Die kurdische Suche nach der Einheit und türkische Sabotage
Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:
Yusuf Karadaş
Das Treffen zwischen Mazlum Abdi, dem Kommandanten der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDG), und Masud Barzani, dem Führer der Kurdischen Demokratischen Partei (PDK), die in der Autonomen Region Kurdistan im Irak an der Macht ist und dessen Sohn Masrour den Ministerpräsidenten der Region stellt, hat die Hoffnungen und Erwartungen gesteigert, dass alle kurdischen Gruppen eine gemeinsame Haltung zur Zukunft Syriens einnehmen könnten. Doch unmittelbar nach diesem Treffen kam die Nachricht von einem Zusammenstoß zwischen irakischen Grenzwachen und der PKK im ländlichen Gebiet der Großstadt Zaxo in der Autonomen Region Kurdistans im Irak, bei dem zwei kurdische Soldaten der Grenzwache ihr Leben verloren.
Diese Entwicklungen wurden vom Besuch des türkischen Außenministers Fidan im Irak und seinem Treffen mit dem irakischen Außenminister Fuad Hussein begleitet, bei dem er vom Irak die Anerkennung der PKK als „terroristische Organisation“ forderte. Zur gleichen Zeit zeigen das Treffen zwischen Mansour Barzani (einem anderen Sohn von Masud Barzani), dem Kommandanten der kurdischen Peschmerga-Spezialkräfte und dem türkischen Verteidigungsminister Güler sowie der zweite Besuch des MIT-Chefs Kalın bei dem Machthaber Syriens, Dscholani, dem Führer von HTS (Hay’at Tahrir al-Scham) in Damaskus, dass hinter diesem regen diplomatischen Verkehr der letzten Tage die Absicht der Erdogan-Regierung steht, die Einheit der Kurden zu sabotieren und die Entwicklungen in der kurdischen Frage zu lenken.
Der irakische Präsident Abdul Latif Rashid erklärte kürzlich in einem Interview mit Sky News Arabia, dass die von Irak vermittelten Gespräche zwischen der kurdischen SDG und der HTS-Regierung zu keinem Ergebnis geführt hätten. Die HTS-Führung lehnt unter Druck der türkischen Regierung die Forderungen der SDG ab, sich als „Korps“ der syrischen Armee anzuschließen, den Autonomiestatus der Kurden anzuerkennen und den Kurden einen Anteil an den Öleinnahmen zu gewähren. Der Stillstand der Verhandlungen macht es für alle kurdischen Gruppen wichtig, eine gemeinsame Haltung in den Verhandlungen und Gesprächen über die Zukunft Syriens und den Status der Kurden einzunehmen.
Auf der anderen Seite möchte die US-Administration die Zusammenarbeit mit der SDG sowohl im Hinblick auf den Übergangsprozess in Syrien als auch auf die Neugestaltung der Region fortsetzen. Der persönliche Besuch von General Michael Kurilla, dem Kommandanten des US-Zentralkommandos (CENTCOM) bei der SDG am 17. Januar sendet eine klare Botschaft sowohl an die HTS, als auch an die Türkei angesichts möglicher militärischer Angriffspläne. Obwohl dieser offizielle Besuch vor der Übernahme der Präsidentschaft durch Trump in den USA stattfand, hatte der neue Außenminister der Trump-Regierung, Marco Rubio, zuvor bereits die Botschaft übermittelt, dass die Zusammenarbeit mit der SDG fortgesetzt werde.
Die USA und Frankreich vermitteln auch bei den „Einheitsgesprächen“ zwischen dem ENKS (Syrischer Kurdischer Nationalrat), der sich aus Parteien der Barzani-Linie zusammensetzt, und der PYNK (Partei der Kurdischen Nationalen Einheit), die von der PYD angeführt wird, dem politischen Rückgrat der SDG. Das anfangs genannte Treffen zwischen dem SDG-Kommandanten Mazlum Abdi und dem KDP-Führer Masud Barzani am 16. Januar muss als Ergebnis und wichtiger Schritt zur Einheit der Kurden und zur gemeinsamen Präsentation ihrer Forderungen gegenüber Damaskus gewertet werden, die von der Türkei, wie ihre Reaktionen und Interventionen deutlich machen, diese Entwicklungen nicht tatenlos hinnehmen wird.
Beachten wir: Die türkische Erdogan-Regierung, die seit langem militärische, wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit der KDP-Regierung in der Autonomen Region Kurdistan im Irak pflegt, unterzeichnete bereits im vergangenen August eine „Vereinbarung über militärische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit und die Terrorismusbekämpfung“ mit der irakischen Zentralregierung.
Genau in einer Zeit, in der die Hoffnungen und Erwartungen einer greifbaren Einheit unter den Kurden nach dem Treffen zwischen Barzani und Abdi wiederbelebt wurden, kam die Nachricht der beiden toten Grenzsoldaten. Auffällig ist der Zeitpunkt dieser Nachricht. Die Türkei führt regelmäßig grenzüberschreitende Operationen durch, die dazu führen, dass militärische Einheiten der PKK bei ihrem Rückzug häufig auf Grenzwachen oder Peschmerga-Kräfte treffen. Seit dem jüngsten Zusammenstoß und dem folgenden Besuch des türkischen Außenministers deuten die harten Erklärungen der PDK gegen die Präsenz der PKK im Irak an, dass dieser Zusammenstoß von der Türkei vorbereitet wurde, um den Einheitsprozess unter den Kurden zu sabotieren.
Andererseits darf der zweite Besuch von MIT-Chef Kalın bei Dscholani in Damaskus nicht unabhängig von diesen Entwicklungen betrachtet werden. Die Türkei, die ihre Belagerung der kurdischen Region Rojava in Nordsyrien über die von ihr finanzierte Syrische Nationale Armee ((SNA) fortsetzt, versucht, die Einheitsbemühungen der Kurden durch ihre Beziehungen zur KDP und deren syrischem Ableger ENKS zu untergraben. Gleichzeitig übt sie Druck auf die Machthaber in Syrien aus, um sie zu einer aktiveren Haltung gegenüber der SDG zu bewegen. Daher kann Kalıns Besuch bei Dscholani auch als eine Gegenreaktion zum Besuch von CENTCOM-Kommandant Kurilla bei der SDG gewertet werden.
All diese Entwicklungen hängen irgendwie mit dem Prozess zusammen, in dem Bahçeli im Namen der türkischen Regierung zur kurdischen Frage spricht und mit den erwarteten Erklärungen von Öcalan vor dem Parlament. Die Erdogan-Regierung versucht einerseits, die „Einheitsgespräche“ in eine Sackgasse zu führen, und andererseits, durch den verstärkten Druck auf die PKK im Irak und die SDG in Syrien zu verhindern, dass ihre Linie aus diesem Prozess gestärkt hervorgehen.
Um den Weg für eine demokratische und friedliche Lösung der kurdischen Frage zu ebnen, ist es notwendig, eine Kampflinie zu schaffen, die die Politik der Erdogan-Regierung vereitelt. In diesem Zusammenhang gewinnt die Erklärung „Anerkennung Rojavas, Freiheit für die Völker“, die kürzlich in Diyarbakır von 419 politischen Parteien, Institutionen und Massenorganisationen unterzeichnet wurde, als wichtiger, aber ausbaufähiger Schritt in diese Richtung an Bedeutung.
Der Artikel ist ursprünglich auf Türkisch in der Tageszeitung „Evrensel“ erschienen und wurde für die deutschsprachigen Lesenden angepasst.
Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben