Kontrolldruck und Vertreibung
Übernommen von Unsere Zeit:
Der reaktionär-militaristische Staatsumbau schreitet voran und die Kommunalpolitik baut fleißig mit. Die Grundlagen wurden in den letzten Jahren durch die verschärften Polizeigesetze der Länder geschaffen. Spätestens seit dem Messeranschlag von Solingen überschlagen sich auch Oberbürgermeister und Ordnungsdezernenten mit Maßnahmen, um den öffentlichen Raum zunehmend engermaschig zu überwachen. Besonders deutlich wird dies an den vielerorts neu entbrannten Debatten über die Einführung von Waffenverbotszonen.
Doch was sollen solche Verbote bringen? Erste Auswertungen verschiedener Städte zeigen, dass die Zahl der Gewaltdelikte nach der Einführung von Waffenverbotszonen durch den erhöhten Kontrolldruck kurzfristig zurückging. Mittelfristig sind aber „kaum positive Auswirkungen auf das übrige Kriminalitätsgeschehen“ festzustellen, wie es in einer Studie des Freistaats Sachsen zur Eisenbahnstraße in Leipzig heißt. Ähnliche Evaluationen aus Hamburg und Wiesbaden zeigen, dass die Zahl der bewaffneten Gewalttaten über die Jahre trotz Verbotszonen nicht zurückging. Wenn jemand eine Straftat plant, wird er sich durch ein Waffenverbot nicht davon abhalten lassen. Und die sozialen Ursachen für die meisten Gewalttaten werden damit erst recht nicht beseitigt: Armut und soziale Ausgrenzung, eine verfehlte und sozial ungerechte Stadtentwicklung sowie deprimierend perspektivlose Lebensverhältnisse für einen steigenden Anteil der Bevölkerung.
Die spürbare Auswirkung aber besteht darin, dass mit der Schaffung von Waffenverbotszonen eine rechtliche Grundlage für massenhafte anlasslose Personenkontrollen geschaffen wird. Dabei geht es letztlich nicht darum, irgendwelche Messer zu beschlagnahmen. Vielmehr dienen die Kontrollen dazu, unerwünschte Personenkreise von den Einkaufsstraßen und Shopping Malls fernzuhalten. Polizei und Ordnungsamt kontrollieren in erster Linie jene, die den Uniformträgern verdächtig erscheinen, also etwa Menschen, die vom Aussehen her nicht zu den erwünschten konsumstarken Zielgruppen gehören, migrantische Jugendliche, Obdachlose und sozial Marginalisierte. Das ist auch im Sinne der Politik.
Wie die dahintersteckenden Debatten über öffentliche Sicherheit oft ablaufen, konnte vor Kurzem in Kassel beobachtet werden. Die Forderung nach einer Waffenverbotszone in der Innenstadt war dort bisher eher ein Markenzeichen der CDU gewesen. Nun preschte jedoch die SPD vor und beantragte die Einrichtung einer Waffenverbotszone für die Partymeile rund um die Friedrich-Ebert-Straße. Im Ausschuss für Recht und Sicherheit wollten die Sozialdemokraten den Geltungsbereich dann auch noch um den von Armut und Drogenkriminalität geprägten Bereich rund um den Stern, eine proletarische und migrantische Gegend, erweitern. In der Stadtverordnetenversammlung unterstützten alle Parteien bis auf die Linksfraktion dieses Ansinnen. Der grüne Oberbürgermeister und der CDU-Ordnungsdezernent teilten zudem mit, dass die Umsetzung verwaltungsintern schon längst geplant werde.
In einem weiteren Antrag forderte die SPD, die sich offenkundig als Law-and-Order-Partei profilieren wollte, die personelle Aufstockung der Stadtpolizei, einer vom früheren Oberbürgermeister Christian Geselle (früher SPD) eingeführten Hilfspolizeitruppe des Ordnungsamtes. Nach einem nur zweimonatigen Lehrgang werden die Stadtpolizisten befristet eingestellt und mit der Ausübung hoheitlicher Aufgaben betraut. Um in komplexen Situationen angemessen mit Konflikten umzugehen, fehlt ihnen die Qualifikation. Doch Kritik daran wollte Oberbürgermeister Sven Schoeller (Grüne) nicht gelten lassen. Dem Stadtverordneten der Linksfraktion, der diese vorbrachte, warf er vor, die Stadtpolizei zu „diffamieren“. Der SPD-Antrag wurde bis zur Haushaltsdebatte im Winter zurückgestellt.
Keine nennenswerte Rolle spielte in der Kasseler Sicherheitsdebatte übrigens die AfD, deren Stadtverordnete sich zurücklehnen und den anderen Fraktionen bei deren Treiben zusehen konnten. Für die Rechtsverschiebung durch Angstdiskurse und die innere Aufrüstung wird sie schlicht nicht benötigt, denn das können SPD, CDU, FDP und Grüne auch ganz gut alleine.
Quelle: Unsere Zeit