19. November 2024

Belgiens »Arizona-Koalition« plant Sozialkahlschlag

Übernommen von Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek:

Am Montag soll der flämische Rechtsnationalist Bart De Wever dem belgischen Staatsoberhaupt einen Zwischenbericht zu seinem zweiten Anlauf zur Regierungsbildung nach der Parlamentswahl vor mehr als drei Monaten vorlegen. Weil sich die fünf willigen Parteien einer sogenannten Arizona-Koalition nicht auf eine sehr moderate Kapitalertragssteuer auf Aktien einigen konnten, hatte der Antwerpener Bürgermeister das Mandat als Formateur im August zunächst niedergelegt.

Doch De Wever glaubt weiter an »Arizona« – der Name bezieht sich auf die Farben in der Flagge des USA-Bundesstaats: Gelb für die flämischen Nationalisten, Rot für die Sozialdemokraten in Flandern, Blau für die wallonischen Wirtschafts- und vermeintlichen »Links«-Liberalen und Orange für die Christdemokraten aus dem flämischen Landesteil.

Abgesehen von der eher symbolischen Steuer auf Aktienerträge konnten sich die fünf möglichen Koalitionäre schnell auf ein Regierungsprogramm einigen, das vor allem für die Schaffenden und Rentner einen umfassenden Sozialkahlschlag bedeuten würde.

So sollen fossile Brennstoffe bei der Berechnung des Index weniger ins Gewicht fallen, so daß die Löhne beim nächsten, womöglich wieder selbstverschuldeten »Energiepreisschock« nicht Schritt halten können und die Kaufkraft der Schaffenden entsprechend sinkt.

Außerdem sollen ab einer Inflation von vier Prozent pro Jahr nur noch die Nettolöhne indexiert werden, was sich negativ auf Jahresprämie, Urlaubsgeld und vor allem die Renten auswirken würde.

Ebenfalls einig ist sich »Arizona«, daß man bei einer Regierungsübernahme die ungerechte, weil überproportional von ärmeren Menschen entrichtete TVA auf Güter des täglichen Bedarfs und für das Bau- und Gastgewerbe von sechs auf neun Prozent sowie die Akzisen auf Treibstoffe erhöhen will.

Auch ein Frontalangriff auf die Renten ist geplant. Wer am Ende seines Berufslebens Überstunden von Zeitsparkonten abfeiert oder zeitweise in Teilzeit gearbeitet hat, soll nicht mehr in den Vorruhestand gehen dürfen. Das hätte zur Folge, daß die meisten Frauen keinen Anspruch mehr auf die gesetzliche Mindestrente hätten.

Indem im Arbeitsrecht der Beginn der Nacht von derzeit 20 Uhr auf Mitternacht (!) verschoben wird, will »Arizona« dem Patronat einen Großteil der bislang fälligen Zuschläge schenken. Hinzu kommt, daß das grundsätzliche Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen aufgehoben werden soll, so daß auch hier die Zuschläge wegfallen würden.

Hinsichtlich der Begrenzung der Arbeitszeit will »Arizona« den Schaffenden die Minimalstandards der EU zumuten, was das Ende des Achtstundentages und der 38-Stunden-Woche bedeuten würde.

Und als wäre das alles noch nicht genug, sollen belgische Patrons auch noch das Recht erhalten, ihre Lohnabhängigen pro Woche zu sieben Überstunden ohne Zuschläge oder Ausgleichsruhezeiten zu verpflichten. Zur Entlastung der Rentenkasse sollen diese Überstunden künftig auch nicht mehr auf die Rente angerechnet werden.

Die »Arizona«-Pläne seien »asozial«, faßte die Präsidentin des sozialistischen Gewerkschaftsbundes FGTB/ABVV, Miranda Ulens, zusammen. Sie liefen darauf hinaus, die in acht Jahrzehnten erkämpften sozialen Errungenschaften der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung zu opfern. Genau darum geht es. Nur wenn sich Belgiens Gewerkschaften alldem gemeinsam entschlossen entgegenstellen, kann der Sozialkahlschlag verhindert werden.

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek

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