24. April 2025
Yeni Hayat

Angriff auf zivilgesellschaftliche Organisationen durch „Kleine Anfrage“ der CDU

Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:

Dilan Baran

Die CDU unter ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz sorgt mit einer umfangreichen „Kleinen Anfrage“ an die Bundesregierung für Aufsehen. In dem 551 Fragen umfassenden Fragenkatalog werden zahlreiche Organisationen, darunter Greenpeace, Campact und Omas gegen Rechts, kritisch hinterfragt. Der Verdacht: Die CDU stellt ihre Gemeinnützigkeit infrage und versucht, sie mundtot zu machen und sendet sogleich nach dem Rollenwechsel von Opposition zu Regierungspartei die Botschaft an alle Mitte-Links-Kräfte die Füße still zu halten.

Proteste gegen Rechts als Auslöser

In den vergangenen Monaten gingen mehr als 1,5 Millionen Menschen gegen den Rechtsruck auf die Straße, auch als Reaktion auf die Haltung der CDU zur Zusammenarbeit mit der AfD. Zahlreiche gemeinnützige Organisationen riefen zu diesen Protesten auf. Nun sieht sich ein Teil dieser Initiativen einem Angriff durch die Union ausgesetzt.

Zielgerichtete Auswahl: Wer ist betroffen?

Die CDU/CSU-Fraktion nennt in ihrer Kleinen Anfrage insgesamt 17 Organisationen, darunter Omas gegen Rechts, Correctiv, Attac, Foodwatch, die Amadeu Antonio Stiftung und die Deutsche Umwelthilfe. Andere Institutionen mit Gemeinnützigkeitsstatus, wie der Bund der Steuerzahler oder das FDP-nahe Prometheus Institut, werden nicht genannt, die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung bleibt in der Auflistung ebenfalls unerwähnt. Ein besonderes Augenmerk legt die Union auf das Förderprogramm „Demokratie Leben“.

Unterstellungen und fragwürdige Fragen

Die Anfrage zeigt erhebliche Wissenslücken über die betroffenen Organisationen. Die CDU/CSU fragt nach Gemeinnützigkeit, politischen Aktivitäten und staatlicher Förderung, obwohl einige der genannten Vereine gar nicht gemeinnützig oder politisch aktiv sind. Beispielsweise wird Campact mit über 20 Fragen bedacht, obwohl dem Verein bereits 2019 die Gemeinnützigkeit entzogen wurde und er keine staatlichen Gelder erhält.

Die Bundesregierung kann viele der Fragen nicht beantworten, da der Staat keine umfassende Kontrolle über politische Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen führt. Zudem dürfen einige Fragen aus Datenschutzgründen gar nicht beantwortet werden, etwa solche zu finanziellen oder steuerlichen Details.

NGOs unter Druck: Erhebung zeigt besorgniserregende Entwicklung

Eine aktuelle Erhebung des Dezim-Instituts belegt, dass zivilgesellschaftliche Organisationen zunehmend unter Druck stehen. Ehrenamtliche ziehen sich vermehrt zurück, da sie fast täglich mit Angriffen und Bedrohungen konfrontiert sind. Eine anonyme Onlinebefragung von Mitarbeitenden zeigt, dass für ein Drittel der Befragten „Einschüchterung, Hassrede und gezielte Diskreditierung“ zum Alltag gehören.

In einem offenen Brief, der von mehr als 200 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Einzelpersonen unterzeichnet wurde, machen diese darauf aufmerksam, dass sie „oftmals mit dem Rücken zur Wand“ für eine lebendige demokratische Kultur und gegen Rechtsextremismus eintreten. Sie fordern, dass ihr Engagement nicht delegitimiert oder unter Generalverdacht gestellt, sondern durch eine „Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts“ unterstützt wird.

Angriff auf Grundrechte?

Im Vorwort zur Kleinen Anfrage hinterfragt die CDU explizit die politische Neutralität der Organisationen und damit auch deren Gemeinnützigkeitsstatus. Dabei ist es gemeinnützigen Vereinen sehr wohl erlaubt, Kritik an politischen Entscheidungen zu äußern, solange sie keine parteipolitische Wahlwerbung betreiben. Ein aktuelles Gutachten der Universität Mainz bestätigt, dass staatlich geförderte Projekte zwar an ein Neutralitätsgebot gebunden sind, die Organisationen selbst aber nicht.

Die CDU suggeriert in ihrer Anfrage die Existenz einer „Schattenstruktur“ aus NGO-Netzwerken, die mit staatlichen Geldern politische Einflussnahme betreiben. Ein verschwörerisch ausgelegter Angriff auf die ganz normale demokratische Öffentlichkeit. In ihrem Dokument verlinkt die Partei zudem einen Beitrag der Zeitung „Welt“, in dem NGOs als „Deep State“ bezeichnet werden – ein Begriff, der auch von Donald Trump strategisch verwendet wird.

Breite wissenschaftliche Rückendeckung für NGOs

Seit vergangenen Dienstag haben sich über 2.000 Wissenschaftlerinnen unterschiedlichster Fachrichtungen mit einem offenen Brief an Friedrich Merz und Alexander Dobrindt gewandt. Veröffentlicht wurde der Brief auf dem Verfassungsblog. Die Autorinnen fordern, „die Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft zu respektieren“, das „Neutralitätsgebot richtig auszulegen“, „keinen politischen Druck auf kritische Akteure auszuüben“ und ein Demokratiefördergesetz einzuführen. Letzteres hatte die Ampel-Koalition bereits versprochen, aber nicht umgesetzt.

Politischer Zeitpunkt bewusst gewählt

Der Zeitpunkt der Anfrage ist kein Zufall: Einen Tag nach der Bundestagswahl und dem Wahlerfolg der Union startete Friedrich Merz seinen Angriff auf kritische Organisationen. Bereits zuvor hatte CDU-Fraktionsvize Mathias Middelberg gefordert, den NGOs nach den „Demos gegen Rechts“ die Gemeinnützigkeit zu entziehen.

Appell für den Schutz der Meinungsfreiheit

Merz‘ Vorgehen stellt einen direkten Angriff auf demokratische Strukturen dar. Das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern in Vereinen, Initiativen und Organisationen ist ein Grundpfeiler der Meinungsfreiheit – und die braucht Schutz. Die SPD hatte im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung Reformen des Gemeinnützigkeitsrechts versprochen, um politisches Engagement von Vereinen besser abzusichern. Bislang ist dies nicht geschehen.

Ein breites Bündnis fordert nun, dass die SPD dieses Versprechen einlöst. Wenn CDU und SPD in Kürze Sondierungsgespräche führen, muss der Schutz der Meinungsfreiheit auf der Agenda stehen. Jetzt ist zudem der Moment, sich dem Protest gegen den Angriff auf die demokratische Öffentlichkeit anzuschließen.

Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben