Solidarität mit dem Widerstand in der Türkei!
Übernommen von KOMintern:
Mit der Absetzung und Inhaftierung des Bürgermeisters der politisch bedeutenden 16-Millionen-Metropole Istanbul und designiertem kemalistischen Herausforderer Erdoğans bei den nächsten Präsidentschaftswahlen, Ekrem Imamoğlu, steht die Türkei abermals an einer kritischen Schwelle, wenn nicht überhaupt vor einer neuerlichen Wegscheide. Entsprechend gehen seit dessen Verhaftung und Absetzung durch die unter der Präsidialdiktatur gleichgeschaltete Justiz von Ankara bis Izmir täglich Hunderttausende auf die Straße. Mehr noch: Entzündete sich an diesem weiteren „zivilen Putsch“ gegen den Wählerwillen – wie wir es seit einem Jahrzehnt dutzendfach gegen kurdische und linke Bügermeister:innen kennen – die größten Massenproteste seit der Gezi-Bewegung 2013.
In diesen massiven Protesten, in deren Rahmen in der letzten 10 Tagen trotz verhängten Versammlungs- und Demonstrationsverboten landesweit Millionen auf die Straßen strömten, spiegelt sich zugleich die tiefe Hegemoniekrise des faschistischen AKP/MHP-Koalitionsblocks Ankaras wider.Entsprechend brutal gehen die türkische Polizei und Sondereinsatzkräfte denn auch mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen gegen die quer durch die sozialen Schichten, Altersgruppen und die politischen Couleurs Protestierenden – sowie gegen Journalist:innen und Medienschaffende – vor. Begleitend zur allabendlichen Polizeigewalt und der allgegenwärtigen Repression, finden gezielte Razzien und Massenverhaftungen statt. Den entflammten Widerstand – von Erdoğan als „Straßenterror“ bezeichnet – konnte all dies bislang jedoch weder brechen, noch einhegen.Im Gegenteil, die Massendemonstrationen halten nicht nur unvermindert an, sondern die Massenproteste haben mit ausgewählten Großkundgebungen, Ladenschließungen und einer Boykottkampagne gegen regierungsnahe Unternehmen zwischenzeitlich vielmehr zusätzliche Formenausgebildet.
Parallel dazu hat sich der Protest auch auf den Universitäten mit neuer Kraft formiert. So bieten die Student:innen nicht nur auf den Straßen der Polizeigewalt couragiert die Stirn, sondern boykottierten diese Woche vielfach die Universitäten und streben einen großen akademischen Boykott an. Nicht zuletzt auch als Zeichen gegen die willfährige Aberkennung des Diploms Imamoğlus (welches nach Artikel 101 der türkischen Verfassung Voraussetzung für eine Präsidentschaftskandidatur ist) und der mangelnden Perspektive für junge Hochschulabsolvent:innen im Land. 966.000, fast eine Million junger Absolvent:innen, sind gegenwärtig arbeitslos. Die Studierenden, die quasi ihr gesamtes bisheriges Leben unter der 23-jährigen Langzeit-Regentschaft des „neuen Sultan von Ankara“ verlebt haben,prägten denn auch gerade die Losung „Boykott, Streik, Widerstand“ und fordern vielerorts den Rücktritt des faschistischen Herrschaftsklüngels.
Entsprechendweitet sich auch der Ruf nach Generalstreik auch zunehmend unter Gewerkschaften bzw. Gewerkschaftsflügeln und Arbeitermassen aus und ruft etwa das klassenkämpferische Netzwerk „Revolutionäre Gewerkschaftssolidarität“ aktiv zur Ausweitung der Massenproteste zum Generalstreik auf.
In der nunmehrigen offenen politischen Krise am Bosporus manifestiert sich zugleich die tiefe multiple Krise des Regimes. So befindet sich die Türkei seit Jahren in einer manifesten sozialen Dauerkrise. Anhaltende Hochinflation, Massenarbeitslosigkeit, unzulängliche Gehälter und ein völlig unzureichender Mindestlohn prägen die katastrophale Lage im Land und lassen die sozialen Verhältnisse erodieren. Die Folgen: eine zunehmende Verarmung, vielfach regelrechte Verelendungswelle, weiter Kreise der Bevölkerung, die sich bis in die sog. Mittelschichten frisst. Und so nimmt die Unzufriedenheit und Wut in der türkischen Gesellschaft, quer durch Bevölkerung,seit langem stetig zu.
Mit hinzu kommt, last but not least, für Millionen zugleich die Unterdrückungspolitik und Repression gegen religiöse Minderheiten wie namentlich den Alevit:innen (mit einem Bevölkerungsanteil von 10 – 20%), der offensive frauenpolitisch-patriarchale Backlash, die Hatz gegen auf die LGBTIQ+-Bewegung, ganz zu schweigen von der Militarisierung der kurdischen Frage durch den „Palast“ und die Repressionswellen gegen die parlamentarisch-linke Opposition, die Gewerkschaften und die revolutionäre Linke im Land – die zu Tausenden in türkischen Gefängnisse einsitzen. Darunter die beiden seit 2016 inhaftierten vormaligen Ko-Vorsitzenden der HDP, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksedağ, sowie zahlreiche kurdische, linke Bürgermeister:innen aus den Kommunalwahlen 2014, 2019 und auch schon jener von 2024, die von Ankaras Willkürjustiz zu Hunderten ihres Amtes enthoben wurden, um die kurdischen und linken Hochburgen jeweils per „zivile Staatsstreiche“ unter staatlich eingesetzte Zwangsverwalter zu stellen.
Und doch tönt es heute kraftvoll „Boykott, Streik, Widerstand!“ durch die Straßen der Türkei.
Solidarität mit dem Widerstand in der Türkei!
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Quelle: KOMintern