Unwort „Künstliche Intelligenz“
Übernommen von Unsere Zeit:
Mein Unwort dieses Jahres ist „KI“. Die Art, in der heute über KI gesprochen wird, ist ungefähr dieselbe, in der 1995 über das mysteriöse Phänomen „Internet“ nachgedacht wurde. Die Zeit mag reif sein für KI, für das Reden über diese nicht. Wie immer gab es aber auch einige Äußerungen, die entweder nicht verkürzend oder zumindest bedenkenswert waren. So wies etwa vor kurzem Peter Sloterdijk in einem 3sat-Interview darauf hin, dass er als Sprachen-Interessierter schon immer an KI interessiert gewesen sei. Was ist Sprache schon anderes als eine Künstliche Intelligenz, die den Menschen ihre Arbeit, ihr Leben und den Umgang untereinander erleichtert? Vielleicht also markiert das Jahr 2024 einfach den Beginn einer Phase, in der die eine KI-Technik so langsam durch eine andere abgelöst wird: Was wird in naher Zukunft mit der Sprache geschehen?
Waren die Microblogging-Meinungsjauchegruben wie Twitter der erste, bereits ziemlich erfolgreiche Versuch, die Sprache in größerer Öffentlichkeit abzuschaffen, indem sie vom Kommunikationsmittel vollends zum Grunz-und-Stammel-Schlachtplatz von hyperideologisierten Marktschreiern wurde, wird die sogenannte KI, die freilich – als der menschlichen Dummheit nachgebildete – eine künstliche Idiotie ist, der zweite Versuch sein, die Sprache zu ent-sprachlichen, ihr also den Stachel zu nehmen, sie vom Werkzeug des Geistes zum Produkt der Geistverwaltung, zum Selbstgespräch der Maschinerie mit sich selbst zu machen. Die dabei oft angewendete Unterscheidung Mensch – Maschine ist natürlich blödsinnig, schließlich sind die Grenzen fließend: Menschen stören in diesem Maschinen-Selbstgespräch nicht, sie fügen sich ein.
Die völlig amusische Verwaltungsbeamtensprache von ChatGPT und Konsorten, für die der tagesjournalistische Jargon die Blaupause bot, besteht nicht mehr aus objektivierten Gedanken, die in einem menschlichen Subjekt gedacht wurden, sondern aus vorgestanzten Wortblöcken, die von der KI-Maschine aus dem Alltagsgeplauder herausgebrochen und als nichtgeschriebene, nichtgesprochene Wortgrütze für Hirnlose serviert wird. Nicht zufällig beherrscht die Maschine das vom kapitalistischen Markt erforderte Bewerbungsdeutsch perfekt: Selbst der blödeste Mensch kann keine so perfekten Bewerbungsschreiben verfassen, wie ChatGPT es vermag. So scheint es, als stoße die schreibende Menschheit mit dieser Maschinerie den Seufzer über ihre eigene Hirnlosigkeit aus. Sie lagert ihr sprachliches Unbewusstsein auf Server aus, von wo aus sie es sich, etwas durchgeschüttelt und rekombiniert, wieder aneignet.
Damit aber offenbaren die neuen KIs lediglich den Zustand der bestehenden Sprache und des Bewusstseins der Massen: Schon vor den KI-Sprachautomaten war die von Menschen in ihrem Alltag gesprochene Sprache zu großen Teilen eine automatische. Wenn man von Floskeln und sprachlichen Formeln redet, meint man nichts anderes als solche automatisierte Sprache. Die KI nimmt diese Tendenz nur auf, verstärkt sie aber, indem nun an die wenigen noch menschlichen, nicht automatisierten Sprachbenutzer die Forderung tritt, auch ihr Schreiben dem Maschinendeutsch anzugleichen. Nach einzelnen hilfreichen Tippfehler- oder Grammatik-Korrekturen soll, wenn es nach der den Ton angebenden KI-Ideologie geht, die Maschinerie auch die Gedanken bestimmen. Sprachtechnik soll zu Denktechnik werden, denn auch deren Ideologen haben ja mitbekommen, dass „Sprache“ nunmal „praktisches Bewusstsein“ (Marx) ist.
An der Künstlichen Intelligenz ist weniger die Künstlichkeit, also das Maschinelle, ein Problem als die Intelligenz. Diese glich auch in ihrer menschlichen Form schon länger der künstlichen, insofern sie eine vorgetäuschte war. Einer der besten Filme zu diesem Problem ist Alex Garlands „Ex Machina“ von 2014. Mich brachte er damals zu der Überlegung, was denn passiere, wenn die vom Menschen geschaffenen Automaten-Menschen beginnen würden, selbst einen Turing-Test zu entwickeln, um zu testen, ob ein Mensch, der behauptet, eine Maschine zu sein, auch wirklich eine ist.
