Mitbestimmung? Nein danke.
Übernommen von Unsere Zeit:
Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. 10 Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“ So zitiert Marx im Ersten Band des Kapitals den englischen Gewerkschafter T. J. Dunning. Auch gut 160 Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage scheint der alte Spontispruch „Legal, illegal, scheißegal“ in Unternehmerkreisen Konjunktur zu haben. Eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Befragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung liefert deutliche Hinweise darauf, dass „Arbeitgeber“ mehr als jede fünfte Neugründung von Betriebsräten behindern, obwohl es sich dabei um einen Straftatbestand handelt. Besonders oft war dies bei inhabergeführten mittelständischen Unternehmen mit 50 bis 100 Mitarbeitern der Fall.
Die Wissenschaftler des WSI hatten im Rahmen der Untersuchung im vergangenen Jahr Gewerkschafter aus 131 regionalen Organisationen der IG BCE, der IG Metall und der NGG zu ihren Erfahrungen mit der Durchführung von Betriebsratswahlen befragt. Angesprochen wurden gezielt Experten in regionalen Gliederungen, die einen guten Einblick über die betriebliche Situation in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich haben. 47 Prozent der Befragten waren Fälle bekannt, in denen Unternehmer zwischen 2020 und 2022 versucht hatten, Betriebsratswahlen zu behindern.
Bei der Sabotage von Mitbestimmungsstrukturen im Betrieb sind der Fantasie der Kapitalseite keine Grenzen gesetzt. In 62 Prozent der im Rahmen der WSI-Untersuchung bekannt gewordenen Fälle wurden mögliche Kandidaten eingeschüchtert. In 58 Prozent der Konfliktfälle versuchten Unternehmer die Bestellung eines Wahlvorstands zu verhindern, bei 45 Prozent unterstützten sie ihnen nahestehende Kandidaten. In 21 Prozent der betroffenen Betriebe wurde sogar Kandidaten gekündigt. Nach Angabe der befragten Gewerkschafter nahmen gut 47 Prozent der Arbeitgeber, die Betriebsratswahlen behinderten, bei ihren Störaktionen externe Hilfe durch Anwaltskanzleien oder Unternehmensberatungen in Anspruch.
Insgesamt wurde in 38 Prozent der 138 Betriebe mit bekannten Behinderungsversuchen die Wahl letztlich vereitelt. Dabei gab es erhebliche Unterschiede zwischen erstmaligen und Wiederholungswahlen: In den Betrieben, in denen Beschäftigte erstmals einen Betriebsrat wählen wollten, fanden sogar 45 Prozent der Wahlen letztlich nicht statt.
Die Ergebnisse zeigen – so die Wissenschaftler des WSI – wie notwendig ein erweiterter gesetzlicher Schutz vor Eingriffen des Managements ist. Wichtig seien einerseits gesetzliche Reformen, die auch Kandidaten bei Betriebsratswahlen noch besser gegen Repressionen der Arbeitgeber absichern. Andererseits müssten Verstöße wirksamer als bisher sanktioniert werden.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sieht erwartungsgemäß keinen Handlungsbedarf. Man verweist darauf, dass bei den Staatsanwaltschaften nur wenige Verfahren zur Behinderung von Betriebsratsarbeit aufliefen. „Die Behauptung erinnert eher an das Ungeheuer von Loch Ness: Viele wollen es gesehen haben, nur entdeckt hat es bisher niemand“, heißt es zynisch in einer Stellungnahme des Unternehmerverbandes, wissend, dass die Sabotage von Betriebsratswahlen nur in den seltensten Fällen zur Anzeige kommt.
Ändern könnte sich dies, wenn die Behinderung von Betriebsratswahlen vom Antragsdelikt zum Offizialdelikt hochgestuft würde. Dann wären die Staatsanwaltschaften „von Amts wegen“ verpflichtet, diese zu verfolgen, sobald sie Kenntnis davon erlangen. Eine solche Reform steht auch im Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung. Auf eine Umsetzung wartet man jedoch zur Freude der Unternehmerverbände vergebens.
Quelle: Unsere Zeit