Verfolgt, verleumdet, entlassen
Übernommen von Unsere Zeit:
Jeronimo Wehle Gehres lebt insgesamt schon 15 Jahre in Japan. Der brasilianische Staatsbürger mit deutschen Vorfahren wohnt mit seiner japanischen Frau in Kyoto. Als Hoteldirektor hat er einem Mitglied des israelischen Militärs ein Zimmer in seinem Hotel verweigert – aus Solidarität mit Palästina. Gegen ihn begann eine Verleumdungskampagne, kurz darauf wurde er entlassen. Er geht nun gerichtlich gegen das Hotelunternehmen vor.
UZ: Du bist derzeit in einen Rechtsstreit mit deinem ehemaligen Arbeitgeber verwickelt. Was ist passiert?
Jeronimo Wehle Gehres: Am 11. Juni 2024 buchte ein Mitglied der israelischen Armee (IDF) ein Zimmer in dem Hotel, das ich in Kyoto leitete. Als Hotelmanager bat ich die Person höflich, die Reservierung zu stornieren, denn: Hotels in Japan ist es gesetzlich erlaubt, Mitgliedern krimineller Organisationen die Bewirtung zu verweigern. Viele Unternehmen weisen ausdrücklich darauf hin, dass sie keine Gäste akzeptieren, die zum Beispiel der Yakuza angehören. Meiner Meinung nach sind die IDF in kriminelle Aktivitäten verwickelt. Die Person akzeptierte meine Bitte und stornierte die Reservierung.
UZ: Woher wusstest du, dass die Person Angehöriger der IDF ist?
Jeronimo Wehle Gehres: Um den Aufenthalt der Gäste so angenehm wie möglich zu gestalten und um auf ihre Bedürfnisse eingehen zu können, haben wir öffentlich einsehbare Informationen zu den Gästen online recherchiert. So fand ich heraus, dass die Person aktiv im israelischen Militär war.
UZ: Wie kam es dazu, dass aus einem alltäglichen Vorgang wie der Rücknahme einer Reservierung ein Gerichtsfall in Kyoto wurde?
Jeronimo Wehle Gehres: Mein Austausch mit dem IDF-Mitglied wurde von mir Unbekannten mit meinem vollständigen Namen und meinem Arbeitsplatz auf Nachrichtenseiten, auf X und Instagram veröffentlicht. Infolgedessen wurde ich zur Zielscheibe von Verleumdungen und Drohungen gegen mich und meine Familie.
Der israelische Botschafter in Japan schrieb sogar einen Brief an meinen Arbeitgeber. Er behauptete, dass meine Handlungen eine „Diskriminierung aufgrund der Nationalität“ darstellten und forderte meine Entlassung.
UZ: Diskriminierung aufgrund der Nationalität?
Jeronimo Wehle Gehres: Der israelische Botschafter behauptete, ich hätte dem IDF-Angehörigen wegen seines israelischen Nachnamens den Dienst verweigert. Ich weiß nicht einmal, was ein „israelischer Name“ ist. Der Botschafter weiß sehr wohl, dass der Vorwurf des „Antisemitismus“ in Japan keine große Aufmerksamkeit erregen würde. Also verwendete er absichtlich einen Begriff, von dem er dachte, dass er die öffentliche Meinung beeinflussen könnte.
UZ: Wie reagierte dein ehemaliger Arbeitgeber nun auf diese ganze Entwicklung?
Jeronimo Wehle Gehres: Am 27. Juni gab es ein Treffen mit einem Vertreter des Unternehmens und dessen Anwalt. Ich wurde aufgefordert, eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben. Sie enthielt eine Bestimmung, die meiner Meinung nach mein Recht auf freien Willen völlig missachtete. Die Erklärung lautete: „Ich verpflichte mich, meine Pflichten als Hoteldirektor zu erfüllen, ohne persönliche Überzeugungen in den Vordergrund zu stellen.“ Das konnte ich natürlich nicht unterschreiben. Am 29. Juni wurde ich für zehn Tage suspendiert und am 11. Juli entlassen.
