8. November 2024

Märchen von der ausbildungsunwilligen und unausbildbaren Jugend

Übernommen von SDAJ:

Der sogenannte „Fachkräftemangel“ und die Akademisierung (immer mehr Abiturienten, immer weniger Azubis) ist seit Jahren ein permanentes Thema. In den bürgerlichen Medien ist schnell ein Verantwortlicher gefunden: Die Jugendlichen sind faul, brauchen mehr „Bock auf Arbeit“ (Steffen Kampeter, Geschäftsführer Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände). Die Lösung: Rente mit 63 sei eine „Fehlleistung der Politik“, in Schulen muss „Leistung eine größere Rolle spielen“. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr AbiturientInnen.

Das Märchen der faulen Jugendlichen

Wenn man den Medien Glauben schenkt ist die „Generation Z“ nun wirklich die Generation, die alles zerstört. Immer weniger Jugendliche würden „richtig arbeiten“ wollen, also bspw. eine betriebliche Ausbildung. Leistung wird nicht mehr geschätzt und niemand will mehr Überstunden schieben für seine „Karriere“. Und zuallererst scheint diese Geschichte einen wahren Kern zu haben: Immer mehr Jugendliche „entziehen“ sich dem Arbeitsmarkt und studieren, 1950 kamen auf 10 StudentInnen 75 Azubis, 2021 waren es nur vier(!). Außerdem gab es 2021 rund 63.000 unbesetzte Ausbildungsplätze.

Fachkräftemangel vs. Ausbildungsplatzmangel

Groß in den Medien zu hören, sind Industrievertreter, die Kammern und ihre politischen Vertreter, wenn es darum geht, dass Fachkräfte fehlen. Im Jahr 2021 blieben laut Agentur für Arbeit etwa 63.176 Ausbildungsplätze unbesetzt. Auf der anderen Seite stellt die DGB-Jugend in ihrem jährlichen Ausbildungsreport von 2022 klar, dass noch mehr Jugendliche (67.818) Ende September immer noch auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz waren und das Angebot an Ausbildungsplätzen seit 2019 um knapp 10% gesunken ist.

Auch wenn die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze seit Jahren steigt, muss man sich fragen, woher diese Entwicklung kommt. Dabei ist es kein Zufall, dass Berufe, die im DGB-Ausbildungsreport besonders schlecht abschneiden, wie bspw. im Gastronomie- oder Handwerksbereich, auch besonders stark von mangelnden BewerberInnen betroffen sind. Ein Drittel der Azubis müssen immer noch Überstunden schieben und jeder zehnte Azubi macht häufig oder immer ausbildungsfremde Tätigkeiten. Dass gute Arbeitsbedingungen im Gegensatz dazu, zu einer erhöhten Nachfrage an einer Ausbildung führen zeigt das Beispiel eines handwerklichen Ausbildungsbetriebes am Bodensee, als dieser die 4 Tage Woche einführte.

Zudem verlangen Ausbildungsbetriebe einen immer höheren Bildungsstand, wie bei einer Analyse von Ausschreibungen deutlich wird. Nur auf ein Drittel aller Ausbildungsberufe kann man sich mit einem Hauptschulabschluss bewerben und lediglich 24,3% der abgeschlossenen Ausbildungsverträge im Jahr 2021 gehen auf HauptschülerInnen zurück. Denn auf einen Ausbildungsplatz, bei dem mindestens ein Hauptschulabschluss erforderlich ist, können sich immer noch RealschülerInnen oder SchülerInnen mit Hochschulzugang bewerben, die dabei deutlich bessere Chancen haben.

Vor allem kleine Betriebe können sich eine Ausbildung tatsächlich nicht mehr leisten: Der durchschnittliche Azubi kostet rund 20.000 Euro, wobei der Großteil die Ausbildungsvergütungen sind. Deswegen müssen sie „sich lohnen“, das heißt ausbildungsfremden Tätigkeiten nachgehen, und möglichst pflegeleicht sein. EinE RealschülerIn oder AbiturientIn ist meistens „einfacher“ zu unterrichten als einE HauptschülerIn, d.h. weniger AusbilderInnen, mehr eigenständige Arbeit.

Und trotzdem sind viel Auszubildende weiterhin auf Unterstützung ihrer Eltern angewiesen.

Die Akademisierung

Immer mehr ehemalige Ausbildungsberufe werden zu Studienfächern, beispielsweise der Beruf der Hebamme. Gerade auch im Bereich der Sozialen Arbeit wurde über viele Jahrzehnte immer mehr an die Uni verlagert, während man in der Nachkriegszeit noch einen klassischen Ausbildungsberuf hatte. Der Anstieg an dualen Studienfächern wie bspw. Wirtschaftsinformatik oder Mechatronik ist ein klarer Ersatz für betrieblichen Ausbildungen wie FachinformatikerIn oder dem MechatronikerIn.

Von 2014 bis 2019 gab es 17.3% mehr angebotene Studienfächer an deutschen Universitäten, und von 2014 bis 2023 rund eine halbe Million Studierende mehr, ein Zuwachs von 8%.

Es handelt sich dabei um eine Kostenverschiebung: Anstelle der Unternehmen zahlen also wir über unsere Steuern für die Qualifikation der gesuchten Fachkräfte. Die Unternehmen können sich ihre qualifizierten ArbeiterInnen direkt von der Uni abholen.

Ausbildung: Ein Widerspruch der Klasseninteressen

Wir sehen also: Das Problem der Akademisierung, der mangelnden Ausbildungsplätze und des „Fachkräftemangels“ ist ein typischer Klassenwiderspruch: Auf der einen Seite braucht das Kapital eine Hand voll hochspezialisierte Fachkräfte, um sich im internationalen Konkurrenzkampf zu behaupten. Auf der anderen Seite möchten die Konzerne ihre Ausbildungskosten so gering wie möglich halten und möglichst schnell Profit aus ihren Azubis rausquetschen. Das betrifft vor allem Berufe, die nicht zu diesem Konkurrenzkampf um technischen Fortschritt beitragen und so zu prekären Beschäftigungsverhältnissen neigen, wie bspw. die Pflege oder der Einzelhandel.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass die guten Ausbildungsplätze Schülern mit Hochschulzugang vorbehalten werden. Außerdem bereitet die mediale Kampagne vom Fachkräftemangel einem Abbau von Stellen und Ausbildungsplätzen den ideologischen Boden.

Für uns Jugend hat eine Berufsausbildung den Zweck Fähigkeiten zu erlernen mit denen wir ein aktiver Teil im gesellschaftlichen Produktionsprozess werden, eine für die Gesellschaft sinnvolle Rolle erfüllen und sie nach unseren Interessen zu verändern. Dazu gehört eine allgemein qualifizierende Ausbildung, die uns beruflich genauso wie persönlich fördert. Die Spezialisierung der Ausbildung je nach Betrieb und der Fokus der Betriebe ArbeiterInnen nur nach ihren Bedürfnissen heranzuzüchten, ist nicht in unserem Interesse.

 

Quelle: SDAJ

SDAJ