Todesmärsche – faschistische Verbrechen vor der Befreiung
Mit Beginn der Weichsel-Offensive der sowjetischen Streitkräfte am 12. Januar 1945 wurde in großer Hektik im Osten damit begonnen, die dortigen Arbeits- und Vernichtungslager des faschistischen Deutschlands zu räumen. Waren beim Heranrücken der Roten Armee auf die Vernichtungslager Majdanek und Sobibor noch die verbliebenen Häftlinge als potentielle Zeugen der Massenmorde getötet worden, so galt zum Ende 1944 der Befehl aus Berlin, dass kein arbeitsfähiger Häftling den alliierten Streitkräften in die Hände fallen dürfe. Trotz der Agonie des Regimes und der erkennbaren militärischen Niederlage sollte die Arbeitskraft der Häftlinge bis zum bitteren Ende im Interesse der faschistischen Kriegsproduktion ausgeplündert werden.
Während die regulären Transporte seit Sommer 1944 zu den Arbeitseinsatzstellen von Auschwitz, bei denen rund 65.000 Häftlinge in das Deutsche Reich deportiert wurden, noch relativ geordnet vonstatten gingen, erwies sich die überstürzte Räumung des Lagers Auschwitz im Januar 1945 als Tortur für die Häftlinge. Tatsächlich befanden sich Mitte Januar noch knapp 70.000 Häftlinge in den drei Lagerbereichen von Auschwitz und in den Außenkommandos. Die eingleisige Bahnverbindung, die für die Massentransporte zur Vernichtung in Auschwitz genutzt worden war, reichte für eine Deportation ins Reich nicht mehr aus, zudem wurden Lokomotiven und Waggons für die Logistik der Reichswehr benötigt.
Die brutale Konsequenz war, dass über 50.000 marschfähige Häftlinge in Gruppen von 1.000 bis 2.500 Menschen zu Fuß auf eine Strecke von 50 bis 60 Kilometer nach Gleiwitz bzw. andere Eisenbahnstationen getrieben wurden. Da die Häftlinge entkräftet waren, dauerte der Marsch mehrere Tage. Von dort wurden sie bei Minustemperaturen in Güterwaggons in Lager im Deutschen Reich, z.B. in das KZ Buchenwald, deportiert. Auch diese Transporte dauerten mehrere Tage, an denen die Häftlinge weder Verpflegung noch Wasser zum Trinken von den SS-Wachen bekamen. Bei der Ankunft in den neuen Lagern mussten aus den Transportzügen zumeist viele Leichen geholt werden. Allein bei den Todesmärschen von Auschwitz ins Deutsche Reich starben nach unterschiedlichen Berechnungen zwischen 9.000 und 15.000 Häftlinge – ermordet durch die SS-Wachmannschaften oder gestorben unter den Transportbedingungen.
Etwas geordneter verliefen die Deportationen aus dem Westen. Als die US-Truppen am 25. November 1944 das KZ Natzweiler im Elsass erreichten, fanden sie das Lager leer vor. Schon im September 1944 war ein Großteil der Häftlinge in das KZ Dachau deportiert worden. Im Oktober wurde die Verwaltung in das KZ Außenlager Neckarelz verlegt. Vor dem Eintreffen der alliierten Streitkräfte wurden die verbliebenen Häftlinge in andere Außenlager verbracht.
Mit dem weiteren Vormarsch der alliierten Streitkräfte wurden in allen Teilen des Deutschen Reiches KZ-Außenlager aufgelöst und Häftlinge auf Transport in Lager in noch nicht besetzten Teilen des Reiches geschickt. Dabei waren diese Transporte natürlich auch für die Zivilbevölkerung sichtbar. Bezeichnend für die Haltung der deutschen „Volksgemeinschaft“ war , dass diese Todesmärsche, insbesondere wenn sie zu Fuß erfolgten, vor allem als Zumutung empfunden wurden. Vielleicht verstärkten die Eindrücke auch die Angst davor, was passieren würde, wenn die Alliierten den Krieg gewinnen, da man ja selber mittelbar beteiligt war an den faschistischen Massenverbrechen.
Durchhalte-Parolen der Nazis führten dazu, dass sogar Wachmannschaften aktiv unterstützt wurden beim Weitertransport der Häftlinge oder beim Verscharren der Leichen der Transporte. Beteiligt waren nicht nur Funktionsträger, Polizisten, lokale Nazi-Funktionäre oder Mitglieder von „Volkssturm“ und „Hitler-Jugend“. Die Akteure kamen aus allen Schichten und Altersgruppen. Es gab nur wenige Beispiele, dass Menschen den KZ-Häftlinge bei diesen Transporten geholfen hätten.