Ein Handlungszwang für das Kapital – oder: der tendenzielle Fall der Profitrate
Übernommen von Unsere Zeit:
Fast alle unsere Güter und viele der Dienstleistungen unserer Gesellschaft werden von kapitalistischen Firmen hergestellt. Aber Kapital funktioniert nur, wenn es sich verwerten kann, wenn es Gewinn (Profit) macht. Nun führt aber die Konkurrenz der kapitalistischen Firmen untereinander um Marktanteile dazu, dass jede Firma gezwungen wird, günstiger zu produzieren, um im Preiskampf mithalten zu können. Doch „günstiger produzieren“ heißt: Die Produkte müssen mit immer weniger menschlicher Arbeit hergestellt werden. Maschinen, also Kapitalaufwendungen, nehmen ihren Platz ein. Doch dahinter verbirgt sich ein Widerspruch, der für den Kapitalismus letztendlich tödlich ist: Nur die menschliche Lohnarbeit alleine ist in der Lage, Mehrwert beziehungsweise Profit zu liefern, die das Kapital für seine Verwertung braucht. Doch durch die ständigen Rationalisierungen reduzieren die Firmen grade diese menschliche Arbeit. Sie untergraben damit langfristig ihre eigene Existenz.
In den Fachbegriffen der marxistischen Ökonomie ausgedrückt heißt das: Es wird von den Firmen immer weniger variables Kapital, also Arbeitskräfte, eingesetzt im Verhältnis zum konstanten Kapital (Maschinerie, IT, Rohstoffe). Aber damit sinkt die Profitrate der Kapitale tendenziell, da derjenige Faktor, dessen Ausbeutung alleine für den Mehrwert (und damit den Profit) verantwortlich ist, relativ weniger wird und stattdessen die konstanten Kapitalkosten (Maschinen) steigen. Die Formel dafür ist Profitrate = Mehrwert / gesamtes eingesetztes Kapital (variables + konstantes).
Umgekehrt reagiert das Kapital deshalb empfindlich auf alle Erhöhungen der (konstanten) Kapitalkosten, da diese ebenfalls zum Fall der Profitrate führen. Ein aktuelles Beispiel: Der politisch motivierte Verzicht auf russisches Gas führt nicht nur bei energieintensiven Branchen in Deutschland (Chemie) zu Absatzproblemen wegen steigender Herstellungskosten, nein: für die gesamte Wirtschaft der EU sinkt dadurch die Profitrate, da dem erhöhten Kapitaleinsatz für teurere Energie keine entsprechende Erhöhung des Mehrwerts gegenübersteht.
Tendenzieller Fall der Profitrate heißt also, sehr vereinfachend ausgedrückt: In dem Maße, wie das Kapital als Ganzes seine produktiven Kräfte erweitert, wirft eine feste Kapitalsumme tendenziell immer weniger Profit ab.
Diverse Maßnahmen sollen diesem „tendenziellen Fall der Profitrate“ gegensteuern – und das gelingt auch zeitweise. Die naheliegendste Maßnahme ist die Verschärfung der Ausbeutung der Arbeitskraft, das heißt mehr Profit durch mehr Arbeit bei gleichem oder weniger Lohn und damit mehr Mehrwert.
Dabei gibt es drei Möglichkeiten:
1. Direkte Senkung des Lohns. Ein Beispiel für dieses Agieren: Die „Agenda 2010“ und Hartz IV haben dafür gesorgt, dass Deutschland dank vergleichbar billiger Lohn- und damit Produktionskosten zum Exportweltmeister wurde.
2. Die Verschärfung der sogenannten „absoluten“ Ausbeutung. Das geht einerseits durch die Verlängerung des Arbeitstages. Und andrerseits durch Intensivierung der Arbeit; in derselben Zeit muss die Arbeitskraft mehr Arbeit aufwenden (Band läuft schneller; mehr Mails sollen abgearbeitet werden). Diesen Methoden der „absoluten“ Ausbeutung sind physische und psychische Grenzen (steigende Arbeitsunfähigkeits-Tage wegen psychischer Erkrankungen!) gesetzt; die Durchsetzung entsprechender Forderungen ist Aufgabe der mit ihren Gewerkschaften kämpfenden Arbeiterklasse.
