USA: Wer hat hier die Wahl?
Übernommen von SDAJ:
Bank of America, Goldman Sachs, Visa, Ford, Merck, PepsiCo, American Airlines, Oracle, PayPal: Die Liste der Konzerne, deren aktuelle oder ehemalige Chefs den Brief unterzeichnet hatten, den der US-Wirtschaftssender CNBC am 6. September veröffentlichte, konnte sich sehen lassen. Spitzenfunktionäre prominenter Internetkonzerne waren dabei, zudem mächtige Silicon Valley-Investoren und Milliardäre aus dem Umfeld anderer Investmentgesellschaften. Insgesamt 88 Wirtschaftsbosse waren umstandslos bereit, das Anliegen des Schreibens in aller Öffentlichkeit zu unterstützen. Damit gingen sie durchaus ein Risiko ein – denn es handelte sich um einen Wahlaufruf, mit dem man es sich mit der anderen Seite unweigerlich derb verscherzte. „Mit Kamala Harris im Weißen Haus kann die Wirtschaft zuversichtlich sein, dass sie eine Präsidentin haben wird, die will, dass amerikanische Industrien gedeihen“, hieß es in dem Schreiben; Harris sei ganz ohne Zweifel in der Lage, dafür zu sorgen, „dass amerikanische Firmen auf dem Weltmarkt konkurrieren und gewinnen können“.
Steht die US-Wirtschaft im Wahlkampf vor der US-Präsidentenwahl geballt an der Seite der US-Demokraten und ihrer Kandidatin Kamala Harris? Ist Donald Trump der Kandidat, der die Interessen einfacher, unterprivilegierter US-Amerikaner gegen eine abgehobene Elite vertritt? Die Antwort lautet zweimal: nein. Die US-Wirtschaft steht keinesfalls geschlossen an der Seite von Harris, und auch Trump hat eine starke Fraktion mächtiger Konzerne hinter sich. Es ist allerdings nicht ganz einfach, die Fraktionen gegeneinander abzugrenzen.
Erhellende Einblicke bietet eine Studie, die Bastiaan van Apeldoorn und Naná de Graaf von der Vrije Universiteit Amsterdam sowie Jaša Veselinović von der Freien Universität Berlin im vergangenen Jahr vorlegten. Sie untersuchten ökonomische Verschiebungen zwischen der Präsidentschaft von Barack Obama und derjenigen von Donald Trump – und kamen zu dem Schluss, der Wechsel von einer Politik der hemmungslosen Durchsetzung offener Weltmärkte unter Obama und seinen Amtsvorgängern hin zu einer Politik des Wirtschaftsnationalismus mit klar protektionistischen Zügen unter Donald Trump habe den Interessen einer besonderen Gruppe von Unternehmen Rechnung getragen. Dabei habe es sich zum einen um Konzerne gehandelt, die weniger auf den Export, sondern mehr auf den US-Heimatmarkt orientiert seien – darunter Immobilienunternehmen –, zum anderen aber auch um Konzerne, denen es nicht mehr gelang, sich gegen die globale Konkurrenz durchzusetzen, so etwa Stahlkonzerne. Übermächtige Konkurrenten waren immer häufiger Konzerne aus China.
Die Mischung aus Schutzzöllen und anderen Unterstützungsmaßnahmen für die einheimische Industrie auf der einen und äußerst aggressivem Vorgehen gegen die chinesische Konkurrenz auf der anderen Seite, die man in der Politik der Trump-Administration beobachten konnte, diente dazu, den Interessen der von Trump vertretenen Spektren der US-Wirtschaft Rechnung zu tragen. Dabei muss man konstatieren: Washington ist es unter Trump nicht gelungen, China einen entscheidenden Schlag zu verpassen. Im Gegenteil: Der Druck der chinesischen Konkurrenz auf immer größere Segmente der US-Industrie nimmt zu. Das ist wohl der Grund dafür gewesen, dass Joe Biden, als er Anfang 2025 das Präsidentenamt antrat, keineswegs das Ruder herumgerissen, sondern die protektionistische Linie sowie die hart antichinesische Politik seines Amtsvorgängers nicht nur übernommen, sondern sogar noch zugespitzt hat. Die hunderte Milliarden US-Dollar schweren Subventionsprogramme wie der Inflation Reduction Act (IRA) und der ungehemmte Wirtschaftskrieg gegen die chinesische Halbleiterbranche sprechen Bände.
