22. November 2024

So sehr Gegenwart!

Übernommen von Unsere Zeit:

Vor 75 Jahren, am 7. Oktober 1949, wurde die Deutsche Demokratische Republik gegründet. Heute sehnen wir uns nach diesem Friedensstaat, der dem deutschen Imperialismus Fesseln angelegt hat. Wir sehnen uns aber auch nach einem Staat, der sich um die Menschen im Land gesorgt hat. Sie und ihre Bedürfnisse standen an erster Stelle. Im Blog der UZ ehren wir die DDR mit Texten von Hans Bauer, Stellvertretender Vorsitzender des Ostdeutschen Kuratoriums (OKV) und dem Historiker Anton Latzo, DKP Brandenburg. Der Text von Hans Bauer, der folgt, ist eine leicht bearbeitete Rede, die er am 7. September beim 38. Grenzertreffen der GRH in Bestensee hielt. Die Gedanken von Anton Latzo zum 75. Geburtstag „DDR – Synonym für Demokratie, Antifaschismus und Frieden“ folgen am 8. Oktober.

So oft ich die Nationalhymne der DDR höre, ergreifen mich ihre Melodie, ihr Text. Heute noch mehr, als die DDR existierte. Damals war sie selbstverständlich. Unser Lied, das Lied unseres Landes DDR. Das wir verloren haben. Nicht nur, aber auch aus eigenem Verschulden. 41 Jahre existierte die DDR. Seit 34 Jahren ist sie Vergangenheit. Und doch ist sie so sehr Gegenwart.

Lebendig. Im persönlichen Alltag, in allen Bereichen des täglichen Lebens – von der Wirtschaft bis zum Sport. In der Politik sowieso, wie wir gerade mit den jüngsten Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg erfahren haben. Heute ist uns mehr denn je bewusst, wie wertvoll die DDR uns war – für den Menschen.

Ich erinnere an die Worte von Peter Hacks „Wessen sollten wir uns rühmen, wenn nicht der DDR?“ An ein paar besonders wichtige Erfahrungen, deren wir uns rühmen, historisch bedeutsame, möchte ich erinnern. Gerade weil unsere Geschichte in der heutigen Gesellschaft verfälscht, vergessen, diffamiert wird.

Auferstanden aus Ruinen …

Schon die ersten Zeilen der Nationalhymne markierten unseren Weg, den wir gegangen und über Jahrzehnte auch erfolgreich gegangen sind: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt“.

Ja, Ruinen des Faschismus, der faschistischen Herrschaft, waren überall, auch in den Köpfen war der Faschismus. Da war aufzuräumen. Nicht nur mit Überzeugung, auch mit Geboten, Verboten, auch mit Zwang. Die schlimmsten Faschisten wurden mit aller Konsequenz verfolgt und verurteilt – bis in die 1980er Jahre, insgesamt über 12.000. In der wesentlich größeren BRD waren es etwa 6.000, wohin die meisten sogar geflüchtet waren. Ein Großteil der Lehrer musste durch Neulehrer ersetzt werden. 90 Prozent der Richter und Staatsanwälte waren nicht mehr für eine demokratische Justiz geeignet. Über die BRD brauchen wir gar nicht zu sprechen, dort war es umgekehrt, ich erinnere an Globke, Filbinger und Co.

Zugleich setzte eine umfassende Aufklärung, Bildung und Erziehung ein. Das neue Deutschland musste der Zukunft wegen vom faschistischen Denken bereinigt, befreit werden. Ja, Antifaschismus war in der DDR Staatsräson, von den heutigen Machthabern als „verordnet“ diffamiert.

