EU will auf Kriegswirtschaft umstellen
Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:
Die EU entfernt sich zunehmend von Diplomatie und strebt eine Rolle als geopolitische Militärmacht an. Wir haben über diese Entwicklungen mit Özlem Alev Demirel, Europaabgeordnete der Linken, gesprochen.
Die EU-Kommission wurde neu besetzt und nun bestätigt. Wie lassen sich offen zum Faschismus bekennende Kommissare mit der „europäischen Demokratie“ vereinbaren?
Das übliche Prozedere sieht vor, dass die gewählte Kommissionspräsidentin anhand der Vorschläge der Mitgliedstaaten ihre Kommission und das Programm für die Legislaturperiode zusammenstellt. Besonders bedenklich ist dabei, dass Frau von der Leyen den italienischen Vorschlag – eine Personalie aus der Tradition des italienischen Faschismus – als Vizekommissar akzeptiert hat. Dieser Vorgang sollte allen fortschrittlichen Kräften in Europa ein Warnsignal sein. Die Linksfraktion stimmte geschlossen dagegen, dennoch wurde die Aufstellung mit 370 Stimmen bestätigt – ermöglicht durch einen dreckigen Deal, der von den Grünen bis hin zu rechtspopulistischen Fraktionen getragen wurde. Die besagte Berufung von Fitto als Vizekommissar ist dabei nicht das einzige alarmierende Beispiel.
Wer denn noch?
Beispiele gibt es viele: Der für Klimapolitik zuständige Wopke Hoekstra kommt von Shell. Das ist, als würde man die Mafia mit der Bekämpfung von Drogenkriminalität beauftragen. Die neue Außenbeauftragte ist eine estnische Hardlinerin, die nicht für Diplomatie und Interessensausgleich steht, sondern für eine weitere Eskalation mit Russland. Erstmals gibt es keinen Kommissar für Arbeit und Soziales mehr, dafür aber einen Verteidigungskommissar: Herr Kubillius, der nun die Rüstungsindustrie in der EU massiv ausbauen soll. Im Fokus der Kommission stehen die Stärkung europäischer Konzerne im globalen Wettbewerb sowie eine massive Militarisierung der EU. Immer wieder fällt das Schlagwort „Kriegswirtschaft“.
„Man will eine schlagkräftigere Rüstungsindustrie aufbauen“
Wem nützt diese Umstellung auf Kriegswirtschaft? Welche Rolle spielt Deutschland hierbei?
Kriegswirtschaft bedeutet, alle Lebens- und Produktionsbereiche auf die Erfordernisse des Krieges auszurichten. In der EU sind wir davon noch weit entfernt. Doch die Richtung ist klar: Man will sich umfassend vorbereiten, eine schlagkräftigere Rüstungsindustrie aufbauen und die Aufrüstung massiv vorantreiben. Die EU schafft zunehmend Instrumente und Programme im Bereich Verteidigung und Aufrüstung.
Viele dieser Vorhaben entstanden bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Doch seitdem wird die Verunsicherung in der Bevölkerung gezielt genutzt, um Kritik am Militarismus zu unterdrücken. Selbst wenn der Ukraine-Krieg im nächsten Jahr eingefroren werden sollte, bleibt die Kriegsbereitschaft hoch und die Kriegsgefahr wächst weiter.
Die sogenannte »Zeitenwende« steht sinnbildlich für den globalen Machtkampf um die Neuaufteilung und Neuordnung der Welt. Deutschland, bislang vor allem wirtschaftliche Führungsmacht der EU, strebt nun auch in der Sicherheitspolitik eine dominante Rolle an.
„Handelskriege werden immer schärfer ausgetragen“
“Die europäische Automobilindustrie ist ein Stolz Europas“ sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jüngst. Wessen Interessen vertritt die EU-Kommission? Ist das der indirekte Hinweis auf weitere Handelskriege?
