22. Dezember 2024

Richard Sorge: Nicht nur mein Held

Übernommen von Unsere Zeit:

Ich habe in meinem Arbeitszimmer ein Stück Wand, an der zwei Dutzend Miniporträts in kleinen Rahmen hängen. Immer wieder erhebt sich mein Blick zu den Bildern, und sofort fällt mir zu jedem Gesicht eine kleine Geschichte ein. Es ist ein bisschen so etwas wie ein Denkschrein. Da hängen neben unseren bärtigen Freunden aus dem 19. Jahrhundert zum Beispiel auch Juri Gagarin und Walentina Tereschkowa, Ernest Hemingway oder Fidel Castro, aber auch Clara Zetkin oder Tamara Bunke. Direkt unter Tamara Bunke hängt das Bild eines Mannes, dessen Wirken mich bereits als Jugendlicher fasziniert und damit auch ein Stück Motivation für mein eigenes Leben geliefert hat. Wer war dieser Typ, nach dem in der DDR Ferienheime und Sportheime und andere Schulen, Straßen sowie Brigaden benannt wurden, und von dessen Konterfei Medaillen geprägt und Büsten gegossen wurden?

Sein Leben ging am 7. November 1944 abrupt zu Ende, denn er wurde nach Haft und Folter bei der Kempeitai (憲兵隊, japanische Geheimpolizei) und kurzem Prozess als Spion aufgehängt.

Doch fangen wir von vorn an. Richard Sorge wurde am 4. Oktober 1895 in der Nähe von Baku, das damals zu Russland gehörte, als Sohn eines deutschen Erdölingenieurs geboren. Seine Mutter war Russin und stammte aus einer Eisenbahnerfamilie. Er wuchs in behüteten Verhältnissen und frei von Not auf. Als er drei Jahren alt war, zog die Familie nach Deutschland. In Deutschland konnte er sich aber dem nationalen Taumel nach der Reichsgründung von 1871 nicht entziehen. So meldete Sorge sich direkt von der Schule freiwillig zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Doch der Krieg wurde zum Wendepunkt in seinem Leben. Er stürzte sich zwar mit großem Engagement in die Sache und wurde schnell befördert, aber er erlebte auch die schmutzigen Seiten des sich gegenseitig Abschlachtens.

Schließlich wurde Sorge selbst drei Mal verwundet. 1917 konnten die Ärzte mit Mühe und Not sein Bein noch retten, doch es blieb verkürzt, und er musste nicht wieder zurück in den Krieg. Im Lazarett hatte er erstmalig Kontakt zu linken Sozialdemokraten, die ihn mit sozialistischem Gedankengut bekannt machten. Er begann, die Werke von Marx und Engels und andere sozialistische Schriften zu lesen. Gleichzeitig beendete er während eines Genesungsaufenthaltes seinen Schulabschluss und begann in Kiel, Nationalökonomie und Philosophie zu studieren. Später wurde er in Hamburg mit summa cum laude promoviert. Bereits 1917 war er in die linke USPD eingetreten, und wechselte im Oktober 1919 in die KPD, die seiner Meinung nach die Interessen des Volkes besser vertrat. Der Kampf für den Frieden und die Interessen der Armen und Unterdrückten bestimmte von da an wesentlich seinen Lebensweg.

Auf der einen Seite setzte er seine akademische Laufbahn fort und veröffentlichte viele Aufsätze, gleichzeitig arbeitete er für die KPD vor allem als konspirativer Kurier. Innerhalb der Kommunistischen Partei veranstaltete er Schulungsveranstaltungen, auf denen er mit spannenden Leuten in Kontakt kam, etwa Karl Korsch und Georg Lukács. Auf solchen Veranstaltungen traf er auch Vertreter der Komintern aus Moskau. Schließlich ging er Mitte der 1920er Jahre selbst nach Moskau. Hier schrieb er weiter Abhandlungen und Artikel, und nutzte seine Tätigkeit, die mit Reisen verbunden war, auch für Kurierdienste für die Komintern.

Sorge erwies sich als kluger, charmanter, eloquenter und den Genüssen des Lebens zugetaner Mensch. 1929 traf er auf einen ähnlich charismatischen Charakter: Jan Bersins, einen der Verantwortlichen in der sowjetischen Militäraufklärung GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije, Hauptverwaltung Aufklärung). Bersins überzeugte ihn zur Mitarbeit, und führte ihn bis zu seinem Tod 1938. Voller Enthusiasmus machte sich Sorge an die neue Aufgabe. Er wurde nach Ostasien geschickt. Offiziell arbeitete er, der eben auch ein brillanter Schreiber war, für renommierte deutsche Zeitungen. Zuerst koordinierte er die Arbeit in China, wo er auch auf Ruth Werner, die spätere DDR-Schriftstellerin, traf, die ebenfalls für die Sowjetunion arbeitete. Werner, die ich in den 1980er Jahren kennenlernen durfte, sprach in den höchsten Tönen von Richard Sorge – auch, weil er es verstand, seine wahre Gesinnung im Interesse der Friedenserhaltung und des Schutzes der Sowjetunion gut gegenüber Fremden zu verbergen. Er war sogar zum Schein in die NSDAP eingetreten.

Ab 1933 arbeitet Sorge dann von Tokio aus und baute dort ein Netz von Informanten und Funkern direkt unter der Nase des japanischen und deutschen Abwehrdienstes auf. Er galt als Playboy und Leichtfuß, der den Frauen und dem Sake zugetan war. Es dauerte lange, bis man ihm auf die Schliche kam. Seine „Freunde“ von der deutschen Botschaft konnten es kaum glauben. In der Zwischenzeit hatte er viele wichtige Informationen in die Moskauer Hauptverwaltung übermitteln lassen, unter anderem den Zeitbeginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion. Ebenfalls konnte Sorge mitteilen, dass Japan nicht in Asien angreifen werde, was es der Sowjetunion ermöglichte, die Fernöstlichen Truppen zur Abwehr des deutschen Überfalls heranzuziehen.

Die Rache der Japaner an ihm nach der Verhaftung war grausam. Doch Sorge blieb standhaft. Wahrscheinlich sollte das Hinrichtungsdatum, der 7. November, nach gregorianischem Kalender der Tag der Oktoberrevolution, eine besondere Demütigung für ihn sein. Doch kurz vor dem Erhängen soll Sorge „Es lebe die Oktoberrevolution!“ gerufen haben. Postum wurde ihm der Titel „Held der Sowjetunion“ zuerkannt. Schließlich hatte er sein ganzes Leben dem Schutz des Friedens und der Sowjetunion gewidmet, und war bereit, dafür auch sein Höchstes zu geben.

Friedenskampf ist wieder wichtiger denn je. Auch deswegen wird Sorge von den Bürgermedien gern als „Stalins Spion“ und „Säufer“ verleumdet. Es muss schon was dran sein am Leben und Sterben von Richard Sorge, wenn er und seine Friedensarbeit im Nachhinein noch Jahrzehnte klein gemacht werden.

Quelle: Unsere Zeit

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