Eine Frau der ersten Stunde
Übernommen von Unsere Zeit:
Am 29. Dezember 1993 starb die Kommunistin Grete Thiele in Wuppertal. An ihren unrunden Todestag erinnert Ulrike Müller in UZ vom 20. Dezember 2024. Anstoß dazu gab ein ausführlicher Beitrag in der bürgerlichen Frauenzeitschrift „Brigitte“ über das Buch „Der nächste Redner ist eine Dame“. Darin schreibt Julie Zeh mit Hochachtung über die Kommunistin.
Ulrike Müller schreibt vor allem über den antifaschistischen Widerstand und Friedenskampf Grete Thieles. Mit Auszügen aus der leicht bearbeiteten Trauerrede von Gerd Deumlich, damals Chefredakteur der Marxistischen Blätter, wollen wir nun auch an die Parteiarbeiterin Grete Thiele erinnern, die in der legalen und illegalen KPD wirkte, in der DDR Schutz vor staatlicher Verfolgung fand, und schließlich bei der Konstituierung und dem Aufbau der DKP eine entscheidende Rolle spielte. Gerd Deumlich, 2013 verstorben, hielt diese Rede am 10. Januar 1994 in Wuppertal:
Der Kampf gegen den aufkommenden Faschismus lehrte Grete Thiele, geboren 1913 in Bottrop, dass Konsequenz nötig ist, wenn es um Demokratie, Frieden und die Rechte des arbeitenden Volkes geht. 1933 brach sie mit der SPD und stellte sich auf die Seite der Kommunisten. Für sie war das keine radikalistische Jugendsünde einer Zwanzigjährigen. (…) Ihren Mut und ihre Konsequenz, die Grete angesichts der faschistischen Gefahr in die Reihen der KPD führten, bewies sie auch im antifaschistischen Widerstand. Die Nazis rächten sich dafür an ihr mit jahrelanger Haft in dem berüchtigten Frauengefängnis in Aichach. Ungebrochen nahm sie danach, in Wuppertal berufstätig, die Gefahren auf sich, sich wieder in die illegale Widerstandsarbeit der KPD einzureihen.
Nach der Befreiung war Grete eine der Frauen „der ersten Stunde“. Ihr ging es um einen echten Neubeginn, um ein Deutschland, das im Bruch mit der Vergangenheit einen antifaschistisch-demokratischen Weg geht. Von diesem großen Ziel war ihre politische Arbeit geleitet, doch war ihr keine sogenannte Kleinarbeit zu gering und kein Tagesinteresse der sogenannten kleinen Leute unwichtig. So hielt sie es als KPD-Stadtverordnete in Wuppertal, wo ihr 1994 nur wenige Stimmen zur Wahl der Bürgermeisterin fehlten, oder danach als Abgeordnete des nordrhein-westfälischen Landtags und im Bundestag. (…)
Adenauer kriegt Kontra
Ihr Wirken als Politikerin war äußerst vielseitig, und viel davon ist von brennender Aktualität. Am 8. Februar 1952 ging sie in einer Bundestagsrede, die auch im Rundfunk übertragen wurde, mit der Regierung Adenauer ins Gericht, weil deren Remilitarisierungspolitik eine verdammenswerte Vergangenheit wiederbelebte und die Chance einer Wiedervereinigung Deutschlands auf demokratischen und friedlichen Grundlagen zerschlug. (…) Damals setzte sich Grete in der Bewegung für eine Volksbefragung dafür ein, die bedrohliche Entwicklung zu stoppen. (…) Dies galt den Herrschenden als Hochverrat, und so gehörte Grete wie Max Reimann und andere Genossinnen und Genossen zu den Ersten, die mit der Verschärfung des Kalten Krieges schon vor dem KPD-Verbot von den Herrschenden wieder verfolgt wurden. (…)
Solidarität der DDR
In den 50er Jahren wurde Grete per Haftbefehl gesucht, blieb jedoch dank der Solidarität der DDR für die Häscher nicht greifbar. Sie hatte stets große Hoffnungen darein gesetzt, dass eine stabile und gedeihliche Entwicklung des realen Sozialismus auf Dauer einen günstigen Einfluss auf den Gang der Welt ausüben würde. Damals waren ihr ganzes Sinnen und ihr praktisches Wirken auf die Entfaltung des Kampfes der KPD in der Illegalität, auf Solidarität mit Verfolgten und Inhaftierten, auf die Überwindung des schändlichen KPD-Verbots gerichtet. Zusammen mit Max Schäfer, Ludwig Landwehr und Herbert Mies gehörte sie zu der Kommission, die im Auftrag der KPD-Führung mit Bundespräsident Dr. Heinemann über die Außerkraftsetzung des KPD-Verbots verhandelte. Aus dem Verlauf des Kampfes gegen das KPD-Verbot unterstützte Grete den außergewöhnlichen offensiven Schritt, dass sich die Kommunisten mit der Konstituierung der DKP selbst die Freiheit des legalen Wirkens nahmen, während noch bis heute das KPD-Verbot von allen seitherigen Regierungskonstellationen aufrechterhalten worden ist.
Konstituierung der DKP
Mit ganzer Kraft widmete sich Grete der Entwicklung der DKP. Von Anfang an im Parteivorstand, trug sie wesentlich zu einer zeitgemäßen Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik bei. Sie focht leidenschaftlich für die Partei in den Auseinandersetzungen, in denen es den revolutionären Charakter, die Existenz und Perspektive der DKP zu sichern galt. Das waren schon die Vorboten schwerer Prüfungen. Dazu kamen die für alle Kommunistinnen und Kommunisten bitteren Geschehnisse: Die DDR, die Sowjetunion, der reale Sozialismus zerbrochen. Dazu hatten die Mächte des Kapitals noch einmal Kraft aufbieten können – die Herren der Welt, die nun jämmerlich davor versagen, die Probleme der Menschheit zu lösen. Jene großspurigen „Sieger“, die nun Rekorde an Arbeitslosigkeit und Sozialabbau aufstellen. Und gegen dieses zerstörerische System hatte sich der Sozialismus nicht halten können? Was musste dieser Rückschlag in der Menschheitsgeschichte eine Genossin schmerzen, die auf ihrem Leidensweg genug Höhen und Tiefen erfahren hatte. Dass Grete dennoch festhielt an der (…) kommunistischen Überzeugung, ist das wertvollste Vermächtnis, dass uns die verstorbene Genossin hinterlässt.
„Straße frei, es wird geschossen“, Juli Zeh über die KPD-Abgeordnete Grete Thiele, in: „Der nächste Redner ist eine Dame – Die Frauen im ersten Deutschen Bundestag“, Herausgeber Deutscher Bundestag, Ch.Links-Verlag 2024
Die Antikriegsrede von Grete Thiele im Bundestag vom 8. Februar 1952 lässt sich in der Mediathek des Deutschen Bundestages nachhören.
Eine Biographie über Grete Thiele gibt es auf der Homepage des Landtags NRW.
Quelle: Unsere Zeit