6. Januar 2025

Annalena Baerbocks Besuch in der Türkei: „Feministische Außenpolitik“ über Bord

Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:

Oktay Demirel

Der Besuch von Annalena Baerbock in der Türkei nach dem Sturz von Baschar al-Assad in Syrien zeigt das wahre Gesicht der deutschen Noch-Außenministerin – insbesondere im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit ihrer im Frühjahr 2023 angekündigten feministischen Außenpolitik und die geopolitischen Interessen der imperialistischen NATO-Mächte. Die deutsche Haltung, die einerseits von vorgeschobenen und flexibel dehnbaren moralischen Prinzipien und andererseits von machtpolitischen Kalkülen geprägt ist, zeigt deutlich, wie wenig diese beiden Ansprüche miteinander vereinbar sind.

Ein Beispiel dafür ist die anhaltende Unterstützung der Türkei als NATO-Partner, trotz ihrer klar dokumentierten Angriffe auf kurdische Gebiete und der dortigen Gräueltaten. Zuletzt wurde bekannt, dass die Journalistin Nazim Dastan und der Reporter Cihan Bilgin, beide kurdischer Herkunft, am 20. Dezember von türkischen Drohnen getötet wurden, als sie für kurdische Medien über Kämpfe zwischen pro-türkischen und kurdischen Gruppen in Nordsyrien berichteten. Ebenso fällt auf, wie Deutschland die territoriale Integrität Syriens betont, während gleichzeitig die Türkei faktisch Teile des Landes militärisch besetzt und von ihr finanzierte Milizen ihren Interessen entsprechend agieren lässt.

Diese deutsche Standhaftigkeit in ihrer ausgeprägten Rückgratlosigkeit offenbart sich besonders in der widersprüchlichen Haltung gegenüber den kurdischen Milizen, die einerseits als Partner im Kampf gegen den IS gelobt, andererseits jedoch – dem türkischen Wunsch entsprechend – zur Entwaffnung aufgefordert werden.

Die kurdische Perspektive: Zwischen Hoffnung und Verrat

In Nordsyrien blicken die Kurden mit Sorge auf die Entwicklungen nach Assads Sturz. Die Türkei hat ihre militärische Präsenz an der Grenze verstärkt und pro-türkische Milizen wie die „Syrische Nationale Armee“ (SNA) dringen in kurdisch kontrollierte Gebiete vor. Bereits in der Vergangenheit haben diese Gruppen durch Folter, Vertreibungen und Gewalt gegen Minderheiten auf sich aufmerksam gemacht.

Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und die Frauenverteidigungseinheiten (YPJ), die im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) entscheidend und siegreich waren, werden nun von denselben internationalen Partnern – darunter insbesondere die USA und europäische Staaten wie Deutschland – aufgefordert, sich zu entwaffnen und in die Sicherheitsstrukturen des neuen syrischen Staates zu integrieren.

Deutsche Doppelstandards

Annalena Baerbock bezeichnete ihre feministische Außenpolitik als eine „harte Sicherheitsfrage“, die sich aus den Grundwerten der Demokratie und Gleichberechtigung ableite. Doch wie passt diese Haltung zu ihrem aktuellen Vorgehen? Während sie noch wenige Tage vor ihrem Türkeibesuch die Verdienste der kurdischen Einheiten lobte, spricht sie sich nun für deren Entwaffnung aus. Diese Position scheint weniger von feministischen Idealen geleitet zu sein, als von einem geopolitischen Interesse, den NATO-Partner Türkei zu befrieden.

Baerbock betont, dass von Nordsyrien „keine Gefahr ausgehen“ dürfe und dass die „Terrorismusbekämpfung ein legitimes Anliegen der Türkei“ sei – eine Haltung, die feministischen Prinzipien widerspricht, da sie die Bedrohung der kurdischen Region durch die Türkei ignoriert und deren zentrale Rolle im Kampf gegen den IS ausblendet. Diese Worte blenden bewusst die realen Bedrohungen aus, denen die Kurden durch türkische Angriffe und islamistische Söldner ausgesetzt sind. Die deutsche Regierung rechtfertigt ihre Haltung mit der Wahrung der „territorialen Integrität Syriens“ – ein Argument, das in seiner selektiven Anwendung die imperialistischen Interessen des Westens offenbart.

