29. November 2024

Ein gefährlicher Beschluss: Wie die Antisemitismus-Resolution des Bundestags demokratische Rechte einschränkt

Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:

Dilan Baran

Am 7. November verabschiedete der Bundestag den Antrag „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“. Auf den ersten Blick scheint dies eine klare und notwendige Maßnahme, um jüdisches Leben zu schützen. Doch bei genauerer Betrachtung birgt die sogenannte Antisemitismus-Resolution erhebliche Risiken für demokratische Grundrechte und gesellschaftliche Debattenfreiheit. Kritik an der israelischen Regierung, der Umgang mit Migration sowie linke und antiimperialistische Positionen könnten durch den Beschluss gezielt eingeschränkt werden.

Ein vages Instrument mit weitreichenden Folgen

Im Zentrum der Resolution steht die umstrittene Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Diese Definition, die den Fokus auf „Israel-bezogenen Antisemitismus“ legt, wird von vielen als unscharf und manipulationsanfällig kritisiert. Wissenschaftler*innen, Kulturschaffende und Menschenrechtsorganisationen warnen, dass diese Definition missbraucht werden könnte, um legitime Kritik an der israelischen Politik zu delegitimieren und zu kriminalisieren.

Dr. Wolfgang Kaleck, Leiter des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), verweist auf bereits gemachte Erfahrungen: „Seit der 2019 beschlossenen Bundestags-BDS-Resolution wurden fast 200 Veranstaltungen in Deutschland verhindert oder behindert.“ Oftmals sei dabei auf die ungenaue Definition des Antisemitismus Bezug genommen worden. Der aktuelle Beschluss werde diese Entwicklung verschärfen und eine Zensur kritischer Stimmen fördern.

Repressive Maßnahmen gegen Migranten und Linke

Ein besonders problematischer Aspekt der Resolution ist die Verbindung zwischen Antisemitismus und Migration. In der Begründung wird explizit auf „Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens“ verwiesen. Dieses Narrativ suggeriert, dass antisemitische Einstellungen in erster Linie ein „importiertes Problem“ seien, was rassistische Stereotype befördert und migrantische Communities stigmatisiert. Gleichzeitig sollen, wie bereits 2019 mit der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben (NASAS) der Bundesregierung beschlossen wurde, „repressive Möglichkeiten konsequent ausgeschöpft“ werden, um Antisemitismus zu bekämpfen.

Die Verknüpfung von Antisemitismus mit bestimmten Bevölkerungsgruppen schafft ein Klima der Pauschalisierung und Diskriminierung. Susan Neiman, Direktorin des Einstein Forums, warnt: „Mit solchen Maßnahmen beginnt ein Backlash, den ich als Jüdin täglich merke. Wenn wir weiter auf Maßnahmen dieser Art setzen, wird der Antisemitismus in diesem Land nur steigen.“

Auch linke und antiimperialistische Positionen geraten zunehmend ins Visier. Die Resolution könnte genutzt werden, um kritische Stimmen, die sich etwa für palästinensische Rechte einsetzen oder die israelische Regierungspolitik infrage stellen, zu diffamieren und zu sanktionieren. Dies betrifft auch jüdische Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, die sich kritisch gegenüber der israelischen Regierung äußern.

Ein Angriff auf die Meinungs- und Kunstfreiheit

Der Beschluss hat auch schwerwiegende Konsequenzen für die Kunst- und Kulturszene. Bereits jetzt werden Stimmen laut, die von einer zunehmenden Zensur berichten. Ein Beispiel, das in der Resolution selbst als schwerer Fall von Judenhass erwähnt wird, ist die Berlinale: Dort forderten ein israelischer und ein palästinensischer Filmemacher gemeinsam einen Waffenstillstand in Gaza und sprachen von Apartheid und Genozid. Begriffe, die auch vom Internationalen Gerichtshof verwendet werden. In Deutschland jedoch war eine sachliche Diskussion darüber nicht möglich.

Besonders auffällig ist, dass die Resolution andere Formen von Antisemitismus, wie den Angriff auf die Synagoge in Halle, nicht erwähnt. Stattdessen liegt der Fokus auf Kritik an Israel und auf migrantischen Communities. Dies deutet darauf hin, dass es weniger um den Schutz jüdischen Lebens als vielmehr um die politische Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs geht.

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen bereits, wohin die Reise gehen könnte. Seit dem Gaza-Krieg werden palästinasolidarische Proteste an Universitäten, in der Kulturbranche und auf der Straße zunehmend eingeschränkt, kriminalisiert und verboten. Legitime Kritik wird unter Generalverdacht gestellt, während ein Klima der Einschüchterung entsteht. Mit der aktuellen Resolution droht eine weitere Verschärfung dieser repressiven Politik.

Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben

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