16. Oktober 2024

Straßentransportgewerkschaften treiben die Verlagerung der Macht vom Kapital auf die Beschäftigten voran

Übernommen von der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF):

Der Straßentransportsektor befindet sich in einer Krise, die dringende Maßnahmen erfordert, um die Beschäftigten zu schützen und extreme Ausbeutung, Sicherheitsrisiken und die anhaltenden Probleme durch den Arbeitskräftemangel, der auf unzureichende Löhne und Arbeitsbedingungen in der Branche zurückzuführen ist, zu bekämpfen.

Heute verabschiedeten Gewerkschafter*innen einen mutigen Fünfjahresplan, um diese Herausforderungen auf der ITF-Sektionskonferenz Straßentransport in Marrakesch (Marokko) direkt anzugehen.

Im Rahmen ihres Leitkonzepts für die Umsetzung der sechs globalen Forderungen der ITF nahmen sich die Delegierten vor, sich in den nächsten fünf Jahren international zu koordinieren, um neue Mitglieder zu gewinnen, Einfluss auszuüben und ihre Branche zu transformieren.

“Im Mittelpunkt dieses Plans steht der Kampf gegen den gefährlichen und unhaltbaren Druck, dem die Beschäftigten im Straßentransport tagtäglich ausgesetzt sind,” erklärte der Vorsitzende der ITF-Sektion Straßentransport Flemming Overgaard von der dänischen Gewerkschaft 3F. “Von Erschöpfung durch übermäßig lange Arbeitszeiten bis zu Toten auf den Straßen durch unrealistischen Zeitdruck – die Folgen sind lebensbedrohlich.”

Die Gewerkschaften identifizierten nicht nur die Probleme, sondern machten es sich auch zur Aufgabe, entschlossene Maßnahmen zu ergreifen, um die Macht auf die Beschäftigten zu verlagern und Schutzregelungen für die globalen Lieferketten durchzusetzen.

Die Branchenstrategie konzentriert sich darauf, über einen umfassenden Ansatz Hebelwirkung zu erzeugen, z. B. datengestützte Kartierung und Organisierung, Sensibilisierung der Öffentlichkeit, Druck auf Zielunternehmen und die Forderung nach neuen Regulierungsvorschriften, die sicherere Arbeitsbedingungen gewährleisten.

Unser Hauptschwerpunkt liegt auf der Ausweitung der von Lkw-Fahrer*innen angestoßenen globalen “Safe Rates”-Kampagne, um für gerechte Bezahlung und menschenwürdige Bedingungen zu sorgen.

Das “Safe Rates”-System ist ein Modell für die Festlegung angemessener Normen für Vergütungs- und Arbeitsbedingungen und die Verpflichtung der Unternehmen am oberen Ende der Lieferketten, den Druck zu verringern, der Übermüdung und unsichere Fahrpraktiken zur Folge hat. 

“Wir werden unsere in Australien, Südkorea, Brasilien, Paraguay, den Vereinigten Staaten, Kanada und Japan erzielten Erfolge ausweiten, indem wir weltweit ‘Safe Rates’-Systeme auf den Plan bringen und zu einer wirklich globalen Norm erheben,” so Overgaard.

Die Kampagne wird sich nun gegen Ausbeutung in allen Bereichen des Straßentransports richten, einschließlich der Zustellung auf der letzten Meile, globaler Logistikunternehmen und der Geschäftsbereiche von Unternehmen, in denen atypische Beschäftigungsverhältnisse zum Einsatz kommen.

Die angeschlossenen Gewerkschaften werden dabei unterstützt, Beschäftigte zu organisieren, zu verhandeln und Hebelwirkung bei globalen Logistikunternehmen aufzubauen, um Arbeits-, Menschenrechts- und Sicherheitsnormen im gesamten Sektor anzuheben, auch für Leiharbeitskräfte sowie prekär und informell Beschäftigte. 

