Eingeleitete Kurskorrektur konsolidieren
Übernommen von Kommunistische Plattform der Partei Die Linke:
Erste Überlegungen nach dem Halleschen Parteitag
Die junge Welt titelte am 18. Oktober 2024: »Modifiziertes ›Weiter so‹«. Es folgt, eine strategische Kurskorrektur stünde beim Linke-Bundesparteitag in Halle trotz zugespitzter Existenzkrise nicht auf der Tagesordnung. Es grenze, so Nico Popp, an Gesundbeterei, von diesem Parteitag einen Kurswechsel zu erwarten. Zudem könnte im Kontext mit vorliegenden Anträgen zum Krieg in Gaza »ein ostentativer Delegiertenausmarsch mit anschließenden Austritten bevorstehen«. Austritte gibt es wirklich. Die uns bekannten Ausgetretenen kommen aus dem die NATO verharmlosenden Teil unserer Partei.
Aber der Reihe nach. Wir benutzen nicht gerne Begriffe, die jeder nach Belieben interpretieren kann. Was ist ein strategischer Kurswechsel? Wir machen es eine Nummer kleiner und sprechen von einem eingeleiteten Kurswechsel. Die bestimmenden Themen auf diesem Parteitag waren der Kampf um den Frieden, die soziale Frage und der Antifaschismus in ihrem untrennbaren Zusammenhang.
Die Delegierten erzwangen kurz vor dem Ende des Parteitages die Behandlung eines Dringlichkeitsantrages, den Berliner Appell vom 3. Oktober 2024 zu unterstützen, der eine deutliche Mehrheit fand.
Die KPF hatte den Antrag G04 »Schluss mit der Kanonen-statt-Butter-Politik!« initiiert, der von der Kommunistischen Plattform, der BAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik, Cuba Sí, zwei Berliner Bezirksorganisationen, fünf regionalen Strukturen sowie 202 Genossinnen und Genossen, darunter zum Zeitpunkt der Antragstellung 24 Delegierte, eingereicht worden war. Der Kern dieses Antrages richtet sich gegen das gefährliche Wiedererstarken des deutschen Militarismus. Der alte Parteivorstand reichte daraufhin einen Ersetzungsantrag ein, der primär von zwei Absichten getragen wurde. Zum einen war er darauf gerichtet, Aussagen zur Vorgeschichte des Ukrainekrieges und zum Schüren des Russenhasses zu eliminieren. Zum anderen waren in diesem Ersetzungsantrag die nachfolgenden Formulierungen zur historischen Rolle des deutschen Militarismus gestrichen:
»Der deutsche Militarismus hat im vergangenen Jahrhundert maßgeblich nicht nur unseren Kontinent zweimal ins Verderben gestürzt. Sowohl im Zusammenhang mit dem Ersten als auch dem Zweiten Weltkrieg sahen die hierzulande Herrschenden in der militärischen Gewalt das wichtigste Mittel zur Lösung außenpolitischer Fragen. Das kostete im Ersten Weltkrieg mehr als 15 Millionen Menschen das Leben. Der deutsche Faschismus machte den deutschen Militarismus zu einer unfassbar grausamen, chauvinistischen Ausgeburt des Völkerhasses und des Völkermords. Sechs Millionen europäische Jüdinnen und Juden wurden industriell ermordet. Eine halbe Million Sinti und Roma fielen dem Völkermord zum Opfer und 27 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Sowjetunion überlebten den Vernichtungskrieg Hitlerdeutschlands nicht. Insgesamt kamen im Zweiten Weltkrieg mehr als 65 Millionen Menschen um.«
Die Kommunistische Plattform wird eine Einschätzung erarbeiten, warum diese unstrittigen Aussagen zu deutscher Verantwortung in den zwei Weltkriegen offenkundig nicht gewollt waren und auf dieser Grundlage die Auseinandersetzung führen. Wir halten vor allem diese Streichung für strategisch inakzeptabel. Nach einer etwa einstündigen Auseinandersetzung über Fragen der Abstimmungsprozedur wurde erzwungen, dass die Einreicher des ursprünglichen Antimilitarismusantrages Chancengleichheit in der Antragseinbringung erhalten. Dann erfolgte, satzungsgemäß, die Abstimmung über den Ersetzungsantrag des alten Parteivorstands, der 41 Prozent der Delegiertenstimmen erhielt, während er von 44 Prozent abgelehnt wurde. Die verbliebenen Stimmen waren Enthaltungen. Danach erfolgte die Abstimmung über unseren ursprünglichen Antrag, der auch keine Mehrheit fand. 51 Prozent lehnten ihn ab. 40 Prozent stimmten für den von uns eingereichten Antrag und acht Prozent enthielten sich der Stimme. Dieses Abstimmungsergebnis ist für uns formal eine Niederlage. Aber die Tatsache, dass nur die Hälfte des Parteitages dem alten Parteivorstand folgte, ist ein politischer Erfolg. Für all diejenigen, die die programmatischen friedenspolitischen Grundsätze der Linken entsorgen wollen, ist deutlich geworden, dass sie das derzeit nicht können. Wir wiederum müssen dieses besser gewordene Kräfteverhältnis nutzen, wenn nunmehr das Bundestagswahlprogramm erarbeitet wird.