Ist es Biden damit gelungen, die US-Wirtschaft geeint hinter sich zu scharen? Wohl kaum. Zum einen hat auch Biden es nicht geschafft, die chinesische Konkurrenz auszuknocken; Im Gegenteil: Immer mehr US-Konzerne geraten unter Druck, zuletzt beispielsweise die Elektroautobranche, in der chinesische Hersteller an inzwischen allen vorbeiziehen, auch an Tesla. Kann man die Schutzzölle in Höhe von 100 Prozent auf chinesische Elektroautos, die die Biden-Administration verhängt hat, toppen? Na klar, man kann. Trump verlangt jetzt Zölle in Höhe von 60 Prozent auf alle weiteren Einfuhren aus China und Zölle in Höhe von 20 Prozent auf alle Einfuhren aus anderen Ländern. Für so manches konkurrenzgeplagtes Unternehmen aus den USA ist das sicherlich attraktiv. Dass Trump gleichzeitig noch Steuergeschenke für Reiche verspricht, ist das Tüpfelchen auf dem i.
Aktuell kommt eine noch relativ junge Entwicklung hinzu: Unter den US-Internetkonzernen schlagen sich immer mehr auf die Seite der Republikaner. Die Zeiten, in denen das Silicon Valley als solide hinter den Demokraten stehend galt und etwa ein Facebook-Manager seinen Job verlor, weil er Geld an die Trump-Partei gespendet hatte, sind vorbei. Das Silicon Valley gehe „auf Kuschelkurs mit Trump‘“, konstatierte der Tech-Publizist Evgeny Morozov Ende Juni im britischen Guardian. Morozov nannte auch einen zentralen Grund: Die Tech-Branche ist zunehmend bemüht, alle regulatorischen Fesseln abzuschütteln, um in der zunehmenden globalen Konkurrenz möglichst ungehemmt operieren zu können. Trump ist ohne weiteres dazu bereit. Im Juli berichtete das Handelsblatt von einem Wahlkampfdinner, zu dem Silicon Valley-Investoren den Ex-Präsidenten eingeladen hatten. Zwölf Millionen US-Dollar sollen gespendet worden sein; Apple-Chef Tim Cook habe, heißt es, Trump gelauscht und durchaus wohlwollend genickt. Elon Musk dient sich Trump, der nicht zuletzt auch den Kryptomarkt deregulieren will, als Beauftragter für – nun ja – Bürokratieabbau an.
Wer die Wahl am 5. November gewinnt; welche Fraktionen der US-Wirtschaft also künftig vorrangig bedient werden, wird man sehen. Einig sind sich alle freilich in einem: Die härteste Konkurrenz kommt aus China; Der Machtkampf gegen die Volksrepublik wird also fortgesetzt und vielleicht gar noch verschärft. Uneinig sind sich Biden/Harris und Trump allerdings in der Frage, wie man mit Russland umgehen soll. Während die jetzige US-Administration meint, man solle jegliche Chance nutzen, um Russland als Machtfaktor auszuschalten, und dann gegen ein isoliertes China vorgehen, ist Trump der Auffassung, Moskau sei für die Vereinigten Staaten kein echtes Problem; Jede Milliarde, die in den Kampf gegen Russland gesteckt werde, fehle im Kampf gegen die Volksrepublik. Strittig ist zwischen ihnen der Weg zum Ziel – China niederhalten –, nicht aber das Ziel selbst. Auf Konflikt, in letzter Instanz womöglich sogar auf Krieg orientieren beide.
Jörg Kronauer
Jörg Kronauer ist Soziologe und freier Journalist. Er lebt in London, schreibt unter anderem für die junge Welt und Unsere Zeit und ist Redakteur des Nachrichtenportals german-foreign-policy.com.
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Quelle: SDAJ