Die EU-Kommission vertritt nicht die Interessen der Arbeiterschaft, sondern die der Konzernbesitzer. Seit geraumer Zeit lässt sich eine tiefgreifende Umstrukturierung der Wirtschaft und industriellen Produktion beobachten. Es geht um den Übergang zu neuen Technologien, die immense Ressourcen verlangen, sowie um zentrale Fragen wie Handelsbeziehungen, Lieferketten und Handelsrouten. Dabei sind diese wirtschaftlichen und geopolitischen Entwicklungen eng miteinander verknüpft – letztlich geht es um den globalen Wettkampf um Märkte.
Die EU verfolgt dabei einen zweigleisigen Ansatz: Einerseits wird an Handelsabkommen wie Mercosur gearbeitet, um den freien Zugang zu Exportmärkten zu sichern. Andererseits versucht man, Importe aus China (siehe jüngst gegen E-Autos) zu begrenzen. Innerhalb der EU gibt es dabei unterschiedliche Interessen und Strategien der Mitgliedstaaten.
Handelskriege sind im Kapitalismus nichts Neues – man erinnere sich an die Ära Merkel/Trump, als diese offen thematisiert wurden. Doch inzwischen werden sie immer schärfer ausgetragen und können schneller in militärische Konflikte umschlagen.
EU soll eigenständig militärisch agieren
Wie wird es mit der EU nach bzw. mit Trump weitergehen?
Eine endgültige Einschätzung ist noch verfrüht, denn die Entwicklungen sind weiterhin im Fluss. Klar ist jedoch: Unabhängig davon, ob Trump oder Biden, Scholz oder Merz an der Macht sind – die geopolitische Lage bleibt angespannt. Neue Wirtschaftsmächte wie China und Indien drängen auf die Weltmärkte, fordern ihren Anteil und verdrängen die Vormachtstellungen europäischer und amerikanischer Monopole.
Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass die USA und die EU auch unter einem Trump politisch kooperieren werden, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Doch die Widersprüche zwischen den Partnern bleiben bestehen, wie bereits die Auseinandersetzungen um den Inflation Reduction Act unter Biden zeigten.
Trump unterscheidet sich vor allem durch seine unkonventionelle und aggressive Vorgehensweise, die Spannungen zusätzlich verschärfen kann. Ähnlich lassen sich Unterschiede zwischen Scholz und Merz feststellen. Dennoch bleiben die objektiven Herausforderungen, mit denen sich alle diese Akteure auseinandersetzen müssen, im Kern dieselben.
Sicherheitspolitisch lässt sich eindeutig sagen, dass die EU und insbesondere Deutschland als Führungsmacht, versuchen, sich auf verschiedene Szenarien vorzubereiten. In den vergangenen Jahren wurde die Aufrüstung im Einklang mit der NATO vorangetrieben, zugleich aber auch Schritte unternommen, um für einen möglichen Bruch mit den USA gerüstet zu sein und eigenständig militärisch agieren zu können. Die Wahl Trumps dient dabei als zusätzlicher Hebel für die Rüstungslobby, um die Verunsicherung in der Bevölkerung für ihre Interessen auszunutzen.
Sollte man also keine Illusion mehr in die Einigkeit der NATO haben?
Das würde ich so nicht sagen. Unter den aktuellen geopolitischen Bedingungen halte ich es für unwahrscheinlich, dass Trump die NATO-Gemeinschaft so stark untergraben wird, wie während seiner ersten Amtszeit. Auch eine Weltmacht wie die USA agiert nicht frei von Zwängen und der wachsende ökonomische und politische Einfluss Chinas hat die Dynamik verändert. Der robuste Wettbewerb mit aufstrebenden Mächten wie China und Indien vereint die etablierten Mächte weiterhin in ihrem gemeinsamen Interesse.
Trotzdem warne ich davor, Illusionen in Trump oder andere politische Akteure zu hegen. Egal ob in den USA, Europa, Russland oder China – diejenigen, die die Interessen des Kapitals vertreten, werden die Welt weder friedlicher noch sozialer machen. Das können nur die Völker selbst, indem sie sich gegen Krieg und Ausbeutung erheben.
Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben