz von Ureinwohnergemeinschaften in den östlichen Bergen Kubas, aber sie basierten hauptsächlich auf anthropologischen Analysen.

Diese neue Studie bestätigt unwiderlegbar die  Existenz von Nachkommen von Gruppen, die die Insel vor der Eroberung bewohnten, was nun durch  die Ergebnisse genetischer Studien bestätigt wird. Unsere DNA ist ein einzigartiger Zeuge der Geschichte. Durch die DNA können wir den Weg unserer Vorfahren weitgehend zurückverfolgen.

Ich sollte erwähnen, dass wir in früheren Untersuchungen, die unser multidisziplinäres Team durchgeführt hatte, Stichproben von mehr als 2.000 Personen aus dem ganzen Land gemacht wurden. Dabei stellte man  bereits fest, dass durchschnittlich acht Prozent der heutigen genetischen Informationen unserer Landsleute von indianischen Vorfahren stammen und hauptsächlich über die mütterliche Linie weitergegeben werden.

Jetzt ist diese Zahl auf 20,2 Prozent angestiegen. Bei einigen Personen aus zwei bestimmten Familien sind es sogar 38 Prozent.

Frage: Vor mehr als 15 Jahren hat das Zentrum für medizinische Genetik ein wissenschaftliches Projekt entwickelt, das darauf abzielte, die Anteile der ethnischen Mischung auf Genomebene in den heutigen Generationen von Kubanern zu charakterisieren. Ist diese zweite Studie eine Fortsetzung dieser bahnbrechenden Forschung?

Antwort Dr. Marcheco: Das ursprüngliche Ziel dieses ersten Projekts war es, mögliche Beziehungen zwischen den genetischen Informationen der Kubaner und ihrem Gesundheitszustand zu ermitteln. Dies ist Teil einer laufenden Forschungslinie des Nationalen Zentrums für Medizinische Genetik, denn seit einigen Jahren kennen wir den Zusammenhang zwischen der Häufigkeit bestimmter Krankheiten, der Herkunft der Bevölkerung und dem Vorhandensein von genetischen Variationen, die für diese Krankheiten prädisponieren können.

Es war besonders interessant, den hohen Grad der Rassenmischung in der kubanischen Bevölkerung zu bestätigen. Das Apotegma  des weißen Großvaters und des schwarzen Großvaters wurde genetisch nachgewiesen. Vor diesem Hintergrund wurden wir gebeten, am Projekt Cuba Indígena teilzunehmen und das Erbe der Ureinwohner einer Gruppe von Familien zu untersuchen, die in Gemeinden in den Bergen der östlichsten Region des Landes leben, im Allgemeinen an abgelegenen und manchmal schwer zugänglichen Orten. Alejandro Hartman, der diese Familien identifiziert und die DNA-Studie vorgeschlagen hatte, hatte bereits seit vielen Jahren daran gearbeitet.

Frage: Welche Bedeutung haben die Beiträge des Projekts Cuba Indígena für die Geschichte des Landes?

Antwort Dr. Marcheco: Die präkolumbianische Bevölkerung Kubas überlebte die koloniale Barbarei, wurde aber durch die eurozentrische Perspektive unsichtbar gemacht. Als die Eingeborenen aufhörten, ausbeutbare Arbeitskräfte beim Goldwaschen in den Flüssen oder bei den Herden zu sein, wurden sie als Subjekte der Geschichte und des Prozesses der Identitätskonstruktion ausradiert.

Ihr Erbe zu ignorieren war eine weitere perverse Handlung der kolonialen Herrschaft. Sie als ausgestorben abzuschreiben, ebnete den Weg für die Aneignung von Land, machte den jahrzehntelangen Aufstand gegen die  Landaneignung unsichtbar und diente als Vorwand für die Ausweitung des Handels mit versklavten Afrikanern.

Das Konzept des menschlichen Glücks, losgelöst von konsumorientierten Mustern, die Anerkennung der Natur als Subjekt und nicht als Objekt, die humanistische Vision, die Subsistenzwirtschaft sind wesentliche Beiträge der indianischen Kulturen, die vor unserer Zeit entstanden sind.

Diese ursprünglichen Traditionen, die in der Subjektivität und den sozialen Praktiken der von den  Inselbewohnern der Prämoderne und der Gruppen verborgen sind, die von der kubanischen Bauernbevölkerung abstammen, sind Teil der Würze der Mischung, die wir sind.

Sich zur Präsenz der Ureinwohner zu bekennen, ist absolut notwendig und stellt die einzige ethische Haltung dar, die mit dem antikolonialen Kampf unseres revolutionären Projekts vereinbar ist. Die Ergebnisse des Projekts Cuba Indígena stellen einen Meilenstein in der wissenschaftlichen und kulturellen Entwicklung des Landes dar und legen auf fundierte Weise eine andere Lesart der nationalen Geschichte vor.

Quelle: Granma

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