Widerstände gegen Freihandel
Seit nunmehr fünf Jahren liegt es fertig vor, ist aber immer noch nicht in Kraft: das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay). In diesen Tagen löst es wieder einmal Debatten aus. Besonders die deutsche Industrie erhofft sich von ihm große Vorteile: einen besseren Zugang zu einem bedeutenden Absatzmarkt; zugleich aber auch einen ungehinderten Zugriff auf strategisch bedeutende Rohstoffe des Mercosur, darunter Lithium. Allerdings sind die Widerstände immer noch nicht ausgeräumt – vor allem in der EU.
»Ein historischer Moment!«, hatte der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am 28. Juni 2019 gejubelt, an diesem Freitag vor fünf Jahren. Die EU und der Mercosur hatten sich soeben auf den Wortlaut des Freihandelsabkommens geeinigt, an dem sie genau 20 Jahre lang, seit dem 28. Juni 1999, gearbeitet hatten. Es sieht weitreichende Marktöffnungen auf beiden Seiten vor.
Daß sich die Verhandlungen zwei Jahrzehnte in die Länge gezogen hatten, hatte seinen Grund: Die EU mußte dem Mercosur, im Gegenzug zu dessen Öffnung für ihre Industrieprodukte, einen weitgehend ungehinderten Zugang nicht nur für seine Rohstoffe, sondern auch für seine Agrargüter bieten; das aber drohte vor allem Frankreichs Landwirten und Agrarkonzernen empfindliche Nachteile einzubrocken. Paris stellte sich deshalb lange Zeit quer. Erst im Sommer 2019 lenkte es ein.
Und es schwenkte schon bald wieder um. Das EU-Mercosur-Abkommen muß von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Frankreich – nicht gewillt, Vorteile für die deutsche Industrie mit Nachteilen für französische Landwirte zu bezahlen – erhob bereits wenige Wochen nach der Einigung vom 28. Juni 2019 erneut Einwände. Irland, bald auch Österreich schlossen sich, ebenfalls in Sorge um ihre Agrarwirtschaft, an.
Der Vorwand, auf den sie sich bis heute berufen – und der Sache nach trifft er vollkommen zu: Das Abkommen berücksichtigt zentrale klimapolitische Belange nicht. Die EU hat vergangenes Jahr versucht, dem Mercosur eine Zusatzerklärung aufzunötigen, die einige klimapolitische Zugeständnisse enthält. Der Mercosur aber, nicht bereit, auf Kommando über stets neue Stöckchen der Exkolonialherren zu springen, weigerte sich; er legte seinerseits ein Zusatzpapier vor, das Probleme für kleine und mittlere Unternehmen aus seinen Mitgliedstaaten beseitigen soll. Die Verhandlungen steckten Ende 2023 erneut fest.
Dabei ist es bis heute geblieben. Anfang Februar bestätigte Frankreichs Ministerpräsident Gabriel Attal bei seinem Antrittsbesuch in Berlin, Paris bleibe bei seinem Nein. Präsident Emmanuel Macron bekräftigte es im März bei einem Besuch in Brasilien: Man habe »ein schreckliches Abkommen« ausgehandelt, das in die Tonne gehöre, erklärte er. Die Mercosur-Staaten sind – wie die Bundesrepublik Deutschland – im Grundsatz nach wie vor dafür, das Abkommen in Kraft zu setzen; zuletzt bestätigte Argentiniens Präsident Javier Milei das am bei seinem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin.
Wie weiter? Bereits Anfang Mai hatte Rupert Schlegelmilch, Verhandlungsführer der EU in Sachen Mercosur-Freihandelsabkommen, gegenüber der »Folha de São Paulo« eingeräumt, die Sache sei total verfahren; angesichts der Bauernproteste in diversen Staaten der EU sei es »keine günstige Zeit«. Der Erfolg des Rassemblement national bei der EU-Wahl hat die Wahrscheinlichkeit, daß Macron klein beigeben wird, weiter reduziert.
Kanzler Scholz sprach sich auf dem »Tag der Industrie«, der jährlichen Zukunftskonferenz des Unternehmerverbande BDI, dafür aus, Freihandelsabkommen künftig schmaler zu fassen; dann könnten sie mit qualifizierter Mehrheit auch gegen den Willen einiger weniger Mitgliedstaaten beschlossen werden. Wirtschaftsminister Robert Habeck äußerte sich ähnlich: Das biete auch den Vorteil, erklärte er, daß man nicht mehr auf die Zustimmung der nationalen Parlamente angewiesen sei. Ob Frankreich sich damit einverstanden erklären wird, mag bezweifelt werden.
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek