22. November 2024

Kuba muss wachsen: Schwierig, aber nicht unmöglich

Die Entwicklungsgeschichte hat gezeigt, dass eine dichte Unternehmensstruktur für alle Länder eine Stärke darstellt. Hierfür können zumindest die folgenden Gründe angeführt werden:

  • Sie wirkt sich positiv auf die Komplementarität des Wirtschaftssystems aus,
  • Sie trägt zu mehr Wettbewerb zwischen den Unternehmen bei, was wiederum die Innovation fördert,
  • Sie verbessert die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.

Während praktisch weltweit eine der strategischen Aufgaben aller Regierungen, ob auf nationaler oder lokaler Ebene, darin besteht, das Wachstum ihres Unternehmensgefüges zu fördern, werden wir in Kuba die zweite Hälfte des Jahres 2024 mit politischen Maßnahmen angehen, die das Wachstum des Unternehmensgefüges einschränken und behindern.

Die Ergebnisse des Jahres 2023 und des ersten Halbjahres zeigen nicht nur die Komplexität der aktuellen Situation, sondern auch, dass die Ressourcen weiterhin sehr knapp und die Binnenwirtschaft und das gesamte Unternehmenssystem nicht in der Lage sind, diese kurzfristig zur Verfügung zu stellen.

Darüber hinaus sind die Ressourcenquellen weniger und in einigen Fällen teurer geworden, während sich das internationale Umfeld in politischer Hinsicht restriktiver entwickeln könnte, insbesondere in Abhängigkeit von den Ergebnissen der Wahlen in Venezuela und den Vereinigten Staaten.

Einige der Daten, die im Bericht des Wirtschaftsministers an die Nationalversammlung vor einigen Tagen präsentiert wurden, helfen, das oben genannte zu veranschaulichen. Da die Präsentation öffentlich und für jedermann zugänglich ist – was wir als gute Praxis des Ministeriums anerkennen und auf andere Bereiche ausdehnen sollten – werde ich einige der Daten zusammenfassen:

  • Es scheint unwahrscheinlich, dass die geplante Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts für das Jahr 2024 erreicht wird. Obwohl Sektoren wie Bildung und Gesundheit ein erhebliches Gewicht in der Struktur des BIP haben, bleiben die meisten Bereiche des primären und sekundären Wirtschaftssektors unter den geplanten Ergebnissen. Finanzielle Restriktionen und Energieeinsparungen wirken sich negativ aus. Die schwache Leistung der inländischen Produktion und der Rückgang der Importe machen es sehr schwierig, das Wachstumsziel zu erreichen.
  • Die für die Ernährung der Bevölkerung entscheidenden landwirtschaftlichen Produkte bleiben hinter dem Plan zurück: Bohnen, Wurzelgemüse, Mais, Eier, Rindfleisch, Gemüse und Milch.
  • Die Warenexporte steigen im Vergleich zum ersten Halbjahr 2023 um 24 Prozent (249 Mio. US-Dollar), erreichen aber nur 88 Prozent (222 Mio. US-Dollar) des Plans für das erste Halbjahr 2024.
  • Die Dienstleistungsexporte haben im Vergleich zum ersten Halbjahr 2023 zugenommen, was positiv zu bewerten ist. Hervorzuheben sind die medizinischen Dienstleistungen, die 12 Prozent über dem Plan liegen und gegenüber 2023 um 9 Prozent steigen. Der Tourismussektor, der das größte Investitionsvolumen des Landes auf sich vereint, zeigt weiterhin nur eine langsame Erholung (Wachstum von 1,8 Prozent gegenüber 2023) und liegt bei 51,6 Prozent des Niveaus von 2019.
  • Die Importe, die aufgrund ihres Einflusses auf das Gesamtangebot für die Wirtschaftsdynamik und die Inflation von wesentlicher Bedeutung sind, erreichen 58 Prozent des Jahresplans und sind um 22 Prozent niedriger als im ersten Halbjahr 2023. Die Privatsektorimporte erreichen 900 Mio. US-Dollar, von denen 70 Prozent (622 Millionen US-Dollar) von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) importiert werden.
  • Es wurden 12 neue ausländische Direktinvestitionen genehmigt. Es gibt keine öffentlichen Informationen über die Investitionssumme. Die neuen Projekte teilen sich auf in: 4 in der Lebensmittelproduktion; Tourismus: 3; Handel: 2; Logistik: 1; Industrie: 1; Werbedienstleistungen: 1.
  • Stromversorger und Erzeuger sind nicht in der Lage, die Nachfrage zu decken und das Land hat weiterhin mit Ausfällen und der Verfügbarkeit von Brennstoffen zu kämpfen. Es werden Investitionen in Photovoltaikanlagen getätigt, die in Zukunft zu einer relativen Verbesserung beitragen könnten.
  • Die Inflation ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2023 zurückgegangen. Die jährliche Inflationsrate sank von 45,48 im Mai 2023 auf 31,11 im Mai 2024. Dennoch bleiben die Preise für viele Produkte hoch und sind für die Mehrheit der Bevölkerung unerschwinglich.
  • Die Bemühungen, benachteiligte Einzelpersonen, Familien und Gemeinschaften zu unterstützen, sind fortgesetzt worden, konnten jedoch die Zunahme von Ungleichheit und Armut nicht bremsen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wirtschaft das Wachstumsziel verfehlt und entscheidende Faktoren wie die Entwicklung der heimischen Produktion sowie Exporte und Importe nicht die nötige Dynamik erreichen. Über das Haushaltsdefizit in der ersten Jahreshälfte liegen keine öffentlichen Daten vor. Das Ziel für 2024 wurde von ursprünglich 18,5 Prozent auf rund 15 Prozent nach unten korrigiert. Gleichzeitig deuten die offiziellen Zahlen auf eine Abschwächung der Inflationsdynamik hin.