Wenn man wiederum Martin Heideggers Bemerkung, die Sprache sei das Haus des Seins (und der Mensch wohne nahe diesem Haus) beipflichten will, dann müsste man festhalten, dass er sich durch die Sprach-KI nur weiter von diesem entfernen wird. Indem er aber „die“ Sprache, als gäbe es nur eine, zum Haus des Seins erkor, war Heidegger noch ziemlich naiv: Er ging davon aus, die Sprache selbst könne rein bleiben von den negativen Folgen der Technik. Heute sieht man, dass selbst die Sprache nur noch Funktion der durch Technik bloß vermittelten gesellschaftlichen Totalität darstellt: Gesellschaftlicher Zwang, also das Programm, an dem der heutige Kapitalismus mit Hochdruck arbeitet, soll als Notwendigkeit der Technik erscheinen: „Computer says no!“ Die perfektionierte biometrische Überwachung der Massen während der Pandemie, etwa in Form von Einlass-Sperren für Nichtgetestete oder Ungeimpfte, erschien als bloßer Verwaltungsakt von Smartphone-Apps. Von da aus ist es dann kein besonders großer Schritt mehr zur Entalphabetisierung ganzer Bevölkerungen: Der Hinweis „Meine Maschine hat diesen Begriff nicht in seinem Wortschatz“ bedeutet dann nichts anderes mehr als: Du darfst diesen Begriff nicht benutzen, denn: „Nicht nur wir kennen ihn nicht, sondern wir haben jetzt eine objektive Instanz, die unsere Ignoranz und Dummheit bestätigt.“
Je praktischer und einfacher die Sprache in Übersetzungsmaschinen oder ChatGPT als bewusstlose verwaltbar und für die menschliche Arbeitsersparnis, also Kapitalvermehrung dienlich wird, desto weniger Wahrheit vermag sie zu transportieren – und desto weniger wird die Sprache, als eine alltägliche, im Leben und fürs Denken brauchbar sein. Sie wird zum bloßen Schmuck, zum Untertitel für Reklame-Bilder. Denn das revolutionäre, das zumindest kritische und Nachdenklichkeits-Potential einer Sprache, die eben gerade auf individuelle, eigentümliche, originelle Weise benutzt wird und die sich etwa auch in Brüchen, schwierigen Formulierungen, langen Sätzen, Neologismen, Fremdworten und scheinbar Falschem ausdrückt – alles Elemente, die innerhalb der Sprache Horizonte eröffnen für noch nicht Gedachtes oder Erfahrenes –, fällt mit der allmählichen Gewöhnung an die KI-Technik weg. William Shakespeare erfand und prägte während seiner Jahrzehntelangen Theater-Arbeit nebenbei hunderte neue Wendungen, Wörter, Namen, Begriffe. Man darf mit gewissem Recht annehmen, dass ChatGPT da nicht wird mithalten können. KI-Apparate, die das Produkt entindividualisierter, mechanischer Routinen und Algorithmen sind, haben für sich genommen keine Subjektivität. Sie sind Objekte, die so tun müssen, als hätten sie Subjektivität, und so brüllen sie schon heute ihre Befehle an die Schreibenden, deren eigenen Umgang mit Sprache sie in ihrer maschinellen Pseudo-Subjektivität nur noch als Fehler erkennen können. (Ich will dabei gar nicht das große Potential von Künstlicher Intelligenz leugnen: Sie bietet tatsächlich hervorragende Möglichkeiten der Erniedrigung, Unterdrückung, Ausbeutung und Kontrolle von Menschen – wir sind ja keine Kulturpessimisten.) Wirkliche Sprache ist von Erfahrung geprägt – und zwar durch die eines Erfahrung machenden, sich und seine Umwelt reflektierenden, nachdenkenden und handelnden Subjekts. All das ist die Sprache von ChatGPT und anderer KI-Sprachmaschinen von Language Tool bis DeepL eben nicht. Sie wird es auch niemals sein können. (Es fällt halt nur wenig auf, weil es mit den Erfahrung machenden, sich und seine Umwelt reflektierenden, nachdenkenden und handelnden Subjekten so eine Sache ist.)
