6. Januar 2025

Syrien unter türkischer Schirmherrschaft?

Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:

Eine Pressekonferenz des designierten US-Präsidenten Donald Trump in seinem Anwesen Mar-a-Lago verdeutlichte einmal mehr das Durcheinander im Nahost-Konflikt und die verschiedenen Interessen, die Regionalmächte vor Ort spielen. Es kristallisierte sich aber auch, wer als Strippenzieher hinter dem Sturz des syrischen Diktators steckt. Die Unsicherheiten rund um die Zukunft Syriens und die geopolitischen Machtverschiebungen in der Region deuten auf eine Neuordnung der kompletten Region hin.

Oktay Demirel

Auffällig ist Trumps Einordnung der Rolle des NATO-Partners Türkei, die er als Schlüsselakteur in der Region bezeichnete. Trump beschrieb die Situation in Syrien als eine „unfreundliche Machtübernahme“, bei der die Türkei eine entscheidende Rolle gespielt habe. Die Türkei hat in den vergangenen Jahren ihre eigenen Interessen in Syrien energisch verfolgt, indem sie Rebellengruppen unterstützte und eine militärische Präsenz in der Region aufbaute. Idlib, eine von der dschihadistischen Miliz Hayat Tahrir al-Scham (HTS) kontrollierte Provinz, stand seit 2020 unter türkischer Beobachtung im Rahmen eines Abkommens mit Russland. Dort wurden die islamistischen Kräfte ausgebildet, finanziert und bewaffnet. Und als sie sich Richtung Damaskus aufmachten, um Assad zu stürzen, hatte die Türkei sich mit Russland und dem Iran abgestimmt, nicht militärisch einzugreifen, sogar unterstützend und strategisch einzuwirken. Der Iran, in Schach gehalten von Israels Drohgebärden und Russland, stark in der Ukraine eingespannt, mussten ihre Unterstützungen an Assad zurückziehen.

Türkische Strategie: Geflüchtete abhalten und kurdischen Einfluss eindämmen

Wenige Tage nach dem Assad-Sturz, verdeutlichten Vertreter der Türkei, in welche Richtung das neue Syrien gehen soll: Der türkische Außenminister Hakan Fidan forderte die Auflösung der Kurdenmiliz YPG, die in Syrien ein wichtiger Verbündeter der USA ist und eine wichtige Rolle gegen den Islamischen Staat gespielt hat. Die YPG müsse sich „entweder selbst auflösen oder sie wird aufgelöst“, erklärte Fidan in einem Fernsehinterview. Alle nicht-syrischen Kämpfer in den Reihen der YPG müssten Syrien „so schnell wie möglich“ verlassen. In einer zweiten Phase müsse dann die gesamte YPG-Führung Syrien verlassen und alle Kämpfer müssten ihre Waffen niederlegen, ergänzte Fidan. Die neue syrische Übergangsregierung werde nicht zulassen, dass die Gruppe die dortigen Ölfelder ausbeute, so Fidan. Dass die YPG eine dort ansässige und verwurzelte Organisation ist, kümmert da wenig und die Ölfelder sollen neu verteilt werden.

Diese Andeutungen des türkischen Außenministers machen deutlich, wie groß das Selbstbewusstsein der Türkei ist und wie stark ihr Einfluss auf die HTS zu sein scheint. Während die HTS ihre Macht in Syrien ausbaut, verfolgt die Türkei strategische Ziele, darunter die Einschränkung kurdischer Autonomiebestrebungen und die Reduzierung der Zahl syrischer Geflüchteter in der Türkei, was den Europäern sicherlich so wichtig ist, dass man beide Augen bei Menschenrechtsverletzungen ganz fest zudrücken wird. Das erklärt auch, warum europäische Medien meist von „Rebellen“ der HTS reden und nicht von Dschihadisten.

Denn Abu Muhammad al-Dscholani, bürgerlicher Name Ahmed al-Shara, der Anführer von HTS, hat eine dunkle Vergangenheit. Ursprünglich als Mitglied des Islamischen Staats (IS) und später der Al-Qaida-nahen Nusra-Front bekannt, hat er sich inzwischen von diesen Gruppen distanziert. Die von ihm regierte Provinz Idlib wurde aber nach der Scharia, den Gesetzen und Normen, die aus dem Koran und der Sunna des Propheten Mohammed hervorgehen, geführt. Al-Dscholani äußerte sich in einem Fernsehinterview mit dem aus der Türkei sendenden „Syria TV“ erstmals ausführlich zur Zukunft Syriens, wo er sich stark liberal und staatsmännisch gab.

Staatlich geordnete Verwaltung

Al-Dscholani erklärte, dass alle bewaffneten Gruppen in Syrien entwaffnet und ihre Waffen der Kontrolle des syrischen Staates unterstellt werden sollen, was sich mit Fidans „Entwaffnung der YPG“ deckt. Diese Maßnahme soll laut Al-Dscholani vom syrischen Verteidigungsministerium koordiniert werden und einen Übergang von „revolutionären Strukturen“ hin zu einer staatlich geordneten Verwaltung markieren. Die Verwaltung Syriens erfordere eine Denkweise, die von Revolution hin zu Stabilität und Rechtsstaatlichkeit führe und der Aufbau einer neuen Regierung auf den Prinzipien von Gerechtigkeit und guter Regierungsführung beruhen müsse. Dabei sei eine weitere Priorität, die Produktion und den Handel von Captagon, einem während des Assad-Regimes florierenden Betäubungsmittelgeschäft, zu beenden. Zu Israels jüngsten Angriffen auf Syrien warnte er vor einer weiteren Eskalation der Spannungen, die das Land erneut in Konflikte verwickeln und den Wiederaufbau gefährden könnten. „Die Diplomatie ist der einzige Weg, um Sicherheit und Stabilität in der Region zu erreichen“, erklärte er und forderte die internationale Gemeinschaft auf, Syrien in diesem Prozess zu unterstützen. Gleichzeitig plädierte er für eine vorsichtige und ausgewogene Beziehung zu Russland, um die Interessen beider Länder zu wahren und Provokationen zu vermeiden.

Syriens Zukunft ungewiss

Wie man sieht, wird Al-Dscholani von der Türkei gut beraten und versucht durch ein Imagewechsel seine Macht zu festigen. Nicht zuletzt wurde er von Ibrahim Kalın, dem Sprecher des türkischen Präsidenten und seit 2023 Leiter des türkischen Geheimdienstes MIT, besucht, wo es um strategische und inhaltliche Ausrichtungen ging. Die Entwicklungen in Syrien und die Rolle der Türkei als regionaler Akteur werfen zahlreiche Fragen auf. Die Wiedereröffnung der türkischen Botschaft in der syrischen Hauptstadt ist bezeichnend für das starke Engagement der Türkei in Syrien.

Trumps Äußerungen zur Region lassen jedoch wenig Klarheit über die künftige US-Politik erkennen, während Deutschland und Europa auch eher beobachten und nahezu hilflos zu sein scheinen. Russland hingegen musste zähneknirschend hinnehmen, dass eine Einflusszone verloren ging und ein weiterer Verbündeter außer Gefecht gesetzt wurde, während China seine Präsenz in Syrien bereits seit über einem Jahr stark reduziert hatte. Die Dynamik zwischen diesen Akteuren wird sicherlich aber noch entscheidend für die Stabilität in Syrien und die geopolitischen Verhältnisse im Nahen Osten sein, vor allem die Rolle der Kurden wird sich von den Reaktionen der USA lenken lassen.

Denn die Beziehung zwischen der kurdischen YPG (Volksverteidigungseinheiten) und HTS ist von grundsätzlicher Feindschaft und diametral entgegengesetzten Zielen geprägt. Beide Gruppen befinden sich auf entgegengesetzten Seiten des syrischen Bürgerkriegs und stehen in Konkurrenz um die Kontrolle von Territorien und politischen Einfluss. Ob mit türkischer Unterstützung ganze kurdische Regionen in Brand gesetzt werden, ist ungewiss.

Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben

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