„Sie zerstören Menschenleben!“
Übernommen von Unsere Zeit:
„Wir bleiben! Wir bleiben!“ schallen fröhliche Kinderstimmen durch das Marxloher Viertel rund um die Herbert-Grillo-Gesamtschule. Immer wieder rennen spielende Kinder mit ihren bunten Herzluftballons aus den großen Hinterhöfen auf die Straße, weil sie Shabnam, Asli und Ibo von der „Initiative Marxloher Nachbarn“ erkennen. „Wir bleiben!“, eine verinnerlichte Parole, die sie gemeinsam auf einer Demonstration vor gut zwei Wochen gelernt haben, um gegen die drohenden Räumungen von rund 50 Häusern im Viertel zu protestieren.
Shabnam, Asli und Ibo, wie einige andere Aktive der Initiative, haben die Menschen ermutigt, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Auch heute sind sie wieder im Viertel unterwegs und mobilisieren für eine Aktion. In zwei Stunden, es ist gerade 11 Uhr am Samstagmorgen, hat der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link zu einem Bürgerspaziergang durch Marxloh eingeladen. „Der Chef der Stadt kommt, da müssen wir hin!“, erklärt Shabnam einer rumänischen Mutter, die kurz nach den Kindern gespannt zur Straße nachkommt. „Da können wir ihn fragen, was jetzt mit den Wohnungen ist.“
Rassistische Wohnungspolitik: Problemverwaltung oder Problemimmobilie?
Anfang September stellte sich heraus, dass die Verwaltungsfirma der rund 50 Häuser die Nebenkosten für Wasser zwar einkassierte, aber nicht an die Stadtwerke Duisburg weiterzahlte. Über eine Million Euro Schulden haben sich dadurch angehäuft. Die Stadtwerke kündigten daraufhin an, das Wasser abstellen zu wollen. Für die Stadt Duisburg werden die Wohnungen durch eine solche Maßnahme aber unbewohnbar. Deshalb drohte sie den rund 900 betroffenen Menschen mit Räumung.
Die Wohnungseigentümer, die IPG I GmbH und der Verwalter, die Ivere Property Management GmbH, agieren dabei wie jeder Miethai, der mit Armut und Wohnen seine Profite macht. Die Praxis ist simpel: Die Mieten eintreiben, ohne die Immobilien instand zu halten. Vorzugsweise geschieht dies bei Menschen, die sich aufgrund ihrer Erfahrungen mit Ausgrenzung und Rassismus weniger gegen Behörden, Polizei und Politik zur Wehr setzen. Anders ist es jedoch hier im Marxloher Viertel rund um die Herbert-Grillo-Gesamtschule, unweit vom Rhein und dem letzten Duisburger Thyssen-Stahlwerk. „Die Häuser werden seit Jahrzehnten vernachlässigt“, erzählt mir Shabnam von der „Initiative Marxloher Nachbarn“, während wir im Treppenhaus eines der betroffenen Häuser stehen und an jeder Tür klopfen.
Die Stadt hat vor ein paar Jahren eine eigene Task Force „Problemimmobilien“ eingesetzt. Angesiedelt in der städtischen Stabsstelle für besondere Projekte kommt es immer wieder zu Räumungen von Häusern. Innerhalb von Stunden müssen Bewohner ihr Zuhause verlassen und werden teils in Turnhallen oder viel zu kleinen Unterkünften untergebracht. „Mit der völlig rassistischen Task Force will man die Menschen hier loswerden. Man lässt die Häuser einfach verrotten, bis sie wirklich unbewohnbar sind“, fasst es Asli empört zusammen. Alte Fenster, schlechte Dämmungen, feuchte Wände, Schimmel und Pilzwuchs seien teilweise der Zustand in den Häusern. Die Praxis der „Task Force Problemimmobilien“ sorge aber dafür, dass die Menschen Angst haben, davon zu berichten und sich zu beschweren, weil sie genau wissen: „Sage ich, wie es wirklich ist, verliere ich vielleicht mein Zuhause, anstatt eine Sanierung der Häuser zu bekommen.“
„Unser Marxloh, unser Hof – Alle finden Sören doof!“
Während Shabnam, Asli und Ibo im Viertel mit Flugblättern mobilisieren, bereitet der Rest der Initiative Plakate und große Transparente vor, die sie entlang der Route des Bürgerspaziergangs anbringen. Treffpunkt für alle ist vor der St. Peter-Kirche, gut 300 Meter vom Viertel entfernt. Dort startet der oberbürgermeisterliche Spaziergang. Rund 40 angemeldete Bürger haben sich dort eingefunden, um mit dem Sozialdemokraten Link durch Marxloh zu schlendern. Mit dabei sind ebenso viele Nachbarn aus dem Viertel. Mit ihren Schildern fordern sie „Wohnungen für Alle!“ oder „Geld für Bildung und Soziales statt für die Task Force!“. Als sich der Tross vom sichtlich überraschten Oberbürgermeister Richtung Herbert-Grillo-Gesamtschule in Bewegung setzt, skandieren die Marxloher Nachbarn immer wieder ihre Parole: „Wir bleiben!“.