Der türkische Außenminister Fidan wurde unmittelbar nach dem Treffen mit Baerbock zu einer möglichen Militäroperation gegen die kurdische YPG befragt. Mit dem Hinweis auf die territoriale Integrität Syriens erklärte Fidan, dass es in Damaskus eine neue Regierung gebe und die YPG aufgelöst werden sollte. Auf die Nachfrage „Mit anderen Worten, ist eine militärische Intervention möglich?“ antwortete Fidan: „Was immer nötig ist, wird getan werden.“

Imperialistische Interessen: Profit vor Prinzipien

Die westlichen Mächte, darunter Deutschland, verfolgen in Syrien in erster Linie strategische Interessen, die darauf abzielen, die Achse Russland-Iran zu schwächen, eigene geopolitische und wirtschaftliche Ziele zu sichern und Israel eine gute Ausgangslage für die Umgestaltung des Nahen Ostens zu bieten. Nach dem Sturz Assads applaudierten sämtliche Vertreter Europas dem neuen Status quo, der von der islamistischen HTS dominiert wird – einer Gruppe, die für Hinrichtungen, Folter und Gewalt gegen Frauen bekannt ist und international weiterhin auf Terrorlisten aufgeführt ist.

Baerbocks feministische Außenpolitik bleibt erstaunlich stumm angesichts dieser Tatsachen, während sie gleichzeitig die Türkei für ihren „legitimen“ Kampf gegen die Kurden in Schutz nimmt. Deutschland ist militärisch in der Region kaum präsent, versucht jedoch, durch diplomatische Initiativen und wirtschaftliche Kooperationen Einfluss zu gewinnen. Kanzler Scholz spricht von einer „Chance“, Stabilität und Demokratie in Syrien zu fördern, während Verteidigungsminister Pistorius öffentlich mehr militärisches Engagement fordert. Diese Friedenspolitik à la SPD dient in Wahrheit dazu, deutsche Wirtschaftsinteressen zu sichern und Geflüchtete in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken. Baerbock, Sprecherin der NATO-Allianz, stimmt sich ein und bringt sich im innerdeutschen Wahlkampf in Position als Kandidatin für eine aggressive deutsche Nahost-Politik mit Duldung türkischer Verbrechen, wenn sie sich im Rahmen der vorgeschobenen Demokratie hält.

Die Rolle der Kurden: Opfer geopolitischer Spiele

Die kurdischen Gebiete in Nordsyrien sind seit Jahren Spielball internationaler Interessen. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist die militärische Unterstützung der Türkei durch die NATO, trotz deren aggressiver Angriffe auf kurdische Städte, wie Kobane. Gleichzeitig haben die USA, die die Kurden im Kampf gegen den IS als Partner feierten, ihre militärische Präsenz in der Region stark Richtung Indo-China verschoben, was die Sicherheit der kurdischen Gebiete im Nahen Osten gefährdet. Europäische Staaten wie Deutschland wiederum priorisieren ihre Beziehungen zur Türkei, selbst auf Kosten der kurdischen Autonomiebestrebungen, vor allem auch aus Furcht vor einer erneuten unkontrollierten Asylmigration.

Diese Haltung ist nicht nur eine moralische Bankrotterklärung, sondern auch ein Verrat an den Prinzipien von Gleichberechtigung und Menschenrechten, die Baerbock angeblich vertritt. Es bleibt zu hoffen, dass die internationale Gemeinschaft den Kurden nicht den Rücken kehrt und für eine gerechte und nachhaltige Lösung in Syrien eintritt.

Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben

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