Die Auswendiglern-Kultur hat bereits seit einiger Zeit das inwendige Wissen, also die Bildung, ersetzt. Heute soll noch der letzte Rest der in Sprache aufgespeicherten Weltweisheit zu einem auswendigen werden, nämlich ausgelagert auf Serverfarmen, die bei Bedarf eine im Sinne der bewusstlosen Maschinerie „passende“, aber für die Arbeit an der Wahrheit freilich falsche Formulierung ausspucken. „Schreibt die Wahrheit“, sagte Brecht – Maschinen können nicht die Wahrheit schreiben, weil ihre Datengrundlage der bloße Abhub von Ergebnissen des Massen-Gegoogles ist. Wenn die Bildung der Bevölkerung, die die KI speist, eine ungenügende ist, wird es die der KI auch sein. Die zunehmende Nutzung von Sprach-KIs ist damit letztlich nur ein weiterer Schritt innerhalb der durch einen chaotischen, ungeplanten, weil dem Markt überlassenen Produktivkraftentwicklung hervorgerufenen Tendenz hin zu forcierterer Arbeitsteilung, einer ganzheitliche Verblödung erzeugenden Arbeitsprozess-Aufspaltung. Sprachtätigkeit soll zur Fließbandarbeit werden, für die der Benutzer keinen Gedanken mehr anstrengen muss.
Sprach-KIs sind damit die real gewordene Utopie jener Fortschrittsoptimisten, die sich unter Fortschritt immer nur Unterwerfung des Menschen unter die Maschinerie – statt umgekehrt – vorstellen können und deshalb ganz erfreut sind, nicht mehr selbst schreiben zu müssen. Am Sprachfließband meinen sie, Zeit sparen zu können. Sie verstehen nur nicht, dass sie in Wahrheit keine Zeit sparen, sondern genauso lange arbeiten müssen wie zuvor; nur jetzt auf stumpfere Weise. Abgesehen wird dabei auch vom Umstand, dass Sprache nie eine Handwerks-Manufaktur war, die nun durch die fordistische Fabrik ersetzt werden könnte.
Es gab bisher bei den professionell mit Sprache Betrauten eigentlich keine größere Unzufriedenheit mit ihr. Die Sprache weckte – im Gegensatz zu so ziemlich allem anderen auf der Welt – bei Dichtern und Denkern keinerlei Bedürfnis, optimiert zu werden. Sprache war und ist Teil des Menschen, dessen geistiges Erzeugnis. Die Anlagen zu ihr finden sich bereits bei Geburt in jedem Gehirn; sie gehört zu seiner Person und seinem Körper wie Arme, Beine, Augen, Ohren. Nur der Sprachlose benötigt entsprechende Prothesen. Sprache ist eben nicht ausschließlich gesellschaftliche Einrichtung und Produktionsmittel – diese Funktion mag sie unter dem Diktat des Kapitals vornehmlich erfüllen –, sie ist zugleich immer Ausdrucks-Werkzeug, das heißt Sinnes- und Geistesorgan. Niemand aber würde sich ein Ohr abtrennen oder eine Hand absägen, nur weil man ihm verspricht, er könne eine superfunktionale neue Prothese bekommen. Denn egal, wie gut diese Prothese funktionieren mag, sie wird nicht so funktional wie der ursprüngliche Körperteil sein.
Wozu also ChatGPT und ähnlicher Schmonzes? Sie erfüllen die Bedürfnisse der Dilettanten und Sprachvereinfacher, also der Verblödungsfreunde, der Gegenaufklärung. Die KI schafft richtiges Deutsch durch solche Vereinfachung freilich noch nicht ab, aber sie schleift es, macht es stumpfer. Sie gewöhnt die Schreibenden und Sprechenden noch mehr an das Schablonen-Gerede, das die Maschine der formelhaften Alltagssprache ablauscht.
Jener bürgerlich-marktwirtschaftliche Fortschrittsoptimismus (der letztlich immer nur eine Hoffnung auf größeren privaten Profit war) hat mit seinen spezifischen Mitteln zur Ersparnis von Aufwand und Arbeit den Menschen nur weiter von sich selbst und seinem Leben entfernt. Auch bei der KI-Sprache soll der Mensch jetzt bloß Gast in seinem eigenen Haus, nur Zuschauer der maschinellen Wörter, nur Konsument des industriell hergestellten Sprachschwachsinns werden. Er soll die Sprache nicht mehr produzieren, sondern konsumieren. Er soll sie nicht erdenken, sondern bekommt sie aufgetischt, diktiert. Schon die Rechtschreibkorrektur-Funktionen und Programme der letzten Jahre haben uns auf die Sprachverwurstung vorbereitet: auch hier war die Künstliche Intelligenz so dumm, dass sie nicht nur normale Wörter nicht erkannte, sondern auch Neologismen ignorierte und Texte, statt zu verbessern, verschlechterte und neue Fehler einbaute.
Die Sprache – und damit die Theorien – etwa von Marxens oder Hegel wäre ohne ihre Anti-KI-Momente des Spielerischen, Schöpferischen nicht denkbar. Auch dieser Text hier beispielsweise hätte von der Maschine nicht geschrieben werden können. Deshalb schreibe ich meinen Kram auch weiterhin lieber selbst. Schönes neues Jahr!
Quelle: Unsere Zeit