3. Die wesentliche Methode der Erhöhung der Ausbeutung ist die des „relativen Mehrwerts“. Durch den Einsatz von produktiveren Methoden lassen sich die Gebrauchswerte, die die Arbeiterklasse benötigt, immer günstiger herstellen. Die Ware Arbeitskraft wird billiger. Das heißt: Selbst bei einem konstanten Konsumniveau der Beschäftigten sinkt der Lohnanteil am neugeschaffenen Wert kontinuierlich. Dadurch steigt erst mal der Profitanteil – allerdings nicht stark genug, um den tendenziellen Fall der Profitrate aufzuhalten.
Diese Erhöhung der Ausbeutung führt ihrerseits natürlich zu weiteren Widersprüchen: Bei dem gerade beendeten Treffen der Reichen und Mächtigen in Davos wiesen die Chefökonomen darauf hin, dass durch Blockbildung im Westen zunehmend die lokale Wertschöpfung an Bedeutung gewinnt. Das heißt aber auch, dass der Rückgriff auf die Kaufkraft der eigenen Bevölkerung stärker sein müsste – die diese aber nicht hat. Die hier aufbrechenden Widersprüche, gerade im sozialen Bereich, sind in unserer Politik zu beachten!
Jetzt kennen wir also die Hauptmethode des Kapitals, um dem Fall der Profitrate entgegenzusteuern: die Erhöhung der Ausbeutung der Arbeiterklasse. Doch es gibt weitere Möglichkeiten, die dem Kapitalismus insbesondere seit seinem Eintritt in das monopolistische Stadium (Imperialismus) zur Verfügung stehen:
Ganz grundsätzlich: die Monopolstellung. Sie ermöglicht es den wenigen Großen einer Branche, Extraprofite zu schaffen. Niederringung der Konkurrenz; Preisabsprachen; Lieferanten erpressen.
Dann die koloniale und neokoloniale Beherrschung der restlichen Welt, dass heißt Aneignung eines erheblichen Teils des dort geschaffenen Reichtums durch ungleichen Handel (terms of trade) oder manipulierte Wechselkursverhältnisse, durch Zinszahlungen für Kredite (Rolle Internationaler Währungsfonds). Und im Zweifelsfall hilft die CIA, die Fremdenlegion oder die NATO schon nach. Hier dürfen wir derzeit erfreut beobachten, wie sich Völker zur Wehr setzen: BRICS-Staaten, die Völker des globalen Südens, Frankreich verliert zunehmend den politischen und finanziellen Zugriff auf „seine“ afrikanischen Kolonien.
Eine weitere Standardmöglichkeit, dem Fall der Profitrate zu entgehen, ist es, durch Spitzentechnologie oder neue Produkte Extramehrwert zu machen. Da verliert der kollektive Westen gerade an Boden; darauf spezialisieren sich zur Zeit asiatische Länder. Was uns das giftige Agieren des „Wertewestens“ gegen die VR China verstehen lässt. Und Deutschlands Exportweltmeisterschaft gerät außer Tritt.
Ein weiterer Bereich, um sich Mehrwert anzueignen beziehungsweise abzuschöpfen, ist der Finanzsektor: Hier geht es im Wesentlichen um die Umverteilung des Mehrwerts in die Taschen der Finanzoligarchie. Hier ist zu beobachten, dass etliche der Möglichkeiten, die in der Vergangenheit eine große Rolle spielten, für den kollektiven Westen nicht mehr so gut funktionieren: Großbritannien verliert seine Rolle als Finanz- und Versicherungszentrum, der Dollar als Weltwährung schwächelt.
Zusammenfassend kann man also sagen: Die Handlungen des Kapitals, die zu Verelendung, Umweltzerstörung und Kriegen führen, ergeben sich letztendlich durch den Zwang des Kapitals, seine Profitrate zu stabilisieren.
Quelle: Unsere Zeit