Dazu im Jahre 2000 Kurt Goldstein, ehemaliger Häftling in Konzentrationslagern: „Es ist medien- und Politik üblich, den Antifaschismus in der DDR herabsetzend als „verordnet“ zu bezeichnen. Natürlich war er verordnet. Wie sollte es auch anders sein in einem Land, dessen Menschen zu 90,95 Prozent (…) Hitler die Treue gehalten hatten. Ich bin mir auch der Defizite dieses Antifaschismus bewusst (…). Wahr ist aber auch, dass es diese Erziehung zum Antifaschismus, die Vermittlung seiner Werte zur Menschlichkeit, Toleranz, Völkerfreundschaft gab und diese Werte bei vielen sich bis heute erhalten haben. In der BRD Adenauers dagegen waren die Beamten Hitlers (…) nach kurzer Schampause staatstragende Elemente. Das soll sich nicht auf das geistige Klima in der Gesellschaft ausgewirkt haben und nicht bis heute nachwirken?“

Wir erleben es heute. In der Ukraine. Wie Faschismus und Krieg miteinander verbunden sind. Das Perfide: Die Regierung und Opposition schmücken sich selbst – unglaublich! – als Antifaschisten. Verkünden kraft ihrer Macht und Möglichkeiten Demonstrationen gegen Rechts. Dabei sind sie mit ihrer Politik selbst rechts außen. Und verführen einen großen Teil der Menschen. Das sind die wahren Volksverhetzer.

Reicht den Völkern eure Hand …

Die Nationalhymne der DDR ist durchdrungen von Frieden und Völkerfreundschaft, für mich eine zweite bleibende Erfahrung.

Denke ich nur an die dritte Strophe:

Glück und Friede sei beschieden
Deutschland, unserm Vaterland
Alle Welt sehnt sich nach Frieden
Reicht den Völkern eure Hand

Und das war nicht nur ein unerfüllter Anspruch. Wer sich mit Geschichte befasst, weiß, wie ehrlich und ernsthaft die DDR von Beginn an bis zum Untergang für Frieden gewirkt hat. Im Lande, aber auch international Und das geachtet und geschätzt.

Erst als die BRD aufrüstete, die Bundeswehr aufbaute, Wehrpflicht einführte, der NATO beitrat, ergriff die DDR jeweils adäquate Gegenmaßnahmen. Nicht zuletzt der 13. August diente dem Frieden. Denn ohne ihn, so Heinz Kessler und Fritz Streletz „… hätte es Krieg gegeben“.

Die NVA war die einzige deutsche Armee, die keinen Krieg geführt hat. Keine Auslandseinsätze, wie sie heute zur Kriegsführung Deutschlands selbstverständlich sind. Und das Kriegsparlament, der Bundestag, stimmt ergeben zu – bis hin zu sogenannten Linken. Bewilligt Kriegskredite, 100 Milliarden Euro, verschleiernd Sondervermögen genannt.

Aber es wäre viel zu eng Friedenspolitik nur mit militärischen Argumenten zu belegen. Eigene Vorschläge, Abrüstungsmaßnahmen, Internationale Aktivitäten zur Friedenserhaltung – von Wien bis Helsinki – sahen die DDR immer auf der Seite der Friedenskräfte. Dank des Kräfteverhältnisses zugunsten des Sozialismus setzte sich auch im Völkerrecht der Frieden als universelle Wertvorstellung durch. Schutz und Sicherung des Privateigentums (des Profits), imperialistische Wertvorstellungen, wurden zunehmend durch das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das heißt auch Souveränität über Naturreichtümer und Ressourcen, ersetzt.

Und heute? Deutschland hat sich im 2+4 Vertrag zwar auch zum Frieden verpflichtet. Die reale Politik ist das Gegenteil. Friedliche Streitbeilegung, Gewaltverbot, Vertragstreue sind ersetzt durch regelbasierte Ordnung, humanitäre Intervention, Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten – um nur einiges zu nennen.

Und nun weitreichende Raketen aus den USA, und den Krieg gegen Russland schon im Visier. Verhandlungen mit einer Friedensordnung noch nicht einmal angedacht.

Frieden und Freundschaft mit Russland!

Ein Drittes möchte ich als Bleibendes hier noch nennen. Das ist unser Verhältnis zu Russland – Frieden und Freundschaft mit Russland. Das entspricht historischer Erfahrung und Verantwortung.

Nehmen wir die jüngere Geschichte: Viele hier wissen, die Befreiung vom Faschismus wurde natürlich als solche erst in einem längerem Prozess empfunden. Über den faschistischen Geist sprach ich. Und die verbrannte Erde, von den Faschisten in der Sowjetunion hinterlassen, war auch durch Reparationen nicht gut zu machen. Aber Reparationen waren ein Teil, um Schuld abzutragen. 98 Prozent der Reparationen hat die DDR geleistet. Der Bremer Historiker Peters legte Helmut Kohl in den Wendejahren eine detaillierte Aufstellung vor, wonach die BRD 727 Milliarden DM an die DDR an Ausgleichszahlungen hätte leisten müssen.

Ein schwerer Anfang, besonders wirtschaftliche Belastung. Sowohl die kluge Politik unserer führenden Politiker, Antifaschisten und Demokraten, sowie der sowjetischen Sieger vermochten es, innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums ein völlig neues Verhältnis zur Sowjetunion und deren Völker herzustellen. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Menschen zunehmend Herzenssache.

Wichtige Entscheidungen, zum Beispiel die Gründung der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft trugen dazu bei. Die gegenseitige Hilfe und Unterstützung, ja die Verzahnung beruflicher, militärischer, persönlicher Bereiche und Interessen nahmen solche Formen an, von „den Freunden“ zu sprechen, wenn wir die sowjetischen, die russischen Menschen meinten.

Das ist bei Vielen weithin erhalten geblieben. Wie nicht auch zuletzt die Haltung zum Ukraine-Krieg und die Landtagswahlen beweisen. Russland ist und bleibt unser Freund. Daran lassen wir nicht rütteln. Deshalb sind wir aktiv gegen Russophobie, Sanktionen, Waffen. Gegen den Krieg der NATO, angeführt von den USA.

Weder „einig“ noch „Vaterland“

Vieles, was bleibt, ließe sich noch hinzufügen. Nicht zuletzt die soziale und persönliche Sicherheit. Wenn ich an die Arbeitswelt, Bildung, Gesundheit und Kultur denke. Nun leben wir in einem kapitalistischen System, in einem der Macht gierigsten und Kriegs treibenden. Bis zur Gefahr eines Weltenbrandes.

Ich komme auf die Nationalhymne zurück. Aus heutiger Sicht, mit heutiger Erfahrung, muss man die damalige Sichtweise, den Text der Hymne nicht in allen Strophen zu singen, voll teilen: „Lasst uns Dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland.“

Die Einigkeit in einem friedlichen neutralen Deutschland haben die westdeutschen Politiker hintertrieben. 1949 und 1990. Heute ist Deutschland staatlich geeint. Und doch gespalten. Nicht nur zwischen Ost und West.

Geeint nach einem Vertrag, der weder gleichberechtigt noch ehrlich geschlossen wurde. Er nennt sich nur „Einigungsvertrag“. Ein „einig Vaterland“ ist nie hergestellt worden. Das wissen wir heute nach 34 Jahren deutlicher denn je. Weder „einig“ noch unser „Vaterland“.

Ich erinnere an Hacks und würde in Abwandlung sagen: „Wessen sollten sie sich rühmen, wenn nicht sich selbst?

75 Jahre Bundesrepublik ist kein deutsches Ruhmesblatt. Gegenwärtig schon gar nicht. Auch wenn sie sich selbst feiern. Die jüngsten Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg haben das nachdrücklich bewiesen. Bewiesen haben die Wahlen aber auch, dass in Ostdeutschland Vieles der DDR erhalten blieb, ja sich sogar konsolidiert hat. Auch bei vielen Jungen.

Ohne Illusionen über Klarheit und Einigkeit in vielen Fragen: Es ist ein Aufstand gegen Arroganz und Dummheit, Unfähigkeit, Bösartigkeit und Gefährlichkeit der Herrschenden und ihres Gefolges. Das Grundgesetz, keine Verfassung des deutschen Volkes, wurde den Ostdeutschen zwangsweise über geholfen. Unter Verletzung der eigenen „Verfassung“.

Der Artikel 146 des Grundgesetzes mit der Bestimmung, dass es „seine Gültigkeit (verliert), an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“, wurde von den Politikern bewusst und gewollt missachtet.

Sozialismus und Kapitalismus sind in diesem „einig“ Deutschland nicht zu verbinden. Bewahren wir und nutzen wir Bleibendes der DDR für unseren weiteren Kampf, der gegenwärtig eine Friedensfront statt Heimatfront erfordert. Gegen neue US-amerikanische Raketen. Für Freundschaft mit Russland und China.

Quelle: Unsere Zeit

DDRUZ - Unsere Zeit