Sonnenkönig
Übernommen von Unsere Zeit:
Die französische Tageszeitung „L’Humanité“ fragte Emmanuel Macron im Februar dieses Jahres, inwiefern ihn das Votum linker Wähler – die ihn 2022 gewählt hatten, um Marine Le Pen als Präsidentin zu verhindern – verpflichte. „Sie werden schon sehen“, antwortete der Präsident knapp.
Am Abend der EU-Wahl, als die ersten Hochrechnungen zeigten, wie deutlich Frankreichs Wähler Macron und dessen Partei Renaissance abgestraft hatten, löste der die Nationalversammlung auf und kündigte Neuwahlen an. Diese Entscheidung hatte er fast alleine und gegen den Rat enger Vertrauter getroffen. Frankreich fühlte sich überrumpelt. Keine Woche ließ er den Parteien Zeit, um ihre Listen aufzustellen.
In Rekordzeit einigten sich die Französische Kommunistische Partei (PCF), La France insoumise (LFi), Les Écologistes und die einst sozialdemokratische Parti Socialiste (PS) darauf, gemeinsam als Neue Volksfront anzutreten. Ihr Programm sah vor, die „Rentenreform“ abzuschaffen, die Macron am Parlament vorbei hatte dekretieren lassen, den Mindestlohn auf 1.600 Euro pro Monat zu erhöhen und den Lebensstandard der meisten Franzosen zu heben durch einen automatischen Inflationsausgleich für Gehälter und einen Preisdeckel für wichtige Güter des täglichen Bedarfs. Das Programm überzeugte viele Wähler, die Neue Volksfront gewann. Sie stellt jetzt die stärkste Fraktion, vor Macrons Bündnis „Ensemble pour la République“, hat allerdings keine absolute Mehrheit. Die Faschisten des Rassemblement National (RN), die sich schon als Sieger gewähnt hatten, landeten auf Platz drei.
Nun ist es Tradition in Frankreichs V. Republik, dass der Präsident einen Premierminister aus den Reihen der stärksten Fraktion ernennt. Macron hielt sich daran, als er vor zwei Jahren Élisabeth Borne zur Premierministerin ernannte. Damals hatte Renaissance die Wahl gewonnen, aber keine absolute Mehrheit erzielt. Macron hatte im Juni zugesichert, Jordan Bardella zum Premierminister zu ernennen, sollte RN die Wahl gewinnen. Nach dem Sieg der Neuen Volksfront schob er die Regierungsbildung auf. Als Vorwand nutzte er die Olympischen Spiele. Am Montag vergangener Woche erklärte der Präsident schließlich, er werde keine Regierung aus den Reihen der Neuen Volksfront bilden. Eine solche würde im Parlament sofort abgewählt werden, „begründete“ er seine Entscheidung.
Heute habe man den Franzosen gesagt, ihre Stimme bringe nichts, stellte Lucie Castets auf „France Inter“ fest. Castets ist 37 Jahre alt und parteilos. Sie ist die Wunschkandidatin der Neuen Volksfront für das Amt der Premierministerin. Macrons Entscheidung sei eine „Schande“, erklärte Marine Tondelier, Nationalsekretärin der Écologistes. Und Manuel Bompard, Nationaler Koordinator von LFi, nannte den krummen Winkelzug des Präsidenten einen „antidemokratischen Putsch, der auf sinnfreier Argumentation fußt“. LFi will beantragen, Macron des Amtes zu entheben. Die Verhältnisse im Parlament allerdings machen einen Erfolg unwahrscheinlich.
Erleichtert zeigte sich hingegen der Unternehmerverband MEDEF. Dort freut man sich auf weitere „Reformen“ Macrons: Angriffe auf die Arbeitslosenversicherung, den Öffentlichen Dienst, auf Mieter hatte der schon vor der Wahl versprochen. Die Rente will Macron künftig am Kapitalmarkt verspielen.
Zweimal wählten die Franzosen Macron zu ihrem Präsidenten, weil er das kleinere Übel war im Vergleich zur Faschistin Le Pen. Noch bei der Neuwahl haben viele in der zweiten Runde für Kandidaten aus Macrons Partei gestimmt, um eine RN-Regierung zu verhindern und die bürgerliche Demokratie zu retten. Die wird jetzt von Emmanuel Macron selbst abgeschafft – zusammen mit RN. Eine Regierung Castets werde man sofort stürzen, hatten Le Pen und Bardella nach einem Termin bei Macron geäußert und durchblicken lassen, dass man eine bürgerliche Regierung wohl tolerieren würde.
„Wenn Wählen nicht mehr reicht, gehen wir auf die Straße“, kündigte Marine Tondelier an. Die Parteien der Neuen Volksfront mobilisieren jetzt zu einer großen Demonstration in Paris am 7. September. Der Gewerkschaftsverband CGT ruft seine Mitglieder auf, sich an dieser Demo zu beteiligen. CGT mobilisiert ihrerseits zu einer großen Demonstration am 1. Oktober, zusammen mit anderen Gewerkschaftsverbänden. Auch dabei steht die Abschaffung der „Rentenreform“ im Mittelpunkt. Die PCF rät ihren Mitgliedern, diese Demo zu unterstützen.
Ob Macron und seine reichen Freunde mit ihrem Putsch durchkommen? Man wird sehen.
Quelle: Unsere Zeit