23. Dezember 2024

Haaretz deckt auf: Hannibal-Verfahren gegen eigene Soldaten und Zivilisten

Übernommen von Zeitung der Arbeit:

Während der Angriffe am 7. Oktober hat Tel Aviv die sogenannte Operation Hannibal eingeleitet, bei der auf eigene Soldaten und als Geiseln genommene Mitbürger geschossen wurde und wird. Dies, um zu verhindern, dass aus ihnen später Informationen herausgepresst werden könnten.

Tel Aviv. Die Enthüllungen der israelischen Zeitung Haaretz, die auf Beschwerden des panarabischen Fernsehsenders al-Jazeera und einiger Überlebender folgen, die von Schüssen der IDF auf Geiseln berichteten, beruhen auf Dokumenten, die die Zeitung erhalten hat, und auf Zeugenaussagen innerhalb der Armee. Demnach gaben die Gaza-Division, das Südkommando und der Generalstab der IDF diese tödlichen Befehle bis zum Nachmittag des 7. Oktober, dem Tag des Hamas-Angriffs.

„Kein Fahrzeug darf nach Gaza zurückkehren“

Schießen, um zu töten, sogar die eigenen Soldaten und Geiseln: „Kein Fahrzeug darf nach Gaza zurückkehren“. Die israelische Armee ist mit dem Hannibal-Verfahren lang vertraut. Das Ziel dieses Vorgehens ist ebenso einfach und effektiv wie rücksichtslos: Es soll vermieden werden, dass Soldaten gefangengenommen werden, aus denen Informationen erpresst werden können, und Zivilistinnen und Zivilisten, die für den Feind als Druckmittel dienen können. Selbst um den Preis, sie kaltblütig zu ermorden. Tote, die man später nur zu gern als Hamas-Opfer deklariert hat.

Der Name, der der Operation gegeben wurde, hat dabei aber, wie man meinen könnte, nichts mit dem bekannten karthagischen Feldherrn zu tun – vielmehr bezieht er sich auf den Protagonisten des Films mit Anthony Hopkins, Das Schweigen der Lämmer, in dem der Schauspieler einen Kannibalen spielte. Wie bei ihm geht es bei der Operation darum, seinesgleichen zu töten, in diesem Fall, um zu verhindern, dass sie vom Feind gefangengenommen werden.

„Entscheidungen getroffen, ohne dass es verifizierte Informationen gab“

In der Rekonstruktion von Haaretz heißt es, dass um 6.43 Uhr am Morgen des 7. Oktober die ersten Schüsse von Milizionären im Gaza-Streifen Brigadegeneral Avi Rosenfeld veranlassten, Alarm zu schlagen: „Die Philister sind eingedrungen“.

Ein Alarm, der den Militärs die Möglichkeit gibt, über ihre üblichen Kompetenzen hinaus zu handeln und sogar schwere Feuergefechte mit dem Feind auf israelischem Gebiet zu beginnen. Den vernommenen Quellen zufolge ist jedoch nicht klar, wer es war, der das Hannibal-Verfahren  ausgelöst hat. Nicht zuletzt deshalb, weil in jenen Stunden in den Führungsetagen des Militärs Chaos herrschte: „Alle waren schockiert über die Zahl der Terroristen, die eingedrungen waren. Selbst in unseren schlimmsten Albträumen hatten wir keinen Plan für einen solchen Angriff. Niemand hatte eine Ahnung, wie viele Menschen entführt worden waren und wo sich die Streitkräfte befanden. Es herrschte eine verrückte Hysterie, und es wurden Entscheidungen getroffen, ohne dass es verifizierte Informationen gab“.

Drohnen auf Fahrzeuge mit Geiseln eingesetzt

Kurz darauf trifft jedoch der erste Befehl ein. Um 7.18 Uhr, nach den ersten registrierten Entführungen am Grenzübergang Erez, heißt es aus dem Hauptquartier der örtlichen Division: „Hannibal an Erez, schickt ein Zik“. Dabei handelt es sich um eine bewaffnete unbemannte Drohne, die in diesem Fall eingesetzt wird, um die Fahrzeuge zu treffen, die mit den Geiseln in den Gazastreifen zurückkehren.

Der Befehl wurde im Laufe des Tages in Erez mehrmals wiederholt. Aber nicht nur dort. Nach Angaben von Haaretz wurde die Prozedur auch auf dem Militärstützpunkt Re’im, wo sich das Hauptquartier der Division befindet, und auf dem Außenposten Nahal Oz, wo sich die weiblichen Beobachter befanden, eingeleitet.

Dies verhinderte jedoch nicht die Entführung von sieben von ihnen und die Tötung von weiteren 15 Beobachtern und 38 Soldaten. Die Entscheidung, Angriffe innerhalb der Außenposten durchzuführen, so erklärte ein hochrangiger Verteidigungsbeamter später, wird die Kommandeure ein Leben lang verfolgen: „Wer auch immer eine solche Entscheidung getroffen hat, wusste, dass auch unsere Kämpfer in diesem Gebiet getroffen werden könnten.“

Aber solche Angriffe fanden offenbar nicht nur innerhalb von Außenposten oder Stützpunkten statt. Um 10.32 Uhr erging der Befehl an alle Bataillone in dem Gebiet, Mörsergranaten in Richtung Gazastreifen abzufeuern. Dieser Befehl, der Rosenfeld zugeschrieben wird, wurde innerhalb der Armee heftig kritisiert, weil die IDF zu diesem Zeitpunkt keinen vollständigen Überblick über alle Kräfte in dem Gebiet, einschließlich Soldaten und Zivilisten, hatte. Einige von ihnen hielten sich in offenen Gebieten oder in den Wäldern entlang der Grenze auf, um sich vor den Terroristen zu verstecken. Auf diese Weise war ihre Sicherheit gefährdet.

„Jeder wusste, was es bedeutet“

Erst in den folgenden Stunden wurde den Militärs die Realität klarer: Dutzende, vielleicht Hunderte von Menschen waren entführt worden, um sie als Geiseln nach Gaza zu bringen. Diese Erkenntnis hielt jedoch nicht von der Vorgehensweise ab: „Jeder wusste zu diesem Zeitpunkt, dass solche Fahrzeuge entführte Zivilisten oder Soldaten transportieren könnten“, sagte eine Quelle im Südkommando gegenüber Haaretz: „Ich kann nicht sagen, dass ein Fahrzeug mit entführten Menschen bewusst angegriffen wurde, genauso wie man zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnte, ob man ein Fahrzeug mit Zivilisten an Bord angreift. Ich kann nicht sagen, dass es klare Anweisungen gab, aber jeder wusste, was es bedeutet, keines der Fahrzeuge nach Gaza zurückkehren zu lassen“.

Und die Bestätigung, dass die militärische Führung eine klare Entscheidung getroffen hatte, kam später am frühen Nachmittag, schließt Haaretz. Um 14 Uhr erhielten alle Truppen den Befehl, die Grenzsiedlungen nicht in Richtung Westen, also in Richtung des Gazastreifens, zu verlassen und die Terroristen nicht zu verfolgen. Der Grund dafür war, dass das Grenzgebiet unter starkem Beschuss stand, der sich gegen jeden richtete, der sich dort aufhielt: „Der Befehl“, so die Quelle des Südkommandos, „sollte das Gebiet um den Grenzzaun in eine Todeszone verwandeln.“

Quelle: ilFattoQuotidiano

 

Quelle: Zeitung der Arbeit

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