„Schutz vor Gewalt ist menschenrechtliche Verpflichtung“
Übernommen von Unsere Zeit:
Weit über tausend Menschen haben an einer kämpferischen Demonstration anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen am 25. November in Stuttgart teilgenommen. Die Demonstration wird vom Aktionsbündnis 8. März organisiert. In diesem Jahr nahmen mehr als doppelt so viele Menschen teil wie in den vergangenen Jahren. Junge Frauen bildeten die Mehrheit der Teilnehmer.
Jüngst veröffentlichte Zahlen über Gewalt an Frauen sind erschreckend. 360 Mädchen und Frauen wurden im letzten Jahr Opfer von Femiziden. Das heißt, dass fast ein Femizid pro Tag in Deutschland verübt wird. 52.330 Frauen und Mädchen wurden Opfer von Sexualstraftaten. Diese Zahlen steigen seit Jahren. Sie sind unter anderem auch eine Folge dessen, dass in Deutschland über 14.000 Frauenhausplätze fehlen. Kein Wunder, wenn das Geld in Rüstung fließt und für Frauenhäuser und Projekte gegen Gewalt an Frauen keins mehr da ist. Ein großes Transparent auf der Demo formulierte die klare Botschaft: „Gewaltschutz kostet Geld und rettet Leben. Gewaltschutzgesetz jetzt!“
Der Verein „Frauen helfen Frauen“ beklagte in einem Redebeitrag die schwierige Situation, kaum noch von Gewalt betroffenen Frauen helfen können, weil alleine in Stuttgart fast 100 Frauenhausplätze fehlen. „In den letzten Wochen waren an guten Tagen in ganz Deutschland 20 Plätze frei.“ Die Kolleginnen der Beratungsstellen berichten von zunehmenden Hochrisikofällen, denen sie nicht helfen können. „Konkret bedeutet das, dass seit über 40 Jahren die Finanzierung des Unterstützungssystems ungesichert ist“, so die Bilanz. „Der Schutz vor Gewalt ist keine Sozialleistung. Der Schutz vor Gewalt ist keine freiwillige Leistung. Der Schutz vor Gewalt ist eine menschenrechtliche Verpflichtung.“
Die Grußbotschaft einer palästinensischen Feministin wies auf eine besorgniserregende Verzerrung von Werten hin: „Der Genozid in Gaza hat die Heuchelei der Systeme entlarvt, die von Werten wie Gleichheit, Menschenrechten und Gerechtigkeit sprechen, während sie Zerstörung und Tod ermöglichen. Seit Beginn von Israels völkermörderischem Krieg gegen Gaza hat sich eine Polarisierung von Werten und Menschlichkeit wie nie zuvor gezeigt. Westliche Regierungen und Medien haben sich mit der israelischen Propaganda verbündet, verbreiten Lügen, entmenschlichen PalästinenserInnen und ermöglichen Kriegsverbrechen. Wiederholte Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der EuropäerInnen fordert, den Völkermord zu stoppen, Sanktionen gegen Israel zu verhängen, ein Waffenembargo durchzusetzen und Israel für seine Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Dies ist ein Moment für dekolonialen Feminismus – einen Feminismus, der die Systeme von Krieg, Kapitalismus und Besatzung ablehnt. Echter Feminismus ist ein Aufruf zur Gerechtigkeit, ein Handeln gegen alle Systeme der Dominanz – über Land, Körper und Ressourcen. Das wissen wir zu gut. Die Körper von Frauen sind das erste Schlachtfeld der Kontrolle. Israel zielt auf Frauen und Kinder – tötet sie, um die Zukunft auszulöschen und jede Hoffnung der PalästinenserInnen zu zerstören. Von den kleinsten Akten des Widerstands bis zu den größten: Lasst uns im Kampf für Gerechtigkeit vereint sein. Lasst Gaza uns an unsere Stärke, unsere Verantwortung und unsere gemeinsame Menschlichkeit erinnern. Freiheit für Gaza! Freiheit für Palästina! Freiheit für uns alle!“, so die kämpferische Grußbotschaft.
Die Rede zu den feministischen Kämpfen in der Türkei schilderte die schwierige Situation dort. Drei bis zehn Frauen werden dort Tag für Tag Opfer von Femiziden. Staat, Justiz und Polizei tragen Mitschuld an dieser Gewalt durch Untätigkeit und Nachlässigkeit. Auch in der Türkei gibt es große Demos und Proteste. „Frauen stehen auch in Arbeitskämpfen oft an vorderster Front. Ein Beispiel ist der Widerstand in der Polonez-Fabrik im Westen der Türkei. Dieser Kampf, an dem vor allem Frauen beteiligt sind, dauert bereits 126 Tage an. Wir können von diesen kämpferischen Frauen lernen. Lasst uns unsere Selbstverteidigung stärken, uns zusammenschließen und gemeinsam kämpfen! Nur wenn wir organisiert sind, können wir erfolgreich sein,“ riet die Rednerin aus der Türkei.
Das Aktionsbündnis 8. März schilderte in seiner Rede die vielen Aktionen, die im Laufe des Jahres von ihm organisiert wurden, etwa Gedenkkundgebungen gegen mehrere Femizide in Stuttgart in letzter Zeit. Der Widerstand wendet sich gegen patriarchale Gewalt, gegen Lohnungleichheit, gegen das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen, gegen rassistische, faschistische und antifeministische Hetze, aber auch gegen die Kriege – und für gesellschaftliche Veränderungen. „Wir werden aktiv gegen die deutsche Kriegstreiberei, die weltweit Kriege mit Waffenlieferungen befeuert und damit mehr Leid und Elend verbreitet. Auf dem Weg zu einer Welt, in der es keine Gewalt gegen Frauen mehr gibt, kämpfen wir für konkrete Verbesserungen und gleichzeitig gegen die patriarchalen und kapitalistischen Verhältnisse in ihrer Gesamtheit. Unsere Perspektive ist eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung. Hin zu einer gleichberechtigten und solidarischen Gemeinschaft, frei von jeder Form der Diskriminierung und Unterdrückung. Lasst uns also alle Teil dieses Widerstandes werden und gemeinsam kämpfen!“
Quelle: Unsere Zeit