Das zweite Halbjahr wird unter diesen Bedingungen stattfinden. Das Wirtschaftsministerium definiert in seinem Bericht eine Strategie, die aus neun Aspekten besteht. Einige davon werden eine erhebliche Änderung der Ressourcenallokation erfordern, wie beispielsweise die Ankurbelung der Produktion, insbesondere der Nahrungsmittelproduktion und des nationalen Elektrizitätssystems. Auch die Steigerung der Deviseneinnahmen wird dazugehören, weil der akkumulierte Investitionsbedarf nicht unerheblich ist. Dies wird in der folgenden Abbildung veranschaulicht:

Entwicklung des kubanischen BIP nach Sektoren 2023 vs 2019. BIP – Primärer SektorSekundärer SektorTertiärer Sektor (Quelle: Oncuba)

Andere Vorschläge, wie die Eindämmung der Ausgaben und die Verschiebung von Investitionen, die Anpassung des Plans und des Staatshaushalts, die Fortsetzung der Bemühungen zur Bekämpfung von Korruption und Illegalität, die Dezentralisierung der Zuständigkeiten und die Verbesserung der Betreuungsleistungen – erfordern möglicherweise weniger Ressourcen, aber eine Anpassung und Koordinierung der damit verbundenen öffentlichen Politiken.

Einige der angekündigten Maßnahmen stärken die Rolle des Dollars in der nationalen Wirtschaft, darunter:

  • Alle Transaktionen innerhalb der Volkswirtschaft werden in kubanischen Pesos (CUP) abgewickelt, mit Ausnahme der Sonderwirtschaftszone Mariel (ZEDM), zugelassener Einzel- und Großhandelsunternehmen in Fremdwährung, ausländischer Unternehmen und anderer zugelassener Unternehmen.
  • Die Fremdwährungskonten staatlicher Unternehmen werden „bereinigt“.
  • Es werden geschlossene Finanzierungsschemata für Exporteure genehmigt.
  • Nichtstaatliche Akteure müssen Importzölle in Devisen entrichten.
  • Hafendienstleistungen werden „schrittweise und selektiv“ auf Bezahlung in Devisen umgestellt.
  • Devisen werden als Bargeld in bestimmten Bereichen und Aktivitäten akzeptiert, wie beispielsweise im Tourismus.

Dabei ist zu erwarten, dass die Nachfrage nach Dollar für diese Transaktionen steigt, was sich auf den Wechselkurs zwischen Peso und US-Dollar auswirkt.

Ein weiterer zu erwartender Effekt könnte die Reduzierung der Aktivitäten von KMU und Selbstständigen sein, die bisher ein Wachstumsfaktor waren. Sie haben das Warenangebot signifikant verbessert und mit 9 Prozent der Gesamteinnahmen und 15 Prozent des Steueraufkommens zu den Staatseinnahmen beitragen.

Eine der Maßnahmen zur Ordnung des Außenhandels ist die Pflicht für den Privatsektor, seine Zahlungen über Konten kubanischer Banken abzuwickeln.

Können kubanische Banken diesen neuen Unternehmen ausreichende Garantien zur Verfügbarkeit ihrer Gelder im Bedarfsfall geben? Wird es möglich sein, ausländische Banken zu finden, die bereit sind, mit kubanischen Banken Geschäfte zu tätigen, obschon die Compliance-Abteilungen sicherstellen müssen, dass nicht gegen die extraterritorialen Vorschriften der Vereinigten Staaten gegen Kuba verstoßen wird?

Angesichts der Ergebnisse des ersten Halbjahres und der Kombination von beschlossenen und bereits umgesetzten Maßnahmen, ist mit einer sehr schwierigen zweiten Jahreshälfte zu rechnen. Die Importe durch den Privatsektor werden wahrscheinlich zurückgehen. Dies wird spürbare Auswirkungen auf die Verfügbarkeit des Angebots bestimmter Waren haben. Da der staatliche Sektor das Angebot nicht erhöhen kann, könnte dies die Inflation wieder anheizen – was zu einer Verringerung der Kaufkraft des kubanischen Peso führen wird.

Kuba muss wachsen, denn nachhaltige Entwicklung erfordert Wirtschaftswachstum. Die Wachstumsrate für den Zeitraum 2018-2023 liegt bei durchschnittlich -1,5 Prozent pro Jahr, das Jahr 2020 herausgerechnet beträgt sie 0,4 Prozent. Bei beiden Raten würde es mehr als 120 Jahre dauern, bis sich das Pro-Kopf-Einkommen verdoppelt hat.

Es ist notwendig, dass alle für mehr Wachstum zusammenarbeiten und die Dichte des Unternehmensgefüges erhöhen. Eben dieses Wachstum muss gefördert werden, damit alle Kubaner neue Möglichkeiten finden und motiviert sind, sie zu nutzen und etwas beizutragen.

Ein Gastbeitrag von Dr. Juan Triana Cordoví vom Studienzentrum der kubanischen Wirtschaft (CEEC) der Universität Havanna (UH). Übersetzung: Cuba heute. Erstveröffentlichung im spanischen Original auf OnCuba.

Quelle: Cuba heute

Cuba heute