UZ: Dein Rechtsstreit hat also mit arbeitsrechtlichen Fragen zu tun?
Jeronimo Wehle Gehres: Ja. Das japanische Arbeitsrecht schreibt vor, dass ein Arbeitgeber angemessene Anstrengungen unternehmen muss, um den Arbeitsplatz eines Arbeitnehmers zu schützen und bis zu einem gewissen Grad auf die Bedürfnisse des Arbeitnehmers einzugehen. Mein Arbeitgeber hat das nicht getan. Ich habe sogar das Gefühl, dass er mich so schnell wie möglich loswerden wollte. Die Kündigung ist als letztes Mittel gedacht.
UZ: Warum hast du beschlossen, vor Gericht zu gehen?
Jeronimo Wehle Gehres: Ungerechtigkeit macht mich wütend. Das Unternehmen hat es nicht nur versäumt, mich als Arbeitnehmer zu schützen, sondern auch einen fadenscheinigen Grund für meine Entlassung ausgeheckt.
Wir können nicht den Kopf hängen lassen, wenn wir mit Ungerechtigkeit konfrontiert werden. Deshalb wollte ich diesen Fall vor Gericht bringen – und deshalb sollten wir auch für Gaza kämpfen. Die Ungerechtigkeit, mit der die Palästinenser seit Jahrzehnten konfrontiert sind, zeigt sich in der Vertreibung von ihrem Land, dem Diebstahl und der Zerstörung ihrer Häuser, der Auslöschung ihrer Kultur und Lebensweise, der Ermordung Unschuldiger, der Behandlung als Bürger zweiter Klasse, dem Apartheidsystem und jetzt dem Völkermord in Gaza, wie er im Buche steht. Niemand sollte dazu schweigen.
UZ: Wie lief der Prozess bisher?
Jeronimo Wehle Gehres: Es ist das erste Mal, dass ich einen Fuß in einen Gerichtssaal gesetzt habe und es sind jedes Mal viele Unterstützerinnen und Unterstützer da. Am ersten Verhandlungstag argumentierte der Anwalt des Unternehmens, dass meine Weigerung, die Erklärung zu unterschreiben, ein Zeichen dafür sei, dass ich die Anweisungen des Unternehmens nicht befolgen würde. Zum Erstaunen aller erklärte er außerdem: „Wenn eine Entlassung in diesem Fall nicht zulässig ist, wären Arbeitgeber gezwungen, bei der Einstellung eine gründliche weltanschauliche Prüfung vorzunehmen, und eine solche Gesellschaft wäre nicht gesund.“ Das war fast wie ein Eingeständnis, dass die Entlassung auf Ideologie beruhte. Am zweiten Verhandlungstag am 13. März legten beide Seiten dar, wie es zur Kündigung gekommen ist. Die Arbeitgeberseite verwickelte sich dabei unserer Ansicht nach in erhebliche Widersprüche. Der nächste Termin ist am 17. April.
UZ: Glaubst du, dass dein Gerichtsprozess dazu beitragen könnte, ein freies Palästina zu ermöglichen?
Jeronimo Wehle Gehres: Ich hoffe es. Ich bin nicht nur vor Gericht, um für meine Rechte zu kämpfen, sondern auch, um Licht in die Geschehnisse in Gaza und Palästina zu bringen. Es ist unmöglich, über meinen Fall zu sprechen, ohne Gaza und die von der israelischen Armee begangenen Verbrechen zu erwähnen.
Während der ersten Anhörung vor Gericht habe ich über die Zahl der in Gaza getöteten Kinder und Frauen und das Ausmaß der Zerstörung gesprochen. Dies ist nun Teil der öffentlichen Aufzeichnungen. In Zukunft werden die Menschen sehen können, dass zumindest einige von uns versucht haben, das Richtige zu tun, während der Völkermord stattfand.
Quelle: Unsere Zeit