Unternehmensspezifische globale und regionale Netzwerke werden dazu beitragen, die Solidarität zwischen Gewerkschaften zu fördern, die Beschäftigte bei denselben Arbeitgebern organisieren. 

Als neuen Schwerpunktbereich definiert die Strategie der Sektion Straßentransport die Verbesserung der Rechte, Bedingungen und Sicherheit im Personenfernverkehr. Unternehmensmodelle, die auf Vertragsvergaben und Outsourcing basieren – z. B. das von multinationalen Unternehmen wie Flixbus – erfordern eine koordinierte gewerkschaftliche Antwort, um gegen lange Arbeitszeiten, unregelmäßige Diensteinsätze, kurze Ruhepausen, Übermüdung, mangelnden Zugang zu sanitären Einrichtungen und den Druck, unsichere Fahrpraktiken anzuwenden, vorzugehen.

Die Delegierten der Konferenz verabschiedeten einen Entschließungsantrag zur Verstärkung der Organisierung von grenzüberschreitend tätigen und informell Beschäftigten im Straßentransport, die oft am stärksten von Ausbeutung bedroht sind. 

Durch die Ausweitung regionaler Schulungsprogramme, die Zusammenstellung bewährter Praktiken und die Durchführung strategischer Kampagnen werden die ITF und die ihr angeschlossenen Gewerkschaften dafür sorgen, dass sich Beschäftigte über die Grenzen hinweg wirksam organisieren können, um Bedingungen vor Ort zu verbessern.

Die nepalesische Gewerkschaft NETWON und die indische Transport Employees Union Bihar brachten den Entschließungsantrag gemeinsam ein, mit dem Ziel, gerechte Normen und den Schutz von grenzüberschreitend tätigen Fahrer*innen zu erreichen. 

Ein weiteres wichtiges Element des Plans besteht in der Förderung der Inklusion von Frauen im Straßentransport. Weibliche Beschäftigte sind im Sektor häufig unterrepräsentiert und mit Hürden konfrontiert, die von fehlender Infrastruktur und einer schlechten Work-Life-Balance bis zu offener Gewalt, Belästigung und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts reichen. 

Die Delegierten nahmen sich vor, diese Barrieren zu beseitigen und sicherzustellen, dass Frauen bei Kampagnen und Verhandlungen, die die Zukunft der Branche bestimmen, eine aktive Rolle spielen. 

Dazu die neu gewählte globale Frauenvertreterin Karina Moyano von der Federación Nacional de Camioneros: “Ich werde mich weltweit für die Sache der Frauen einsetzen. In Argentinien leisten wir Widerstand gegen den politischen Druck, dem alle Gewerkschaften durch die rechte Regierung ausgesetzt sind, und Frauen sind an diesem Widerstand stark beteiligt, Am 30. Oktober werden alle Bereiche des Verkehrssektors im Land in Streik treten, und wir werden die Unterstützung der ITF brauchen, um unsere Regierung dazu bringen, den Forderungen der Gewerkschaften Gehör zu schenken.”

Die Delegierten wählten Julian Ehret (ver.di, Deutschland) zum stellvertretenden Vorsitzenden für öffentlichen Personennahverkehr und starteten eine digitale Kampagne gegen das indische Gesetz über Fahrerflucht (“Hit and Run Law”).

“Dass diese globale Strategie notwendig ist, zeigt sich am ‘Amazon-Effekt’, wo ein Wettlauf nach unten ausgelöst wurde, bei dem Verkehrsunternehmen sich gezwungen sehen, bei Löhnen und Sicherheit zu sparen, um unmöglichen Zustellungsanforderungen nachzukommen,” so der Sekretär der ITF-Binnenverkehrssektionen Noel Coard. 

“Dieser Wettlauf hat katastrophale Folgen für Straßentransportbeschäftigte in der ganzen Welt, und die Gewerkschaften setzen sich dagegen zur Wehr.”

Quelle: Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF)

ITF