Operation Sozialkahlschlag
Übernommen von Unsere Zeit:
Liebe Genossinnen und Genossen, mit euch und hochgekrempelten Ärmeln sind wir ins Regieren gestartet. Dabei hat sich schnell gezeigt: Die Kasse ist leer.“ So beginnt eine vom SPD-Landesvorsitzenden Sören Bartol und der Generalsekretärin Josefine Koebe unterschriebene Mail, die kürzlich an hessische Parteimitglieder verschickt wurde. Von einem Defizit von 1,75 Milliarden Euro ist dort die Rede. Die Antwort auf die finanzpolitische Misere wird von dem sozialdemokratischen Führungsduo gleich nachgeliefert: „Die Frage ist in dieser Lage nicht, wo wir sparen, sondern wo nicht.“
Hintergrund des Schreibens ist der zwischen CDU und SPD in Abstimmung befindliche Landeshaushalt für das kommende Jahr. Schon vor der Sommerpause hatte die schwarz-„rote“-Koalition ihren Nachtragshaushalt für 2024, der bereits einige Kürzungen vorsieht, durch den Landtag gebracht. Und von Finanzminister Alexander Lorz (CDU) hört man ebenfalls seit Jahresbeginn, dass die finanzielle Lage des Landes schwierig sei und man 2025 um Einsparungen nicht herumkommen werde.
In der vergangenen Woche – nur wenige Tage nach dem Erklärungsversuch gegenüber der Parteibasis – teilte Koebe bei einer Pressekonferenz in Wiesbaden mit, dass die Eckpunkte für die Kürzungen in der Koalition vereinbart seien und die einzelnen Ministerien bereits wüssten, wie viel sie einsparen müssten. Dabei seien die von der SPD geführten Ressorts Wirtschaft, Wissenschaft und Soziales besonders stark betroffen, da ihre Mittel nicht so sehr durch feste Personalkosten gebunden seien wie etwa im Innenministerium, so die Generalsekretärin.
Die in der Pressekonferenz ebenfalls genannte Summe von 1,75 Milliarden Euro machen in Bezug auf den geltenden Haushalt für das laufende Jahr rund 4,5 Prozent aus. Die zu erwartenden Kürzungen dürften daher noch massiver ausfallen als bei der berüchtigten „Operation sichere Zukunft“. Bei dem bis dahin größten Sparpaket in der Geschichte Hessens durch die damalige CDU-Regierung unter Roland Koch wurden 2003 Kürzungen in Höhe von rund einer Milliarde Euro vorgenommen und so die soziale Infrastruktur des Landes schwer beschädigt. Die Folgen für Erziehungsberatungen, Frauenhäuser, Schuldnerberatungen und viele weitere soziale Einrichtungen sind heute deutlich spürbar.
Durch die damals beschlossene Zusammenlegung von Behörden und die Arbeitszeitverlängerung auf 42 Stunden wurde allein im unmittelbaren Landesdienst Beschäftigung in einer Größenordnung von rund 4.000 Vollzeitstellen abgebaut. Zudem mussten die Landesbediensteten Kürzungen beziehungsweise Streichungen beim Weihnachts- und beim Urlaubsgeld hinnehmen, bilanzierte der DGB die unmittelbaren Folgen für die Beschäftigten. Darüber hinaus wurden Studiengebühren eingeführt und das Land Hessen beging Tarifflucht und trat aus der Tarifgemeinschaft der Länder aus.
Im Vorfeld der Landtagswahlen 2013 kommentierten die damals in der Opposition befindlichen Sozialdemokraten in Übereinstimmung mit den Gewerkschaften den zehn Jahre zuvor stattgefundenen sozialen Kahlschlag wie folgt: „In Wahrheit war es eine ‚Operation Düstere Zukunft‘. Manche Einrichtung wurde geschlossen, andere konnten nur durch den Einsatz von kommunalen Mitteln überleben. Wartezeiten wurden länger, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz. Das soziale Hilfsnetz in Hessen wurde nachhaltig beschädigt.“
Heute heißt es von der Parteispitze, man werde „an allen Ecken und Enden“ sparen müssen. Für die Sozialdemokratie sei es wichtig, dass Steuergeld effektiv eingesetzt werde und die Priorität dabei auf dem Ankurbeln der Wirtschaft etwa über den geplanten „Hessenfonds“, die Gewinnung von Fachkräften, den Ausbau von Kitas und die Stärkung der Kommunen liege. Wenig genutzte Förderprogramme müssten auf den Prüfstand. Wenn man klug priorisiere, könne das Leben der Hessinnen und Hessen trotz der Einsparungen verbessert werden. Wie dies angesichts von geplanten Kürzungen in fast doppelter Höhe des Sozialkahlschlags von 2003 konkret geschehen soll, bleibt das Geheimnis der SPD-Führung.
Quelle: Unsere Zeit