„Sie zerstören hier bürgerschaftliches Engagement“, interveniert plötzlich der SPD-Oberbürgermeister. „Sie zerstören Wohnraum und Menschenleben!“, entgegnet ihm die Stadtteil-Aktivistin und Kinderkrankenschwester Sylvia Brennemann, die seit Jahrzehnten für ihr Engagement bekannt ist und sich zwischenzeitlich dem Bürgerspaziergang angeschlossen hat. Die beiden kennen sich. Auf Nachfrage, warum die Stadt Duisburg keine klare Aussage macht und den 900 Menschen, die sich nichts zu Schulden kommen lassen haben, hilft, weicht OB Link immer wieder aus. Der Vermieter sei der Böse, weil er die Wasserkosten nicht bezahlt habe. Die Stadtwerke hätten daraufhin das Recht – das sei juristisch einwandfrei – das Wasser abzustellen. Die Wohnungen seien damit „auf Perspektive unbewohnbar!“
Ein Zynismus: Die Standards werden mit dem sogenannten Wohnraumstärkungsgesetz festgelegt. Auf den ersten Blick ein Gesetz, das lebenswerten Wohnraum garantieren soll. Die Task Force „Problemimmobilien“ in Duisburg zeigt jedoch, dass es sich wesentlich um eine Praxis der rassistischen Armutsverdrängung handelt. „Die Stadt sei am Thema dran“, versucht Link einen Bewohner zu beruhigen. Man könne aber nicht verlangen, dass die 1 Million Euro Schulden einfach „von den Bürgern der Stadt bezahlt werden.“ Auf meine Nachfrage als UZ-Reporter, ob man den 900 Betroffenen jetzt versichern könnte, dass die Räumungen wirklich abgewendet seien, wollte der „Chef der Stadt“ jedoch keine Antwort geben.
Trotz Armut und Ausgrenzung: „Wir bleiben!“
Als die sehr hektisch agierende und sichtbar genervte Mitarbeiterin des Oberbürgermeisters das Ordnungsamt ruft, ziehen sich die Bewohner des Viertels lieber zurück. Allzu oft haben sie schlechte Erfahrungen mit den dunkelblauen Uniformierten gemacht. Etwas abseits vom Geschehen spreche ich noch mit Bobi, einem Vater von drei Kindern, der mit seiner Familie in einem der betroffenen Häuser lebt. „Ich bin seit 10 Jahren in Deutschland, ich habe immer gearbeitet, immer meine Miete bezahlt, und trotzdem werden wir wie Dreck behandelt“, beklagt er sich und lächelt dabei dennoch. „Aber das lassen wir uns nicht mehr gefallen – das sind unsere Häuser, unser Viertel – wir bleiben!“
Die Initiative hat mittlerweile anwaltliche Unterstützung gefunden, um die Stadt weiter unter Druck zu setzen. Die Marxloher Nachbarn haben es durch ihr Engagement geschafft, auf Augenhöhe mit den Menschen in ihrem Viertel in Aktion zu treten. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Räumungen, Verdrängung und Ausgrenzung. Von den Marxloher Nachbarn kann man lernen, dass es auch um eine andere Kommunalpolitik geht. Eine Kommunalpolitik von unten, die den Menschen und nicht Profite ins Zentrum stellt.
Quelle: Unsere Zeit