Stoppt Gewalt gegen Frauen
Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:
Ceyda Tutan
Am 25. November werden Frauen in vielen Ländern der Welt auf die Straße gehen, um sich gegen jede Form von Gewalt zu wehren und um kein weiteres Menschenleben mehr zu verlieren. Sie werden ihre Forderungen nach einem Ende der Gewalt in Kriegen, im Zuhause, auf der Straße, in den Medien, am Arbeitsplatz, gegen Belästigungen, gegen Vergewaltigung im Ganzen bekräftigen. Auch der Bundesverband der Migrantinnen hat eine Erklärung veröffentlicht, in dem er die Frauen zur Teilnahme an den Demonstrationen aufruft. Die Erklärung beginnt mit einem Hinweis auf die vielfältigen Formen von Gewalt, denen Frauen weltweit ausgesetzt sind:
„Zwei Jahre nach den „Frauen, Leben, Freiheit“-Protesten im Iran bestehen Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen in der Gesetzgebung und Rechtsprechung des Landes fort. In Afghanistan greifen die Taliban den Körper und die Autonomie der afghanischen Frauen rücksichtslos an. Neue Gesetze verbieten ihnen, in der Öffentlichkeit zu singen, zu sprechen und ihr Gesicht zu zeigen. In der Türkei schockiert die Brutalität einer Serie von Frauenmorden. In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurden 295 Morde und 184 mutmaßliche Morde registriert. Aktivisten machen die Regierung für die Zunahme der Gewalt verantwortlich. Die jüngsten globalen Entwicklungen, darunter die Wahlergebnisse in den USA und das Erstarken rechtsextremer Parteien in Europa, zeigen die weltweite Verschlechterung der Frauenrechte und den mangelnden Schutz vor Gewalt gegen Frauen.“
Die Folgen, der durch Kriege und Konflikte verursachten Gewalt führen dazu, dass Zehntausende Frauen und Kinder sterben, schikaniert und vergewaltigt werden und ihre grundlegendsten Bedürfnisse wie Ernährung, Bildung und Gesundheit nicht mehr erfüllt werden können. Die Zahl der Menschen, die weltweit vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehen, nimmt zu.
UNICEF berichtet, dass der Krieg in Gaza verheerende Auswirkungen auf die Familien hat und jeder Tag ein Kampf ums Überleben ist. Tausende Frauen, Kinder und Jugendliche wurden bei Angriffen getötet und verletzt und fast zwei Millionen Menschen, die Hälfte davon Kinder, mussten vor der Gewalt fliehen.
Die Istanbul-Konvention
Die Demonstrationen in Deutschland werden auch die Umsetzung der Istanbul-Konvention einfordern. Um zu verstehen, warum die Istanbul-Konvention, ein grundlegender Rechtstext zum Schutz von Frauen vor Gewalt, so hartnäckig verteidigt wird, ist es hilfreich, sich ihren Einleitungstext in Erinnerung zu rufen.
Die Präambel fasst zusammen in der Erkenntnis, dass die Verwirklichung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern ein grundlegendes Element für die Prävention von Gewalt gegen Frauen darstellt und dass Gewalt gegen Frauen Ausdruck historisch gewachsener ungleicher Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen ist und dass diese ungleichen Machtverhältnisse zur Überlegenheit von Männern über Frauen, zur Diskriminierung von Frauen und zur Verhinderung der vollen Entfaltung der Frauen führen.
Es wird festgestellt, dass es in bewaffneten Konflikten zu Menschenrechtsverletzungen in Form von weit verbreiteten oder systematischen Vergewaltigungen und sexueller Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere gegen Frauen, kommt und dass geschlechtsspezifische Gewalt sowohl während als auch nach Konflikten zunehmen kann, dass Kinder sowohl Zeugen als auch Opfer häuslicher Gewalt sind, und ein Konsens über die 81 Artikel der umfassenden Konvention besteht, mit dem Ziel, ein Europa frei von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu schaffen. Das war im Jahr 2011.
Heute ist die Notwendigkeit der vollständigen Umsetzung der Istanbul-Konvention und die Erfüllung ihrer Anforderungen noch weiter gestiegen. Laut Statistik des Bundeskriminalamtes waren im Jahr 2023 in Deutschland 132.966 Frauen von Partnergewalt betroffen. Die 390 bestehenden Frauenhäuser decken den Bedarf bei Weitem nicht.
