8. April 2025
TürkeiYeni Hayat

Die Spannungen zwischen der AKP-Regierung und der TÜSIAD

Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:

Die türkische Wirtschaft befindet sich in einer tiefen Krise. Die Inflation liegt bei über 80 %, die türkische Lira verliert kontinuierlich an Wert und das Vertrauen der internationalen Investoren in die türkische Wirtschaft schwindet. Inmitten dieser Krise hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine neue Industrie- und Technologiestrategie 2030 vorgestellt, die Investitionen in Höhe von 7 Milliarden US-Dollar in strategische Sektoren wie Mobilität, Petrochemie, Verteidigung und Solarenergie vorsieht. Diese Ankündigung ist jedoch nicht nur als wirtschaftspolitische Maßnahme zu verstehen, sondern auch als Reaktion auf die anhaltenden Spannungen zwischen der AKP-Regierung und der TÜSIAD (Türkische Industrie- und Unternehmervereinigung), einem der einflussreichsten Wirtschaftsverbände des Landes.

Die TÜSIAD: Stimme des „alten“ Großkapitals

Die TÜSIAD, der „Club der Bosse“, vertritt die Interessen der türkischen Großunternehmen und Konzerne. Seit ihrer Gründung im Jahr 1971 hat sie sich immer wieder in politische und wirtschaftliche Debatten eingemischt und den Ton angegeben. In den letzten Jahren hat sie zunehmend Kritik an der Wirtschaftspolitik der AKP-Regierung geäußert, die sich auf einige zentrale Punkte konzentriert. So hat die TÜSIAD die Weigerung der Regierung, die Zinsen trotz hoher Inflation anzuheben, scharf zurückgewiesen. Erdoğans umstrittene These, dass hohe Zinsen die Inflation antreiben, steht im Widerspruch zur konventionellen ökonomischen Theorie. Die TÜSIAD fordert eine Rückkehr zu einer rationalen Geldpolitik, die von unabhängigen Institutionen wie der Zentralbank gesteuert wird und nicht auf Erdoğans Populismus beruht. Ebenfalls kritisiert die TÜSIAD die mangelnde institutionelle Unabhängigkeit der Zentralbank und anderer wirtschaftlicher Institutionen. Dies habe zu einem Vertrauensverlust bei internationalen Investoren geführt.

Scheinbare Allianz, tiefe Spannungen

Oberflächlich betrachtet scheint die Beziehung zwischen der AKP und der TÜSİAD von einer gewissen Zusammenarbeit geprägt zu sein, insbesondere in Phasen wirtschaftlichen Wachstums. Beide Seiten haben in der Vergangenheit von der neoliberalen Wirtschaftspolitik und der Integration der Türkei in die globale Wirtschaft und der Förderung von nationalen und internationalen Großprojekten profitiert. Gleichzeitig gibt es „konkurrierende Visionen“ für die Zukunft der türkischen Wirtschaft. Während die TÜSİAD auf strukturelle Reformen und institutionelle Unabhängigkeit setzt, verfolgt die AKP-Regierung eine Politik, die oft kurzfristigen politischen Zielen dient. Die TÜSİAD steht der populistischen und autoritären Politik Erdoğans kritisch gegenüber, weil sie Investitionen aus dem Ausland abschrecke und Erdoğan-treues, islamisches Kapital anlocke, was zur Konkurrenz zum Kapital steht, das von der TÜSIAD vertreten wird. Erdoğan hingegen weist die Kritik der TÜSIAD scharf zurück und bezeichnet den Verein als „elitär“ und „nicht repräsentativ für das türkische Volk“.

Neue Eskalation

Nach einer Beiratssitzung des Verbandes am 13. Februar traten der Vorsitzende der TÜSIAD, Orhan Turan und der Präsident des Beirats, Ömer Aras, vor die Presse und kritisierten das türkische Justizsystem und beklagten Demokratiedefizite. Sie kritisierten Erdoğans Vorgehen gegen die Opposition im Land. Sie äußerten Besorgnis über die Absetzung demokratisch gewählter Bürgermeister und die Einsetzung von Zwangsverwaltern in vielen Provinzen und Gemeinden. Sie warnten vor den Folgen einer irrationalen Wirtschaftspolitik, die das Vertrauen in die Märkte untergrabe. Ebenfalls beklagten sie staatliche Inkompetenz bei der Überwachung und Regulierung von Vorschriften, z.B. bei dem Hotelbrand am 21. Januar 2025 mit über 70 Toten und den Erdrutsch in einer Goldmine im Februar 2024, bei dem 9 Arbeiter starben. Sie betonten, dass die Hauptursache für solche Tragödien ein Systemversagen, das auf mangelnde Rechenschaftspflicht und Korruption zurückzuführen sei. Erdoğans Antwort kam prompt: „Ihr überstrapaziert eure Kompetenzen!“ und kurz darauf unternahm die Justiz rechtliche Schritte gegen die beiden. Ihnen wird „versuchte Einflussnahme auf Gerichtsverfahren“ und die „öffentliche Verbreitung falscher Informationen“ vorgeworfen.

Wirtschaftskrise als Spiegel politischer und sozialer Konflikte

Diese Kritikpunkte von Turan und Aras unterstreichen die wachsende Spannung zwischen einem Teil der türkischen Wirtschaftselite und der AKP-Regierung sowie die zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit und der rechtsstaatlichen Prinzipien in der Türkei. Die Forderungen der TÜSİAD-Vertreter nach Reformen und rechtsstaatlichen Strukturen spiegeln die tiefe Krise wider, in der sich die Türkei sowohl politisch als auch wirtschaftlich befindet. Die Wirtschaftskrise ist nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein politisches und soziales Problem. Die Kritik der TÜSIAD unterstreicht die Notwendigkeit einer grundlegenden Neuausrichtung der türkischen Wirtschaftspolitik aus Sicht des Kapitals, um die aktuellen internationalen und nationalen Herausforderungen zu bewältigen. Die auf diese Kritik folgende Repression gegen die TÜSIAD ist wiederrum ein weiteres Beispiel für die autoritären Tendenzen der AKP-Regierung, die zunehmend Kritiker mit rechtlichen und polizeilichen Mitteln unter Druck setzt.

Die Beziehung zwischen der AKP und der TÜSİAD wird auch in Zukunft von Konflikten und Kompromissen geprägt sein. Die Wirtschaftskrise und die zunehmende politische Instabilität könnten die Spannungen hierbei weiter verschärfen.

Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben