26. April 2025
26. April 2025
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Öcalans Aufruf zur Auflösung der PKK: Erwartungen, Sorgen und Unsicherheiten…

Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:

Yusuf Karadaş

Der PKK-Führer Öcalan hat seine Organisation aufgerufen, einen Kongress abzuhalten, die Waffen niederzulegen und sich selbst aufzulösen. Erinnern wir uns: Der Chef des ultranationalistischen Koalitionspartners MHP, Devlet Bahçeli, stieß seit Oktober letzten Jahres einen neuen Friedensprozess an, um die „Kurdenfrage“ der Türkei zu lösen. Ende Februar 2025 besuchte eine Delegation der kurdischen DEM-Partei Öcalan in seinem isolierten Gefängnis auf der Insel Imrali dem eine Pressekonferenz folgte. Somit ist der Friedensprozess nun in eine neue Phase getreten: Öcalan hat die PKK zur Selbstauflösung aufgerufen.
Doch die Erklärung von Öcalan hat auch andere Aspekte, die wir bei der Beurteilung seiner Inhalte berücksichtigen müssen: Öcalan betonte, bevor er der PKK die Einberufung eines Kongresses empfahl und sie zur Niederlegung der Waffen aufrief, die Notwendigkeit einer Neugestaltung der tausendjährigen türkisch-kurdischen Beziehungen im Geiste der Brüderlichkeit. Er weist darauf hin, dass dies nur durch demokratische Politik und Verständigung möglich sei. Daher kann man bereits jetzt sagen, dass die Schritte, die von der türkischen Seite bis zur Einberufung des Kongresses unternommen werden und die Richtung ihrer Entscheidungen für die Beschlüsse dieses Kongresses prägend sein werden.
Hier sollten wir uns kurz daran erinnern, dass Öcalan bereits in seiner Botschaft zum kurdischen Neujahrsfest Newroz im Jahre 2013, als der erste „Friedensprozess“ lief, erklärt hatte, dass „die Ära der Waffen vorbei“ sei und eine neue Ära begonnen habe, „die auf demokratischer Betätigung“ basiere. Doch was dem folgte, wissen wir: Da Verhandlungen zu Ergebnissen führten, die außerhalb der Kontrolle und Erwartungen der türkischen Regierung lagen, kippte Erdoğan den Verhandlungstisch. Es ging so weit, dass die türkische Armee kurdische Städte bombardierte und ganze schwere Zerstörungen im eigenen Land verursachte.
Natürlich ändert die Vergangenheit nichts an der historischen Bedeutung und Tragweite der aktuellen Erklärung. In einer politisch turbulenten Zeit, sowohl in der Region (Nahost) als auch im Land, lässt sich die Wirkung von Öcalans Aufruf in drei Worten zusammenfassen: Erwartungen, Sorgen und Unsicherheiten.

Erwartungen
Öcalans Aufruf an die PKK, die Waffen niederzulegen und sich selbst aufzulösen, weckt Erwartungen – wenn auch in unterschiedlicher Richtung – sowohl bei der kurdischen Bevölkerung und den demokratischen Kräften als auch auf Seiten des Staates und der Regierung.
Seine Botschaft von 2013 hatte bei den Kurden und den demokratischen Kräften Hoffnung auf eine demokratische Lösung der Kurdenfrage und Demokratisierung des ganzen Landes geweckt. Während die jüngste Erklärung bei der kurdischen Bevölkerung eine gewisse Erwartung in Richtung einer demokratischen Lösung und der Stärkung der demokratischen Politik hervorgerufen hat, führen die Erfahrungen aus der Vergangenheit dazu, dass breite Teile der Bevölkerung diesem Prozess vorsichtiger gegenüberstehen. Diese vorsichtige Haltung spiegelte sich auch in den bisherigen Stellungnahmen der PKK wider.
Die Regierung und der Staat hingegen haben den Prozess von Anfang an auf die Entwaffnung und Selbstauflösung der PKK reduziert. Denn der Hintergrund von Bahçelis Initiative für einen neuen Prozess liegt vor allem in der Sorge darüber, dass Israels wachsende Rolle als militärische Schlagkraft in der Neuordnung der Region die Bewegungsfreiheit der Türkei einschränkt. Die Regierung will potenzielle Risiken aus dem Kurdenkonflikt in dieser Phase eliminieren. Mit anderen Worten: Das Ziel der Regierung ist nicht die Lösung der Kurdenfrage, sondern die Verhinderung möglicher Bedrohungen durch die PKK und der ihr nahestehenden autonomen Verwaltung in Rojava und die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF).
Diese Haltung zeigte sich auch in der Erklärung von AKP-Vizechef Efkan Ala nach Öcalans Aufruf. Ala sagte, man werde „beobachten, ob die Terrororganisation dem Aufruf folgen wird oder nicht“. Die Regierung tut so, als gäbe es keine Kurdenfrage und als läge die Verantwortung für die notwendigen Schritte zur Lösung nicht bei ihr.

Sorgen
Die oben erwähnte Haltung der Regierung schürt ernsthafte Sorgen, dass auch dieser neue Prozess zunichtegemacht wird. Diese Sorgen sind nicht unbegründet: Während die Regierung auf Öcalans Aufruf wartete, der schon seit Wochen angekündigt wurde, setzte sie Zwangsverwalter in die Gemeinden der DEM-Partei ein.
Darüber hinaus wurden diesmal auch die Gemeinden ins Visier genommen, die durch strategische Wahltaktiken der demokratischen Kräfte und der DEM-Partei der AKP von der CHP abgejagt wurden. Und es blieb nicht dabei: Während die Frage diskutiert wird, ob der ehemalige HDP-Vorsitzende der kurdischen Vorgängerorganisation der DEM-Partei, Selahattin Demirtaş, und andere unrechtmäßig inhaftierte politische Gefangene freigelassen werden, startete die Regierung eine Repressionswelle gegen Gewerkschafter, Journalisten und demokratische politische Organisationen mit dem Vorwand der Terrorbekämpfung.
All diese Entwicklungen verstärken die Befürchtung, dass die Regierung diesen Prozess für ihre eigenen Interessen nutzen wird – sei es für Erdoğans erneute Kandidatur (die verfassungswidrig wäre) oder halt durch den Beschluss einer neuen Verfassung, um ihn erneut zum Präsidenten zu wählen.

Unsicherheit
Einer der auffälligsten Punkte in Öcalans Erklärung ist, dass er sich nicht explizit an Rojava und die SDF richtet. Die Vielzahl der Akteure, die an der Neugestaltung Syriens beteiligt sind, erschwert eine direkte Stellungnahme zu diesem Thema.
Wie die Entwicklungen in der Region eine entscheidende Rolle bei Bahçelis Initiative spielten, werden auch die Konsequenzen von Öcalans Aufruf nicht allein durch den türkischen Staat, die PKK und die SDF bestimmt. Viele Akteure, von den USA und Israel bis zu den Golfstaaten, von Russland und Iran bis zur KDP und PUK in der Kurdischen Selbstverwaltung im Irak, werden in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen.
Dass all diese Akteure die Kurdenfrage strategisch für ihre eigenen Interessen nutzen, zieht den Prozess in erhebliche Unsicherheit. Dazu trägt auch die türkische Regierung bei, indem sie sich weigert, die notwendigen gesetzlichen Grundlagen und Mechanismen für eine Lösung zu schaffen.
Um die Richtung dieser Unsicherheit besser zu verstehen, muss man die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen der neuen HTS-Regierung in Syrien, der autonomen Verwaltung Rojavas und den SDF abwarten.

Fazit
Öcalans Aufruf öffnet inmitten von Erwartungen, Sorgen und Unsicherheiten eine Tür für das Schweigen der Waffen und die Ausweitung des demokratischen politischen Raums. Doch damit sich diese Tür vollständig öffnet, müssen Erwartungen in Möglichkeiten, Sorgen in Hoffnung und Unsicherheit in den Willen zur demokratischen Lösung und zum Frieden umgewandelt werden. Dies erfordert die breiteste Einheit des Kampfes der Kräfte für Arbeit, Frieden und Demokratie.

Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben