31. März 2025
TürkeiYeni Hayat

Wem die Straßen gehören!

Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:

Am 19. März wurden über 100 oppositionelle Politiker, Kulturschaffende und Journalisten in der Türkei verhaftet. Unter den Inhaftierten ist Ekrem İmamoğlu, Bürgermeister von Istanbul und aussichtsreichster Herausforderer von Recep Tayyip Erdogan. Deswegen war die Empörung umso größer, sowohl im Inland, als auch im Ausland.

Mit den Verhaftungen ergingen gleichzeitig Versammlungs- und Demonstrationsverbote, Nachrichtensperren und die Einschränkung von sozialen Medien. Die AKP-Regierung wusste genau, dass diese Inhaftierungswelle nicht protestfrei verlaufen würde. Trotz der Verbote gehen seitdem immer wieder Hunderttausende, allen voran in großen Metropolen und Universitätsstädten auf die Straßen. Mit Slogans, wie „die Paläste gehören euch, die Straßen gehören uns“, drückt vor allem eine junge und kritische Masse in der Türkei ihre Wut über die politische Willkür, aber auch den ökonomischen Ruin im Land aus. Dass Erdoǧan ausgerechnet seinen schärfsten Konkurrenten kurz vor dessen Nominierung als Kandidat für die Präsidentschaftswahl 2028 verhaften lässt, hinterlässt auch in Europa Spuren. Tausende sind hier, auch in Deutschland, in Solidarität mit der Demokratiebewegung in er Türkei, auf die Straßen gegangen.

Kritik von Seiten der deutschen Politik kam schnell, aber inhaltlich sehr zögerlich. Das Auswärtige Amt bezeichnete die Vorgänge als „schweren Rückschlag für die Demokratie in der Türkei“. Die außenpolitischen Sprecher der Parteien benutzten Worte, wie „Autokratie“ oder „unter Druck setzen“. Dass das tatsächlich passiert, ist unwahrscheinlich. Kanzler Scholz sprach von „großer Besorgnis“.

Bereits seit vielen Jahren fahren Erdoǧan und seine AKP einen repressiven Kurs gegen die Opposition im Inneren und eine aggressive Politik gegen die Kurden im Äußeren. Bis jetzt gab es deshalb keine Konsequenzen von Seiten Deutschlands oder der EU. Die Türkei hält Geflüchtete auf, sichert Europas Außengrenzen und ist geopolitisch ein Schlüsselspieler. Menschenrechte? Pressefreiheit? Unabhängige Justiz und Gewaltenteilung? Alles zweitrangig, solange die Deals stimmen. Erst im letzten Herbst traf Olaf Scholz Erdoğan, versprach Waffenlieferungen (wohlwissend, dass auch die schon in der Vergangenheit in den Händen von Islamisten gelandet sind) und wirtschaftliche Zusammenarbeit – während in der Türkei Oppositionelle verhaftet wurden. Dass die EU und Deutschland ihrer Doppelmoral Taten folgen lassen werden, ist also nahezu ausgeschlossen. Umso wichtiger ist die (zivile) internationale Solidarität.

Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben