8. November 2024

Die Reise

Übernommen von Enlace Zapatista:

August 2024.

Ah, das Adrenalin der Macht. Es ist wie mit der Kohle: Es ist egal wie viel sie haben, sie möchten immer noch mehr. Sie macht trunken und süchtig. Klar, später kommt der Katzenjammer … wenn er kommt.

Was  während der langen und komplizierten Reise des Regierenden – wer immer es sei – zählt, ist das Ziel. Entgegen dem, was gedacht werden könnte, besteht das Ziel nicht darin, an einen Ort zu gelangen. Nein, das Ziel ist, als Präsident in die Geschichte einzugehen als der brillante und historisch einzigartige Fahrer.

Jeden Morgen wirft er die Scheibenwischer des Vehikels an, das einige immer noch »Nation« nennen. Er wischt damit die Menge an Insekten und Schmutz, die an der Scheibe haften, hinweg. Damit niemand seine Sicht des Weges trübe oder gar verbiege, noch die goldenen Lettern, die die vaterländische Geschichte, oder noch besser die Weltgeschichte, zu verherrlichen haben.

Dass die Insekten derart zu Kadavern und Abwesenheiten werden, spielt dabei keinerlei Rolle. Auch nicht der Schmutz, der zu Blut wird und die Realität, die Felsbrocken schleudert. Dass ja niemand sein Vorankommen aufhalte.

Und wenn seine Schicht am Lenkradsteuer zu Ende geht, was bleibt?

Niemanden scheint zu interessieren, wohin diese Straße führt, und vor allem, wer der Besitzer des Fahrzeuges ist. Ist nicht er es, der entscheidet, wohin es geht, mit wem, mit welcher Geschwindigkeit und welchen Fahrgästen diese Reise gemacht wird?

Ah, immer jedoch wird es Fußgänger der Geschichte geben.

Aus den Bergen des Südosten Mexikos.

Der Capitán.
August 2024.

PS der Ausgewogenheit, der Bilanz:

1.- Nicht zu vergessen, dass Chalco vor 30 Jahren das Aushänge-Schmuckstück von Carlos Salinas de Gortari und seinem [Sozial-]Programm »Solidarität« war. Es war ein intellektueller und praktischer Vorläufer der jetzigen [Sozial]-Programme des »Wohlstands«. Was heute an diesem Ort erlitten wird, wo ist da Salinas de Gortari, um Rechenschaft abzulegen? Die gegenwärtigen Untertanen werden sie da sein, um während der vorhersehbaren Katastrophen, in die ihre Megaprojekte münden werden, Rechenschaft abzulegen?

2.-  Die konservativen Oppositionellen waren »Widersacher«. Und diejenigen, die rebellieren und dem System widerstehen? Ah, diese ja, diese waren (und sind) Feinde. Sie verdienten und verdienen den Tod, die Verachtung, das Vergessen [werden]. Oder all das zusammen. Deshalb das Vergessen, die Straflosigkeit, die Ignoranz gegenüber dem Mord am Bruder Samir Flores Soberanes und allen ermordeten, verschwunden gemachten und eingeknasteten Bewahrer*innen der Erde, während der sogenannten »Revolution des Bewusstseins/ der Gewissen« (*1).

3.-  Der Name spielt keine Rolle, er ist derselbe. Es reicht ein ernster Blick, um es zu begreifen. Klar dies ja, es wird zu verstehen gewollt und es werden keine persönlichen Abneigungen und Vorlieben (bezahlt oder nicht) zu bestätigen gesucht.

4.-  Innerhalb der Regierungsnähe sind nicht alle gleich, das stimmt. Es gibt unbestrafte Kriminelle, die es bereits in den PRI-, PAN-, PRD-, PT- oder PVM-Parteien waren, noch bevor sie hinüber zur Regierungsnähe hüpften (wie der zukünftige Bildungsminister). Und es gibt diejenigen, die einfach nur dumm sind, wie der absurde Max Arriaga.

5.- Der Fehler, der zuvor [unter dem Prinzip] »Im Zweifel für den Angeklagten« begangen wurde, wiederholt sich nun. Die uns kritisiert haben, dass wir die Häutung der Schlange nicht unterstützten sondern kritisierten (*2), wurden von dem, den sie verteidigt haben, am härtesten angegriffen. Jetzt  tun sie es wieder, diesmal wappnen sie sich mit: »Es ist eine Frau« (*3).  Mann, Frau, AnderEr: das spielt keine Rolle. Dort oben liegt das Problem, und nicht die Lösung. Wenn sie nicht nach unten schauen, werden sie sich weiterhin am selben Stein stoßen. Und dies wäre pathologisch. Die Regierungsnähe sucht nicht Unterstützung sondern Komplizenschaft.

6.- Er besitzt den Autoritarismus Gustavo Díaz Ordaz‘, den Pappmaché-Nationalismus Luis Echeverría Álvarez‘, die korrupte Demagogie José López Portillos, die ausführende Mittelmäßigkeit Miguel de la Madrids, die Perversität Carlos Salinas de Gortaris, die kriminelle Berufung Ernesto Zedillos, die enzyklopädische Unwissenheit Vicente Fox‘, den Militarismus und die kurze Lunte Felipe Calderóns, die frivole Oberflächlichkeit Enrique Peña Nietos (*4). Wer mag es wohl sein? Ahja, und da sind auch noch die Hofschranzen aller. Wechseln die Präsidenten, ändern sich auch die Gehaltslisten. Das Selbstlob und Schrille dabei, ja, das macht einen Teil des »persönlichen Regierungsstils« aus. 

PS der Unausgewogenheit:

1.- Die Strategie des »Nein zur Überrepräsentierung« durch die fehlbenannte Opposition sucht nicht den seit Jahrzehnten nicht existierenden Ausgleich der Mächte. Was sie wollen, ist den Verkaufspreis für ihre Entscheidungen in den Parlamentskammern hochzutreiben. Eben Marktlogik.

2.- Die angebliche »Verteidigung« der Justizmacht ist nichts anderes als Selbstverteidigung. Die Kriminellen neigen dazu, sich zusammenzutun, wenn sie sich bedroht sehen. Worum es geht, ist nicht die Autonomie der Richter, sondern wer handhabt das Handelsgeschäft der Justiz.

3.- Die intellektuellen Urheber der »oppositionellen Einheit« erklären nicht ihr Scheitern. Für die Fehler zahlen nicht sie sondern andere, insofern gibt es da kein Problem. Die [Wahl-]Niederlage von Bertha [Xochitl Gálvez] zeigt, es geht dabei weder um Gender noch um [Zeitungs-]Kolumnen von »Spezialisten« sondern um den Apparat. Und diesen haben die regierungsnahen Kreise ihnen bereits vor sechs Jahren entrissen.

4.-  Sie beklagten sich, sie beklagen sich, sie werden sich desselben beklagen, was sie selbst jahrelang praktiziert haben: Lüge, Verleumdung, Beschimpfung, Missachtung, medialer Auswurf, »keine Beweise für das Gesagte präsentieren«, Machtmissbrauch innerhalb der Medien, das Tribunal der allmorgendlichen Pressekonferenz [des Präsidenten]. Und dies von einer lächerlichen Informationsplattform aus, wie die, die sie über Jahrzehnte aufgebaut haben. Eben marktschreierisch schrille Töne. Im Plural.

5.-  Dachten sie ernsthaft, Alito, los Chuchos oder wie auch immer der Präsident der PAN-Partei heißen mag, wären eine Wahl-Option? Die Albernheiten von Bertha würden die junge Wählerschaft vom Hocker reißen?

6.- Sie wussten sich nicht als Option der »Mitte« zu präsentieren (nicht nur weil diese nicht existiert, aber das ist ein anderes Thema) noch als Option der Rechten. Sorgen Sie sich jedoch nicht: Das von der Ideologie ist [ja selbst] Ideologie. Und was wichtig ist, ist das Geschäft. Das heißt: die Real-Politik.

Das war’s.  Es blieben noch Sachen offen, aber das wird für später sein. Oder auch nicht.

Der Capitán.

(Fortsetzung folgt …)

 

Anmerkungen der*die Übersetzer*in:

(1) ideologischer Kampfbegriff der Morena-Partei unter Andrés Manuel López Obrador

(2) »Häutung der Schlange«: Wahl von López Obrador zum mexikanischen Präsidenten 2018

(3) die neu gewählte mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum, ebenfalls Morena-Partei.

(4) Aufzählung mexikanischer Präsidenten vor der Amtszeit von López Obrador (2018-2024)

Quelle: Enlace Zapatista

Mexiko