Viele den Leitantrag betreffende Änderungsanträge befassten sich ebenfalls mit friedenspolitischen Aspekten und wurden vielfach auch angenommen. Der Leitantrag wurde somit in seinen friedenspolitischen Aussagen verstärkt. Die KPF hatte vier Änderungsanträge gestellt, von denen zwei übernommen, einer sinnwahrend teilübernommen und einer abgelehnt wurde. Ein zum Antrag G12 »Deeskalation und Abrüstung für Frieden in Nahost – Für eine friedenspolitische Wende im Krieg« der BAG Frieden und Internationale Politik eingereichter Ersetzungsantrag der »Progressiven Linken«, der sich für die Möglichkeit von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete aussprach, wurde mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Überhaupt gab es nur relativ wenige Anträge aus dem Lager der »Progressiven Linken«, und sie traten auf dem Parteitag wesentlich weniger in Aktion als auf vergangenen Parteitagen.
Hier sei eingefügt, dass in der Generaldebatte ca. 50 Genossinnen und Genossen zu Wort kamen. 30 weitere hatten sich noch gemeldet. Es ist auf dem Halleschen Parteitag ernsthaft berücksichtigt worden, dass es nicht geht, thematischen Plenen einen größeren Raum zu geben als dem kollektiven Parteitag. Es war eine gute Lösung, das Flinta-Plenum bereits am 16. Oktober 2024 als Zoom-Konferenz durchzuführen.
Die ersten Überlegungen zum Verlauf des jüngsten Parteitages müssen auf einige Schwerpunkte reduziert bleiben. Auf der KPF-Bundeskonferenz am 30. November 2024 werden wir die wichtigsten Fragen ausführlicher behandeln. Zwei Punkte sollen noch genannt werden.
Es fand eine Abstimmung darüber statt, ob sich Die Linke zukünftig als Partei für das Bedingungslose Grundeinkommen einsetzen wird und damit die gültige Programmlage in dieser Frage für obsolet erklärt. Eine Mehrheit entschied sich für den Status quo.
Die größte Sorge vor dem Parteitag bestand wohl darin, dass sich im Kontext mit den Nahost-Anträgen eine Situation wiederholen würde wie auf dem Berliner Landesparteitag am 11. Oktober 2024, den die der »Progressiven Linken« nahestehenden Pankower Delegierten – gemeinsam mit wenigen aus anderen Bezirksverbänden – mehrheitlich verließen. Sie konnten ihren der Staatsräson angepassten Antrag, den – auch unserer Überzeugung nach – notwendigen Kampf gegen Antisemitismus betreffend, nicht unverändert durchbringen. Dieser Eklat verdeutlichte zweierlei: Die Zeiten scheinen vorbei zu sein, in denen sich die Regierungssozialisten – bei nur geringem Widerstand – immer wieder durchsetzen konnten. Der Eklat verdeutlichte zugleich, dass auf dem Bundesparteitag, ähnlich wie seinerzeit in Augsburg, ein für alle letztlich akzeptabler Kompromiss gefunden werden musste, wenn eine politisch katastrophale Situation verhindert werden soll. Daran, dass dieser Kompromiss zustande kam, hatte auch die KPF einen Anteil.
Auf dem Parteitag haben nicht wenige Genossinnen und Genossen, die sich dem linken Flügel der Partei zugehörig fühlen, konstruktiv und sehr solidarisch zusammengearbeitet. An dieser Zusammenarbeit wird die KPF auch weiterhin teilnehmen.
Fazit: Die Orientierung des Parteitages auf unsere Verantwortung in den Klassen- und Antikriegskämpfen ist ein eingeleiteter Kurswechsel. Ob dieser Kurs gehalten wird, ist nicht entschieden, aber die Partei hat wieder eine Chance und wir sagen in aller Offenheit: Austreten ist nicht nur keine Option; es gibt nach diesem Parteitag auch keinen Grund dafür. Wir danken allen Genossinnen und Genossen der KPF, die in Vorbereitung des Parteitages und in Halle selbst praktisch agierten, besonders jenen, die für den Parteivorstand kandidierten, in Kommissionen mitwirkten, zur Diskussion sprachen und Anträge vertraten. Unser besonderer Glückwunsch gilt unserer wieder in den Parteivorstand gewählten Genossin Margit Glasow. Wir danken den Genossinnen und Genossen aus anderen Zusammenhängen für die solidarische Zusammenarbeit, stellvertretend für alle der Genossin Özlem Demirel. Wir gratulieren dem neugewählten Parteivorstand. Wir werden uns aktiv am Vorwahlkampf und an der weiteren Konsolidierung unserer Partei beteiligen.
Berlin, den 21. Oktober 2024