Die Zahl der Frauenhäuser variiert stark zwischen den Bundesländern. Daher sind die Chancen, eine Unterkunft zu finden, nicht überall gleich und oft sind nur sehr wenige Betten verfügbar. Nach Schätzungen der Diakonie suchen in Deutschland jedes Jahr etwa 17.000 Frauen, die Gewalt erlebt haben, Schutz in Frauenhäusern. Berücksichtigt man die Zahl der Kinder, muss man schätzungsweise etwa 34.000 Menschen unterbringen. (Statista-Forschungsabteilung, 13.11.2024)
Im Jahr 2023 wurden 331 Frauen Opfer von versuchtem/vollendeten Mord oder Totschlag. 155 Frauen wurden von ihrem (Ex-) Partner getötet. – alle zwei Tage! 12.931 Frauen wurden durch ihren (Ex-)Partner körperlich gefährlich verletzt. 4.622 Frauen wurden von ihrem (Ex-)Partner sexueller Gewalt ausgesetzt – (mehr als eine Frau alle zwei Stunden). In Deutschland wird alle 4 Minuten eine Frau Opfer von Gewalt durch ihren ( Ex) Partner. Trotz dieser schrecklichen Zahlen werden Femizide und Gewalt oft als „Familien- oder Beziehungsdrama“ individualisiert und verharmlost.
Nur die Spitze des Eisbergs
In der regelmäßigen Statistik des Bundeskriminalamts werden nur die von der Polizei erfassten Fälle von häuslicher Gewalt, Gewalt in der Partnerschaft und Sexualdelikten berücksichtigt. Doch darüber hinaus gibt es eine weit höhere Dunkelziffer, weil viele Frauen über die Tat schweigen und sich weder an eine Beratungsstelle noch an die Polizei wenden.
Aus diesem Grund fordern Frauenorganisationen in Deutschland seit langem mit Kampagnen sowohl die Umsetzung der Anforderungen, welche die Istanbul-Konvention vorgibt, als auch die Verabschiedung eines für alle geltenden Gewaltschutzgesetzes. Ohne aufgeschoben zu werden. So schnell wie möglich.
Der Bundesverband der Migrantinnen macht auf spezifische Probleme aufmerksam und fordert die vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention in seiner Erklärung: „Über die Hälfte der Asylbewerber*innen, die zwischen Januar und September 2024 in Deutschland zum ersten Mal einen Antrag auf Asyl gestellt haben, waren Frauen sowie Kinder und Jugendliche unter 18 Jahre. Frauen, die vor geschlechtsspezifischer Verfolgung fliehen, bekommen in vielen Fällen keinen asylrechtlichen Schutz, obwohl die Istanbul Konvention in Artikel 60 dazu verpflichtet, geschlechtsspezifische Gewalt als eine Form der Verfolgung bei der Prüfung des Flüchtlingsstatus anzuerkennen. Die Ampel-Koalition hat uns viele Versprechungen gemacht, die sie nicht eingehalten hat. Nach wie vor bestehen gravierende Defizite beim Schutz von gewaltbetroffenen Frauen. Auch wenn die Vorbehalte gegen Artikel 44 und Artikel 59 Abs.2&3 der Istanbul-Konvention fallen gelassen wurden, gibt es keine Reform des § 31 AufenthG. Dabei ist es dringend notwendig den Aufenthaltsstatus von gewaltbetroffenen Frauen mit Flucht- und Migrationsgeschichte zu sichern. Auch wenn die Ampel-Koalition abgedankt hat, gilt es jetzt noch dringlicher an unseren Forderungen festzuhalten. In Solidarität mit allen gewaltbetroffenen Frauen, rufen wir als Bundesverband der Migrantinnen alle dazu auf an den Kundgebungen und Veranstaltung zum Tag gegen Gewalt an Frauen zahlreich teilzunehmen!
Wir brauchen ein Gewalthilfegesetz für ALLE, dass jetzt dringend verabschiedet werden muss!
•Der Aufenthaltsstatus von Frauen mit Flucht- und Migrationsgeschichte muss gesichert werden
•Es braucht eine zuverlässige und ausreichende Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen
• Die Istanbul-Konvention muss vollständig umgesetzt werden“
Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben